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Das Podium zum Krieg in der Ukraine war von Rektor Michael Schaepman initiiert worden. Im Namen der UZH verurteilte er den russischen Angriff aufs Schärfste und versicherte, dass die vom Krieg Betroffenen unterstützt werden. «Wir wollen effizient und zielgerichtet Hilfe am richtigen Ort zur richtigen Zeit leisten», betonte er. Es sei ihm ein persönliches Anliegen, dass die UZH ihr Möglichstes tue, um Lehrende, Forschende und Studierende aus der Ukraine schnell und unbürokratisch zu unterstützen. Die UZH verstehe sich als öffentliche Institution, die freiheitlichen, demokratischen Werten verpflichtet sei. Der Rektor brachte ausserdem «seine tiefste persönliche Betroffenheit zum Ausdruck», insbesondere auch über die zunehmende Brutalität der russischen Kriegsführung.
Die UZH verfügt über verschiedene Möglichkeiten, um vom Krieg betroffenen Studierenden und Forschenden zu helfen, betonte Schaepman weiter. Aufgeführt sind die Hilfsangebote auf der Website «Solidarität mit der Ukraine». Die Hilfsangebote richten sich insbesondere an Studierende und Forschende aus der Ukraine, aber auch an russische
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die unverschuldet durch den Krieg in eine schwierige Situation geraten sind. «Wir unterstützen Institutionen sowie Forschende und Studierende in Russland, die unter der derzeitigen Situation unverschuldet leiden und sich im Rahmen des Möglichen für die europäische Werte- und Rechtsordnung einsetzen», führte der Rektor aus.
«Als Rektor wie auch als Wissenschaftler bin ich der Ansicht», sagte Michael Schaepman in seiner Einführungsrede zum Podium weiter, «dass Universitäten nicht dazu beitragen sollten, bestehende Fronten zusätzlich zu verhärten. Vielmehr kommt der Wissenschaft eine deeskalierende Rolle zu, indem sie Sachverhalte objektiv erörtert und Raum für eine offene Diskussion bietet. So, wie dies die heutige Podiumsdiskussion tun wird.»
Die anwesenden UZH-Angehörigen schätzten die Möglichkeit, Fragen an die Teilnehmenden des Podiums zu stellen, die bis auf die SRF-Korrespondentin Luzia Tschirky alle an der UZH lehren und forschen. Und Fragen gab es viele. Exemplarisch sollen hier sechs zentrale Fragen und die Antworten der Expertinnen und Experten auf dem Podium skizziert werden.
Fragen:
Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat letztlich alle erstaunt. Mittlerweile dauert dieser Krieg zwei Wochen. Sind Sie überrascht, wie sich die Auseinandersetzung bisher entwickelt hat?
Nada Bokovska-Leimgruber: Mich hat die sehr geschlossene Reaktion des Westens überrascht. Ich hätte sie nicht in diesem Ausmass erwartet. Nicht nur Staaten ergriffen Sanktionen, auch westliche Unternehmen – Sanktionen, die nicht nur finanzielle Auswirkungen haben, sondern das gesamte Leben in Russland betreffen – von der Kultur bis hin zum Sport.
Angenommen, Putin wäre nicht mehr russischer Präsident. Wäre dann eine politische Reform in Russland realistisch?
Luzia Tschirky: Ich vermute, dass nicht einmal der US-Geheimdienst, der vieles vorausgesehen hat, weiss, wer nach Putin als Reformer geeignet wäre. Es gibt wohl derzeit keinen Anwärter, von dem eine Öffnung Russlands zu erwarten wäre. Ich weiss, dass es ein Bedürfnis gibt, Hoffnung zu säen. Aber es ist besser, der Realität ins Auge zu sehen. Genauso wie es besser ist, Putin an seinen Taten, nicht an seinen Worten zu messen.
