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Von der Sandale bis zum Gartenzaun

Man stelle sich einen Werkstoff vor, der leicht und strapazierfähig ist, zugleich erneuerbar und zu hundert Prozent biologisch abbaubar. Aus dem sich sperrige Zäune ebenso wie zierliche Flöten, Teekannen und Pillendosen, Schwerter und Mausefallen konstruieren lassen. Blosse Utopie? Keineswegs. Überraschendes, nicht nur für Ingenieure, hält das Völkerkundemuseum der Universität Zürich bereit.
Sascha Renner

Sake Kanne, überzogen mit Bambusflechtwerk, wahrscheinlich frühes 19. Jahrhundert.

Es gibt ihn tatsächlich, den Universalwerkstoff, aus dem sich so ziemlich alles herstellen lässt, was das Herz eines Menschen begehrt. Zumindest eines, das im alten Japan schlug. Aus dieser Zeit nämlich stammt die Sammlung von Luxus-, Alltags- und Kunstgegenständen, die der Schweizer Handelsreisende Hans Spörry (1859-1925) zwischen 1890 und 1896 in Yokohama zusammentrug und die alle eines gemeinsam haben: den Bambus, aus dem sie gefertigt sind.

Spörry, der im Auftrag einer Seidenfirma nach Japan reiste, kam auf Umwegen zum exotischen Baumgras. Für einen bekannten, den Botaniker Carl Schröter aus Zürich, wollte er nebenbei einige Proben verschiedener Dinge sammeln, unter anderem auch «Rohmaterial, Objecte, Notizen über die Verwendung des Bambus». Was als Gefälligkeit begann, sollte zur fieberhaften Passion werden. Täglich zog Spörry durch die Strassen, immer auf der Jagd nach der nächsten Trouvaille, handelte, notierte, korrespondierte, ordnete und studierte. Dieser sonderbare Aktivismus trug ihm den Spott seiner Zeitgenossen ein: «Ganz Yokohama wundert sich, wie man etwas treiben solle, das so ganz ausser dem Rahmen des eigenen Berufes liege, gelehrt sein wollendes Zeug, das für einen 'Kaufmann' nicht passe und nichts einbringe».

«Bambusschirm-Fabrikant», Foto von Kusakabe Kinbei.

Den Wert der Spörry'schen Sammelwut erkannte der Reporter der NZZ hingegen sofort. «Wir empfehlen den Besuch der Ausstellung namentlich unsern Frauen, sie werden vieles finden was ihnen gefällt», schrieb er 1893 anlässlich der ersten Präsentation der Sammlung. So fremdartig manches in der Bambusindustrie auch erscheine, es gebe Hunderte von hübschen, sogar kunstvollen Sachen, die jedem europäischen Haus wohl anständen. Aber nicht nur der Handel, auch das heimische Kunstgewerbe könne Nutzen daraus ziehen. Es werde eine reiche Quelle fruchtbarer Anregung finden. Die enge Verflechtung von Ethnografie und gewerblichen Interessen tritt hier deutlich zutage.

Ob die Zürcher Damenwelt vom japanischen Hausrat begeistert war, entzieht sich unserer Kenntnis. Dass es die Wohnästheten von heute sind, bestätigt ein Augenschein im nahen Luxus-Warenhaus. Fernöstliche Wohnkultur liegt im Trend. Wie viel dies alles mit dem vormodernen Japan zu tun hat, lässt sich nirgends besser als im Völkerkundemuseum prüfen. Nicht einmal Japan hat ein ähnlich vollständiges Objektensemble vorzuweisen, wie Martin Brauen erklärt. Der langjährige Leiter der Ostasienabteilung zeichnet verantwortlich für den prachtvollen Katalog und die feinsinnige Inszenierung, die es erstmals seit achtzig Jahren wieder erlaubt, das historische Ensemble zu ergründen. Eigens konstruierte Vitrinen, alten japanischen Schaufenstern nachempfunden, rücken die Glanzstücke japanischer Handwerkskunst ins beste Licht, darunter so exzentrische Dinge wie Käferkäfige oder Hängevasen in Zikadengestalt.

Grillenkäfig aus geschältem Bambus.

Mit Spörrys Vermächtnis blickt das Völkerkundemuseum nicht zum ersten Mal auf alte Sammlungsbestände und die Persönlichkeiten, denen sie zu verdanken sind. 1995 war es die Sammlung afrikanischer Kunst von Han Coray, zusammengekommen in den zwanziger Jahren, die Gegenstand einer erfolgreichen Schau im In- und Ausland war. In beiden Fällen bürgen das hohes Alter und die exakte Datierbarkeit für die Authentizität des Sammlungsguts. Auch andernorts werden längst vergessene Sammler, Stifter und Reisende vom Staub der Vergangenheit befreit und mit opulenten Monografien gewürdigt. Der Sammlerpersönlichkeit gebührt dabei oft ebensolche Aufmerksamkeit wie der Hinterlassenschaft selbst. Diese Personalisierung des Ausstellungsbetriebs hat gegenüber geografischen oder vergleichenden Präsentationen durchaus ihr Gutes: Die eigene Sammlungsgeschichte wird reflektiert und dem Besucher als Teil einer spannenden Biografie in plastischer Weise zugänglich gemacht.

«Aufrecht, biegsam, leer. Bambus im alten Japan». Ausstellung im Völkerkundemuseum der Universität Zürich. Noch bis 29.2.04. Katalog CHF 132.-, Spezialpreis im MuseumCHF 78.-. Zahlreiche Veranstaltungen und Wechselausstellungen ergänzen die Hauptausstellung. Zurzeit «Bunraku-Puppen offstage», Fotos von Sato Junko, bis 3.8. Ausführliche Programminformationen unter www.musethno.unizh.ch. Ausserdem ist im Umgelände ein Bambuslehrpfad eingerichtet.

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