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unipublic: Sie haben in München, wo Sie zuletzt Ordinarius waren, schwerpunktmässig Online-Kommunikation untersucht. Was fassen Sie alles unter diesen Begriff?
Werner Wirth: Es ist kein scharf umgrenzter Begriff, und ihn zu definieren, macht vielleicht auch wenig Sinn. Entscheidend ist, dass es immer mehr Online-Anwendungen gibt. Zunehmend erfolgt Online Kommunikation übers Handy. Vielleicht wird ja auch noch der Kühlschrank entwickelt,der selbstständig merkt, wenn die Butter ausgeht und sie per Internet nachbestellt . Allerdings beschränke ich mich nicht auf die Erforschung von Online-Kommunikation. Ich habe auch andere Schwerpunkte, etwa die Wirkung von Emotionalisierungen im Fernsehen.
Welche Forschungsfragen interessieren Sie besonders?
Die Frage, wie Menschen navigieren, nach welchen Entscheidungskriterien sie im World Wide Web etwas auswählen. Aufschlussreich dafür sind Suchmaschinen als das Tor zum Internet. Die Nutzer wissen kaum, wie diese funktionieren, welche kommerziellen Interessen verfolgt werden - zum Beispiel, welches bezahlte Links sind und ob solche überhaupt gekennzeichnet werden. So wird Medienmacht über Zugangssteuerung generiert; nehmen wir Google, das heute mit 70 Prozent des Verkehrs den Markt beherrscht.
Zu einem verwandten Thema haben wir gerade eine Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung abgeschlossen. Darin geht es um unerwünschte, pornografische oder rechtsextreme Links, sogenannte spam-Links, die man auf harmlose Anfragen in Suchmaschinen bekommt. Oft sind die spam-Link-Programmierer schneller als die Suchmaschinenbetreiber, die diese Links verhindern möchten. So kommt es zu einem regelrechten Software-Wettrüsten. Diese Vorgänge haben wir unter anderem in der Studie dokumentiert.
Haben die Menschen durch den Umgang mit dem Internet neue Verhaltensweisen entwickelt?
Die Verhaltensweisen gab es wohl schon immer, nur haben sie nicht eine solche Rolle gespielt und die technischen Möglichkeiten waren auch nicht da. So wie man sich beim Chatten eine Fantasie-Identität gibt - was übrigens gar nicht so häufig vorkommt - hat man sich vielleicht einmal auch in Briefen verstellt. Man kann recht viele von den vermeintlich neuen Verhaltensweisen auf bereits bekannte zurückführen.
Ich bin skeptisch, ob das Surfen im World Wide Web Auswirkungen auf die Persönlichkeit hat. Das sind Unkenrufe. Vereinsamte Surfer mag es geben, aber für den Hauptteil der Anwender ist das sicher kein Problem. Ganz im Gegenteil werden übers Internet oder das E-Mail soziale Kontakte geknüpft oder unterhalten.
Gibt es denn Spezifisches beim Orientierungsverhalten im Internet?
Als Internet-Nutzer stehe ich primär vor Entscheidungssituationen. Dafür wurden in der Entscheidungspsychologie bereits Modelle entwickelt, wenn auch zu anderen Situationen. Neu ist indessen, dass ich Informationen so schnell, so bequem und so reversibel bekommen kann: Wenn mir etwas nicht gefällt, gehe ich einfach wieder einen Schritt zurück. Das war bisher bei massenmedialen Anwendungen nicht in der einfachen Form möglich.
Die Entscheidung für den nächsten Schritt treffen wir zumeist unreflektiert aus dem Bauch heraus. Oft auch unter Vernachlässigung grosser Teile der Information, die eigentlich zur Verfügung steht. Zum Beispiel die Links bei einer Suchmaschine: Diese sind zwar in den Trefferlisten beschrieben, aber statt zu lesen schaue ich lieber gleich nach. Das Ausprobieren geht also über eine fundierte Suchentscheidung.
Ist die junge Online-Kommunikation ausschliesslich eine Erfolgsgeschichte?
Online-Banking und Aktienhandel sind sicher Erfolgsgeschichten, weil die Order unabhängig von der eigenen Präsenz per Internet gegeben wird. Der gesamte kommerzielle Bereich hingegen, in dem Produkte vertrieben werden, die man sinnlich fühlen muss, etwa Kleider, wird weniger Erfolg haben. Selbst wenn man irgendwann einmal seine virtuelle Figur im Internet jederzeit in Freizeitkleidung oder Abendroben kleiden kann, handelt es sich immer nur um ein Bild, während man in der Kleidung real herumlaufen muss.
Bücher oder Zeitschriften sind wesentlich Online-tauglicher. Man kann vor dem Kauf Auszüge lesen oder das Inhaltsverzeichnis ansehen und sich somit ein Bild von etwas machen, das man ohnehin nur medial wahrnimmt. Ähnlich geeignet sind Produkte, von denen es bestimmte Modelle gibt, die man entweder bereits kennt oder über die man sich genau informieren kann, wie bei elektronischen Geräten. Die Ware kann höchstens beschädigt sein. Bei diesen Geschäften geht es vor allem um die vertrauliche und zuverlässige Abwicklung des Kaufs und Verkaufs. Das funktioniert sehr gut. Auch «ebay» ist deshalb so erfolgreich, weil man ein System etabliert hat, bei dem die Käufer die Abwicklung von Bezahlung und Lieferung bewerten.
Gerade «ebay» funktioniert ja in der Schweiz nicht. Werden Sie sich hier in Zürich auch schweizspezifischen Fragen annehmen?
Selbstverständlich. Ich bin mit Herz und Seele Medienwissenschaftler und werde die Medien und die medienspezifischen Bedingungen in meiner unmittelbaren Umgebung beobachten.
Ausserdem haben die Studierenden hier ein Recht darauf, dass die Forschungsbeispiele aus ihrer Umgebung abgeleitet werden. Das ist eine Pflicht, der ich gerne nachkomme.
Stichwort Studierende: Ein grosser Teil der Publizistikstudierenden möchte nach dem Studium in den Journalismus gehen, obgleich man dafür an der Universität nicht ausgebildet wird. Wie gehen Sie mit diesen Erwartungen um?
Ich glaube, dieses Phänomen ist im Rückgang begriffen. Es ist eine Frage der Transparenz der eigenen Fachziele und -inhalte. Mein Interesse ist vor allem, Studierende für die Forschung auszubilden - für die universitäre und die kommerzielle, also auch für Markt- und Meinungsforschungsinstitute oder Unternehmensberatungen, die mit Forschung arbeiten. In der empirischen Forschung erwirbt man die Fähigkeit zur Arbeit im Team, denn man forscht immer in Gruppen und muss sich koordinieren. Und das analytische Aufdröseln von Problemen in kleinere Päckchen ist typisch für die empirische Forschung. Bei Absolventen-Befragungen kam heraus, dass das forcierte analytische Denken auch bei Bewerbungen in anderen Bereichen Vorteile verschafft, bei Management-Jobs beispielsweise. Unterm Strich bilden wir eben nicht für einen bestimmten Beruf aus, sondern für bestimmte Positionen.