Stefanie Walter: Man darf nicht vergessen, dass der europafreundliche amerikanische Präsident Joe Biden nicht für ewig gewählt ist. Sollte er nicht wiedergewählt werden, sondern sein Rivale Donald Trump, sieht die Lage wieder völlig anders aus. Dann könnte es sein, dass sich die USA wieder stärker von Europa distanziert und nach Asien ausrichtet. Dieses Szenario sollte die EU bei ihren Entscheidungen unbedingt mitberücksichtigen.
Gibt es in der russischen Elite Personen oder Gruppen, die in ähnlichem Ausmass wie Putin für den Krieg verantwortlich sind?
Luzia Tschirky: Die staatlichen Medien wie das Fernsehen. Sie tragen eine grosse Mitschuld, dass sich Putins Propaganda vor allem in den Köpfen der älteren Leute so stark verankert hat. Die öffentliche Meinung wurde durch die Propaganda regelrecht zersetzt. Die einzelnen Individuen haben sich auf ihre kleine private «Insel» zurückgezogen.
Sylvia Sasse: Putin hat die Strukturen des Geheimdiensts fest in der Politik verankert. Das Misstrauen der Bevölkerung richtet sich gegen innen wie aussen. Viele wollen ihr Denken nicht mehr radikal ändern und schützen sich, indem sie sagen, auch der Westen betreibe Propaganda.
Ausserhalb Russlands – zum Beispiel in Armeniens Hauptstadt Jerewan – versammeln sich derzeit politische Flüchtlinge aus russischen Universitäten. Wie schätzen Sie deren Lage ein?
Luzia Tschirky: Unterstützen Sie junge Leute, damit sie im Westen studieren können und Einblick in offene Gesellschaftsformen erhalten. Die alte Generation in Russland ist verloren.
Syvia Sasse: Die Kommunikation in und nach Russland ist so erschwert, dass es wirksamer ist, im Ausland zu agieren und die oppositionelle Arbeit weiterzuführen, mit Gründungen von universitären Institutionen zum Beispiel oder indem man NGOs im Ausland unterstützt.
Wird der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die russischen Oppositionellen noch schützen können?
Luzia Tschirky: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist seit langem chronisch überlastet und unterfinanziert. Ich rate russischen Oppositionellen, auszureisen. Ausserhalb Russlands ist es einfacher, etwas zu tun.
Lorenz Langer: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist wichtig für die Zeit nach dem Krieg, dann könnte er eine wichtige Rolle spielen.
Gibt es ein Szenario, dass der Krieg ohne totale Zerstörung der Ukraine aufhört?
Hannah Smidt: Ich sehe eine Verhandlungslösung als friedlichste Möglichkeit, den Krieg zu beenden. Mit Verhandlungen konnte der Sezessionskrieg zwischen Georgien und der zu Russland strebenden Provinz Abchasien befriedet werden.
Stefanie Walter: Es gibt in der Ukraine wohl nur die Möglichkeit, sich schrittweise zum Frieden hinzubewegen. Dazu braucht es die Bereitschaft, weiter an Gesprächen teilzunehmen und der Gegenseite Angebote zu machen. Auch UNO-Blauhelme könnten stationiert werden. Solange die russische Seite jedoch glaubt, mit Krieg mehr herausschlagen zu können, sind Verhandlungen natürlich schwierig.
Lorenz Langer: Es gibt auch das Szenario einer neutralen Ukraine, die die östlichen Separatistengebiete und die Krim an Russland abtritt. Doch man darf nicht vergessen, dass die Ukraine 1945 (als Teilrepublik der Sowjetunion) einer der Gründungsstaaten der UNO war. Wenn ihre Rechte als souveräner Staat nun 2022 derart verletzt werden, schafft das einen gefährlichen Präzedenzfall.
Hannah Smidt: Ein Szenario sieht so aus, dass die Ukraine nur in der EU integriert wäre, aber nicht in die Nato ginge. Doch das wird Putin nicht akzeptieren. Er verfolgt eine Kapitulation der Ukraine und einen radikalen Wechsel des politischen Systems und der Regierung.