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Wenn Schweizer und Japaner sich offiziell begegnen, geht es im Normalfall um wirtschaftliche oder technologische Fragen. Anders am Ostasiatischen Seminar der Universität Zürich. Dort fand vom 27. bis 29. August eine schweizerisch-japanische Tagung statt, auf der es um Schweizbilder ging, die man sich in Japan im 20. Jahrhundert machte. Die beiden Japanologen Professor Eduard Klopfenstein und Dr. Harald Meyer luden dazu neben Forschenden aus der Schweiz sieben Wissenschaftler/innen von verschiedenen japanischen Universitäten ein.
In Japan besteht seit langem ein Interesse für die kleine, ferne Schweiz. Ständig, erzählt Meyer, wurde er bei seinen insgesamt drei Jahre langen Aufenthalten in Japan mit Fragen zur Schweiz konfrontiert; er hielt sogar landeskundliche Vorträge in Quartiervereinen. Die Beschäftigung mit der Schweiz ist in Japan teilweise sogar institutionalisiert. In Tokyo gibt es beispielsweise seit zehn Jahren eine grössere Gruppe von Wissenschaftler/innen unterschiedlicher Disziplinen, die sich mit Schweizer Geschichte beschäftigen und sich deshalb alle drei Monate treffen. Der Präsident dieser Vereinigung, Professor Yasukazu Morita von der Japan Women’s University, Tokyo, war mit nach Zürich gereist und hielt zur Eröffnung der Tagung ein Referat über den Einfluss von Schweizbildern auf die japanische Gesellschaft.
Besonders das Konzept der Schweizer Neutralität hat es japanischen Gelehrten, Diplomaten oder Journalisten seit über hundert Jahren angetan. Zu verschiedenen Zeiten reflektierten sie das Thema in Reiseberichten, Zeitungen und Büchern oder übersetzten Werke aus der Schweiz. Dass dies jeweils im Zusammenhang mit einer besonderen politischen Situation Japans stand, ist eines der Ergebnisse, die auf der schweizerisch-japanischen Tagung präsentiert wurden. Veranstalter Meyer zeigte in seinem Referat, mit welchen politischen Ereignissen in Japan die Beschäftigung mit dem Schweizer Staatsmodell korrespondierte: Zur Zeit desRussisch-japanischen Krieges (1904/05) war es als pazifistische Alternative für das japanische Kaiserreich im Gespräch; wieder hervorgeholt wurde das Neutralitätsmodell – von linkerSeite – Ende der Fünfzigerjahre, als die Erneuerung des Sicherheitsvertrages mit den USA bevorstand. Doch erst in den Sechzigerjahren, so Meyer, begann man sich nicht mehr nur rhetorisch, sondern ernsthaft mit der Schweizer Neutralität auseinanderzusetzen. Dies brachte denn auch die Ernüchterung: Eine «bewaffnete Neutralität», wie sie in der Schweiz Realität war, hielt man für nicht übertragbar auf Japan.
Hingegen hat die seinerzeit in der Schweiz viel kritisierte Schrift «Zivilverteidigung», vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement 1969 herausgegeben, eine erstaunliche Karriere in Japan gemacht. 1970 wurde das Buch übersetzt und dabei ebenso aufwändig wie das Original gestaltet. In besonderen Krisensituationen wurde es danach immer wieder aufgelegt und diskutiert, zuletzt 1995 nach dem grossen Erdbeben in Kobe oder im Jahre 2003 als Reaktion auf das von Nordkorea verkündete Atomwaffenprogramm. Für einen Japanologen ist hier vor allem der Kontext interessant: weshalb solch ein Buch übersetzt wird, aus welchen Gründen es immer wieder aufgelegt wird oder welches Ziel Politiker oder auch Wissenschaftler damit verfolgen. «Solche Ueberlegungen sind in der Japanologie noch viel zu wenig angestellt worden», sagt Meyer und begründet damit gleichzeitig seine Initiative zu dieser Tagung.
Doch nicht nur der politische Aspekt wurde im Ostasiatischen Seminar an der Zürichbergstrasse behandelt. Weitere Referate wurden gehalten über die Pestalozzi-Rezeption in Japans Bildungssystem, das Schweizbild in japanischen Lehrbüchern, die reformierte Kirche oder auch über das Bild der Schweizer Wirtschaft in Japan.
Wenn Schweizer/innen ins Ausland reisen, erleiden sie mitunter einen Kulturschock angesichts der Vorstellungen von der Schweiz, mit denen sie konfrontiert werden. Besonders hartnäckig, so Dr. Heinrich Reinfried von der Hochschule St. Gallen, würden sich bestimmte Bilder von der Schweiz in Japan halten. Das liege vor allem an den Sprachproblemen und den dadurch bedingten «sehr engen Informationskanälen». Auch die Tagung in Zürich wurde zu einem grossen Teil auf japanisch abgehalten, weil in Japan oft die aktiven Fremdsprachenkenntnisse weniger gut entwickelt sind als die passiven. Ein Detail, das nicht ganz in das Bild passt, das man sich vom modernen Japan in der Schweiz macht. Doch das wäre bereits ein Thema für eine nächste Tagung.