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Die beiden Semester an der UZH seien für ihn wie ein Goldenes Tor in die Zukunft gewesen, sagt Jawid Hashemi. Der 37-jährige Afghane ist einer von 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des ersten Integrationsvorkurses «START! Studium» an der Universität Zürich, der vor kurzem zu Ende gegangen ist. Der Kurs richtet sich an Flüchtlinge in der Schweiz, die einen höheren Bildungsabschluss haben, und soll ihnen die Basis und neue Perspektiven für Beruf und Studium ermöglichen. «Wir wollen einen chancengerechteren Zugang zum Studium für Menschen in schwierigen Lebensumständen schaffen», sagt Sara Elmer von der Abteilung Global Affairs der UZH, die das Programm als Projektleiterin betreut. Entstanden ist es in enger Zusammenarbeit mit der Integrationsfachstelle des Kantons Zürich, dem Staatssekretariat für Migration und diversen Fachstellen an der UZH.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer stammen aus zehn verschiedenen Ländern – gut die Hälfte kommt aus der Türkei, andere etwa aus Syrien, Russland, Venezuela, dem Iran oder wie Jawid Hashemi aus Afghanistan. Am Kurs an der UZH können sie ihre Deutsch- und Englischkenntnisse am Sprachenzentrum der Universität vertiefen, sich mit dem Schweizer Bildungssystem vertraut machen und als Gasthörerinnen und -hörer Vorlesungen besuchen und so akademische Luft schnuppern.
Jawid Hashemi hat sich für Vorlesungen zur «Schweizer Politik», zu «Introduction to Swiss Law» und «Colonialism, Nationalism, Globalization: Asia and the Middle East» eingeschrieben und damit an seine früheren Interessen angeknüpft. Hashemi hat in Afghanistan Rechts- und Politikwissenschaft und in Kirgistan Politikwissenschaft und Internationale Sicherheit studiert und danach unter anderem am Kabul Military Training Center zum Thema Terrorismusbekämpfung gelehrt. Als sich abzuzeichnen begann, dass die Taliban die Macht in seinem Heimatland übernehmen würden, musste er vor zweieinhalb Jahren flüchten.
«In der Schweiz fühlte ich mich zuerst wie ein Blinder», sagt Hashemi heute rückblickend. Er fühlte sich allein, ohne Perspektive und unvertraut mit den hiesigen Verhältnissen punkto Arbeit und Aus- und Weiterbildung. Eine ähnliche Erfahrung hat auch Maryam Nafei gemacht, die vor ihrer Ausreise aus dem Iran Maschinenbau und Biosystemtechnik studiert hat. «Anfänglich war ich hier in der Schweiz sehr isoliert und verunsichert, ich wusste nicht, wie es weiter geht und wie jeweils der nächste Monat aussieht», sagt die 25-Jährige. Über einen Bekannten ist sie dann auf das Angebot der UZH aufmerksam geworden. Sie meldete sich an und wurde zugelassen. «Ich hätte vor Freude weinen können», sagt Maryam Nafei. Jetzt, nach dem zweisemestrigen Integrationsvorkurs an der UZH sehe sie ihre Zukunft klarer vor sich. Sie hat sich an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften für ein Maschinentechnik-Studium und an der ETH für ein Maschinenbau-Studium beworben und wird nun bald zu den Aufnahmeprüfungen antreten.
Neben Sprach- und IT-Kursen und Fachvorlesungen gehören auch Beratungsgespräche und Informationsveranstaltungen von externen Organisationen wie dem kantonalen Berufsinformationszentrum zum Programm des Integrationsvorkurses an der UZH. «Der Kurs soll die Teilnehmenden nicht nur mit der akademischen Kultur und dem Schweizer Bildungssystem vertraut machen, sondern darüber hinaus berufliche Orientierung geben», sagt Sara Elmer. Diese Vermittlungsleistungen sind wichtig, denn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer stammen aus Ländern mit ganz unterschiedlichen Bildungstraditionen und Ausbildungssystemen als sie hierzulande üblich sind.
Die unterschiedlichen Ausbildungsniveaus und Bildungserwartungen der Teilnehmenden unter einen Hut zu bringen und mit den Anforderungen des Schweizer Hochschulsystems zu verbinden, sei denn auch eine der Herausforderungen des Kursangebots, sagt Sara Elmer. Beispielsweise gebe es Länder, in denen Buchhaltung ein Studienfach sei, während das Fach bei uns Teil einer KV-Lehre ist. Letztlich wird der Kurs deshalb nicht für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu einem Anschlussstudium an einer Hochschule führen. «Eine Absolventin hat aber bereits einen Job in einer Marketing-Firma gefunden und kann damit an ihre frühere Karriere anknüpfen», erzählt Sara Elmer, «damit ist das Ziel auch erreicht.»
Genauso wichtig wie die Wissensvermittlung sind die sozialen Kontakte, die der Kurs an der UZH ermöglicht. Sie sind es, die dem Gefühl von Ohnmacht und Isolation, das viele Flüchtlinge in der Schweiz erfahren, entgegenwirken. So bieten Studierende des VSUZH etwa Deutsch-Nachhilfestunden an. «Dieser Austausch mit den Studierenden war für mich sehr wichtig», sagt Jawid Hashemi, «ich habe nicht nur besser Deutsch gelernt, sondern auch viel über die Schweiz erfahren und konnte so auch Selbstvertrauen gewinnen.» Künftig möchte der Afghane an der UZH «International and Comparative Law» studieren und befindet sich zurzeit im Zulassungsverfahren. Später hat er vor, für eine internationale Menschenrechtsorganisation zu arbeiten. Er kann sich aber auch vorstellen, das Anwaltspatent zu machen und sich als Anwalt für Flüchtlinge in der Schweiz einzusetzen. «Momentan bin ich noch sehr mit mir selbst beschäftigt», sagt Hashemi, «in Zukunft möchte ich aber der Gesellschaft etwas zurückgeben.»
Ob sich die Wünsche und Pläne der ersten vierzig Absolventinnen und Absolventen von «START! Studium» realisieren lassen, steht momentan noch in den Sternen. «Zwar werden wir bald sehen, wer zu einem Studium zugelassen wird», sagt Sara Elmer. Doch die Frage, ob dieses dann auch abgeschlossen wird und ob der Berufseinstieg letztlich klappt, wird sich erst in einiger Zeit beantworten lassen. Dann wird auch darüber entscheiden, ob der Integrationsvorkurs an der UZH verstetigt wird. Im Rahmen eines Pilotprojekts werden bis 2024 noch zwei weitere Integrationsvorkurse geführt.