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Passen Sie auf Ihr Stirnhirn auf. Denn dort, hinter der kühlen oder eben heissen Stirn, werden alle Impulse, die Gewaltphantasien oder Aggressionsgelüste auslösen, als erstes verarbeitet - mit gutem oder schlechtem Ausgang. Die Hirnrinde ist dafür zuständig, die Kontrolle über negative Gefühle zu behalten. Diese Fähigkeit ist erst in der Pubertät voll entwickelt. Voraus geht eine lange Phase des Lernens an der Umwelt: Im Sandkasten haut man seinem besten Freund im Streitfall noch ungehemmt das Schäufelchen um die Ohren, als Erwachsener hat man subtilere Formen der Gegenwehr zur Verfügung: tief einatmen und den Gegenspieler verklagen zum Beispiel.
Wird das Gehirn beschädigt, so kann das zu einer höheren Gewaltbereitschaft führen. Das hat eine amerikanische Studie in Gefängnissen herausgefunden, erzählt die Organisatorin des rund zweistündigen BrainFair-Forums «Gewalt und Aggression», Prof. Marianne Regard, und führt aus, dass viele der gewalttätig gewordenen Gefängnisinsassen in den USA eine Hirnverletzung aufwiesen. Die Ursachen der Verletzung können unterschiedlich sein: durch Unfälle, schlagende Eltern, aber auch durch epileptische Anfälle, Geburtsschäden oder Alkoholmissbrauch (Vergiftung). Doch umkehrt lasse sich nicht schlussfolgern, dass hirnverletzte Menschen gewalttätiger seien als gesunde, betont die Neuropsychologin Prof. Regard. Nicht immer führe eine Verletzung des Gehirns zu einer negativen Veränderung der Impulsverarbeitung. Zu Störungen der Impulskontrolle laufe auch eine Nationalfondsstudie.
Marianne Regard leitet die Neuropsychologische Abteilung des UniversitätsSpitals Zürich. Ab und zu werden dort bei Gewaltverbrechern Tests der höheren Hirnleistungen (Gedächtnis, Impulskontrolle etc.) durchgeführt. Die Frage, die die Neuropsychologie dabei zu beantworten hat, ist nicht einfach und treibt die Gesellschaft wieder verstärkt um: Inwiefern ist ein Delinquent aufgrund seiner Gehirnstruktur resozialisierbar? Dass jemand derart hirngeschädigt sei, dass er als «hoffnungsloser Fall» eingestuft werden müsse, sei allerdings selten, erzählt die Professorin.
Ihre Forschungsarbeit bewege sich zwischen den Extremen «Täter» und«Opfer». Folgerichtig hat Marianne Regard bei der Organisation des BrainFair-Forums «Gewalt und Aggression» zwei Kollegen aus diesen Bereichen eingeladen, um der Bevölkerung auch diese Sicht auf Gewalt und Aggression zu bieten. Zur Opferperspektive wird sich Dr. med. Ulrich Lips äussern, Leiter Kinderschutz und Opferberatungsstelle der Universitäts-Kinderklinik in Zürich; und zur Täterbeurteilung Dr. med. Frank Urbaniok, Chefarzt Psychiatrisch-psychologischer Dienst, besser bekannt als «Gefängnispsychiater», der die Gefährlichkeit von Straftätern im Justizvollzug im Kanton Zürich beurteilt.
Viel Raum soll heute Dienstag, 18. März (18.30 bis 20.30 Uhr, ETH Zentrum, Auditorium Maximum) die Diskussion mit dem Publikum einnehmen. Denn in der Schweiz haben Opfer und Täter noch stärker miteinander zu tun als beispielsweise in den USA (wo ab und zu Amokläufer «aus dem Nichts» auftauchen). Hierzulande geschehen die allermeisten Gewalttaten unter Verwandten und Bekannten und sind also im weitesten Sinne Beziehungsdelikte.