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Das Niederschreiben von Liebesgefühlen wird zwar seit Jahrhunderten praktiziert, doch gibt es nur wenige sprachwissenschaftliche Arbeiten zu dieser Textsorte. Eva L. Wyss, Oberassistentin am Deutschen Seminar der Universität Zürich, hat sich des Themas angenommen und schreibt ihre Habilitation über Liebesbriefe des 20. Jahrhunderts. Um sich mit Forscherinnen und Forschern aus verschiedenen Disziplinen auszutauschen, hat sie ausserdem das erste Symposium zur Liebeskommunikation organisiert; es findet vom 20. bis 22. März 2003 in Frankfurt am Main statt.
6000 Briefe hat Eva L. Wyss für ihre Habil gesammelt. In ihrem Liebesbriefarchiv sind nicht nur klassische Schreibformen vertreten, sondern auch Faxe, Postkarten, E-Mails und SMS.
Betrachte man die Entwicklung der letzten hundert Jahre, erläutert die Habilitandin, so lasse sich eine interessante Renaissance des Korrespondierens feststellen: Ähnlich den Brautbriefen des 18. und 19. Jahrhunderts, die Verlobte aus bürgerlichem Milieu einander während der Verlobungszeit schrieben, würden heutige Verliebte das E-Mail zum Austausch von Liebesbotschaften nutzen. Mittlerweile verlieben sich fast so viele Leute auf einer der Kennenlern-Plattformen im Internet wie am Arbeitsplatz, dem bisherigen Liebesanbahnungsort Nummer eins. Aber auch in unverbindlichen Liaisons, in Beziehungen mit unklarem Status oder in Neben- und Fernbeziehungen kann heute reges Korrespondieren mittels neuer Medien beobachtet werden.
Der kulturelle Hintergrund allerdings hat sich stark verändert: Während das Briefeschreiben für die Verlobten des 19. Jahrhunderts ein eheeinleitendes und identitätsstiftendes Ritual darstellte, macht das Korrespondieren via Internet die Mediatisierung des Liebesdiskurses und der Liebesbeziehung, wie sie im 20. Jahrhundert zu beobachten ist, deutlich.
Während in der bisherigen Forschung zur Liebeskommunikation meist der Liebesdiskurs der westeuropäischen Kulturzentren interessiert (sprich: von weissen, heterosexuellen Menschen), wird am Symposium in Frankfurt der Blick in mehrfacher Hinsicht erweitert. Einerseits steht neben der heterosexuellen Liebe auch die homo- und bisexuelle Liebe zur Debatte, andererseits werden Liebesdiskurse thematisiert, die sich in aussereuropäischen Regionen wie beispielsweise im Nahen Osten und in Indien abspielen. Auf die interdisziplinäre Diskussion wird Wert gelegt: Kulturwissenschaftlerinnen, Soziologen, Psychologinnen, Literaturwissenschaftlerinnen und Kommunikationswissenschaftler werden ihre Forschungsergebnisse präsentieren.