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Weltgesundheitsorganisation WHO

Im Zentrum der Gesellschaft

Die Universität Zürich unterhält enge Kontakte mit der Weltgesundheitsorganisation. Deren Chefwissenschaftler Sir Jeremy Farrar appellierte vergangene Woche in einem Referat an der UZH an den Zusammenhalt der Gesellschaft. Die Hochschulen sieht er dabei in einer wichtigen Rolle.
Adrian Ritter

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Universitäten haben neben ihrer akademischen immer auch eine gesellschaftliche Aufgabe, erläuterte Jeremy Farrar in seinem Vortrag in der Aula der Universität. (Bilder André Hengst)

Klimawandel, Kriege, demographischer Wandel: «Ich hatte in meiner Karriere wohl noch nie eine Zeit, in der sich die Welt so unsicher anfühlte wie heute», sagte Sir Jeremy Farrar in seinem Referat vergangenen Freitag an der UZH. Dabei hat der 62-jährige Chefwissenschaftler der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durchaus schon einiges an Herausforderungen und Leiden in der Welt gesehen. Der Mediziner war zuvor unter anderem 17 Jahre Direktor der klinischen Forschung an einem Spital für Tropenkrankheiten in Vietnam. Heute leitet er die wissenschaftliche Abteilung der WHO, welche eine Führungsrolle einnehmen will, wenn es darum geht, Wissenschaft und Innovation bestmöglich zu nutzen, um weltweit die Gesundheit zu fördern.

In seinem Referat spannte Farrar den Bogen weit über das Thema Gesundheit hinaus auf gesellschaftliche Entwicklungen. Dabei betonte er, seine persönlichen Ansichten zu teilen und keine offizielle WHO-Position zu vertreten. «Wir befinden uns an einem Wendepunkt», ist Farrar überzeugt: «Viele Entscheidungen, die wir als Gesellschaft in naher Zukunft treffen, werden den Verlauf des 21. Jahrhunderts bestimmen.» Er meinte damit nicht nur die erwähnten Krisen und Herausforderungen, sondern insbesondere auch die rasante technologische Entwicklung. Wenn etwa in Zukunft primär künstliche Intelligenz den Inhalt des Internets bestimmten sollte, sei das eine besorgniserregende Vorstellung.

Sir Jeremy Farrar, Chefwissenschaftler der WHO (links) und Michael Schaepman, Rektor der UZH.

Global und lokal zugleich

Gleichzeitig biete die KI aber auch grosse Chancen. Dies etwa im Zusammenhang mit der Aufgabe der WHO, globale Guidelines zu Gesundheitsfragen zu entwickeln. Diese sollten noch besser auf die lokalen Kontexte in den einzelnen Ländern zugeschnitten sein. Künstliche Intelligenz werde dabei helfen, indem sie lokale Daten vermehrt berücksichtigt, hofft Farrar.

Überhaupt mache die Wissenschaft grosse Fortschritte, meinte der Referent etwa mit Verweis auf die neu verfügbare Malaria-Impfung. Wichtig sei, den technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt auszubalancieren – Risiken zu minimieren und die Vorteile möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Klar sei: «Wir können die Uhr nicht zurückdrehen.» Es gelte, den Wandel anzunehmen. Hilfreich wäre, nicht nur darauf reagieren zu müssen, sondern Entwicklungen antizipieren zu können. Ein geeigneter Ort dafür seien Universitäten mit ihrer Expertise. Sie hätten neben ihrer akademischen immer auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Dabei seien etwa die Geistes- und Sozialwissenschaften gefragt, sich einzubringen, um die Folgen technologischer Entwicklungen auf unsere Gesellschaft zu thematisieren.

Im Zentrum der Stadt

Gerade Universitäten wie die UZH, die mitten in der Stadt gelegen seien, eigneten sich hervorragend, um ein Ort der Debatte und Begegnung zu sein. In Zeiten auseinanderdriftender gesellschaftlicher Kräfte sei dies umso wichtiger.

Die Universität Zürich sei schon heute eng mit der Weltgesundheitsorganisation verbunden, wie UZH-Rektor Michael Schaepman in der Begrüssung zur Veranstaltung betonte hatte. Die WHO arbeitet weltweit mit mehr als 800 Forschungsinstitutionen zusammen – vier davon befinden sich an der Universität Zürich (vgl. Kasten). Sir Jeremy Farrar möchte diese Kooperationen weiter ausbauen und die Hochschulen noch wirksamer in die Arbeit der WHO einbeziehen.

Angeregte Diskussion unter der Leitung von Bioethikerin Nikola Biller-Andorno.

Getrennte Disziplinen

In diesem Zusammenhang forderte er Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf, sich noch mehr in die Diplomatie und Politik einzubringen. Zudem regte er an, die heutige Organisation der Hochschulen zu überdenken. Diese seien noch zu oft nach einzelnen Disziplinen getrennt organisiert. «Ich glaube, wir haben noch nicht herausgefunden, wie Multi- und Interdisziplinarität am besten funktioniert», so Farrar. Begegnungen über die Fachgrenzen hinaus sollten schon früh auf dem Bildungsweg junger Menschen ermöglicht werden – statt später aufwändig die entstandenen Gräben überwinden zu müssen.

«Ich habe keine einfache Antwort», antwortete Farrar auf die Frage aus dem Publikum, wie die WHO der gestiegenen Unsicherheit in der Welt begegnen könne. Ein wichtiger Aspekt sei, dass Wissenschaft und internationale Organisationen ihr Tun noch mehr erklären und transparent machen. Es gelte, klar aufzuzeigen, was man weiss und was man nicht weiss. «Gleichzeitig müssen wir uns an dieses höhere Niveau von Unsicherheit gewöhnen», sagte Farrar. Dabei sei aber unbestritten, dass es neben Unsicherheit auch Wahrheiten gebe, so der Referent mit Blick auf Phänomene wie Fake-News und die Infragestellung aller Wissenschaft.

Als grosser Optimist glaube er trotz aller anstehenden Herausforderungen an die Menschheit. Teil der Lösung müsse sein: mehr Engagement und Einbezug. Dabei gebe es erfreuliche Fortschritte. So sei etwa der Einbezug von Patientinnen und Patienten in die Gestaltung klinischer Studien heute viel verbreiteter als früher.

Sein Optimismus hat Sir Jeremy Farrar schlussendlich auch zur Weltgesundheitsorganisation geführt. So wie Universitäten wichtige Orte der Debatte seien, könne auch eine Organisation wie die WHO die Menschen einander wieder näherbringen.

Der Vortrag des WHO-Chefwissenschaftlers interessierte viele UZH-Angehörige.