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Für mich war das eine unglaubliche Überraschung: Sosehr ich das positive Feedback der Studierenden in den Veranstaltungen seit langem zu spüren glaube, hätte ich doch nicht im Traum daran gedacht, dass sie mich für diesen Preis nominieren würden, zumal meine offizielle Lehrtätigkeit ja bald zu Ende geht. Umso beglückender ist jetzt das Gefühl, dass die «Botschaft» offensichtlich ankommt.
Am wichtigsten scheint mir das feu sacré: Man muss von den Schätzen, die wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermitteln dürfen – und diese sind im Falle der Antike, mit der ich mich beschäftige, bis heute von unglaublicher Aktualität –, gepackt sein und für sie brennen, damit der Funke überspringt und die intellektuelle Neugierde bei den Studierenden entfacht wird.
Für mich bleibt das Humboldt’sche Ideal der Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden leitend, wobei ich im Laufe der Zeit auch immer mehr zum Anhänger der kollektiven Intelligenz geworden bin. Schon Platon spricht von der Wichtigkeit des «intensiven Zusammenseins und Zusammenlebens um die Sache herum»: Zumal in Seminaren lässt es sich erleben, wie man voneinander lernen kann, wie das gemeinsame Ringen und kritische Hinterfragen eigener und fremder (Vor-)Urteile mit einem Mal Einsicht und Erkenntnis aufblitzen lässt.
Die Begeisterung wächst wohl nicht zuletzt aus diesem Gemeinschaftsgefühl heraus und ausserdem auch aus der zuweilen geradezu berauschenden Erfahrung, dass die grossen Anstrengungen, die das philologische Erschliessen der jahrtausendealten Texte von jeder und jedem zweifellos abverlangt, zu geistigen Horizonterweiterungen führen, die uns Aufschluss über uns selbst geben und auch eine gewisse Orientierungshilfe in den tiefgreifenden Umbrüchen unserer Gegenwart bieten können.
Für mich ist es je länger desto mehr die erstaunliche Aktualität etwa der politischen Philosophie und ganz allgemein des Sinnierens über die conditio humana, wie es schon in der ältesten griechischen Dichtung greifbar ist. Das kritische Reflexionspotential der Antike für heute neu bewusst zu machen, gehört auch zu den Hauptzielen des seit 2019 operativen ZAZH – Zentrum Altertumswissenschaften Zürich, das mir in den letzten Jahren besonders am Herzen gelegen hat. Kommt hinzu, dass man als Gräzistin und Gräzist einen regelrechten «embarras de richesses» hat und aus einer Vielzahl von Bereichen je individuelle, den eigenen Neigungen entsprechende Schwerpunkte auswählen kann.
Die Bandbreite reicht von bekannten und weniger bekannten Klassikerinnen und Klassikern jeder Gattung bis zu Gebrauchstexten, aber auch das griechische Alte und Neue Testament sowie pagane und frühchristliche Schriften gehören dazu, die in den ersten Jahrhunderten nach Christus eine Art «clash of civilizations» erkennen lassen. Von dieser enormen Fülle lässt sich höchstens ein Bruchteil selbst erforschen, und jeder Tag beglückt einen von neuem mit inspirierenden Gedankensplittern aus dem unerschöpflichen Fundus.
Das Schönste an der Lehre ist ohne Zweifel der lebendige Austausch mit klugen jungen Leuten: In der Gräzistik haben wir vergleichsweise wenige Studierende, aber da der Employability-Aspekt für die Wahl des Fachs kaum eine Rolle spielt und der Gegenstand anspruchsvoll ist, sind diese meist ausserordentlich motiviert und engagiert, so dass es eine wahre Freude ist, mit ihnen gemeinsam geistige Entdeckungsreisen zu unternehmen. An der jetzigen Generation der Studierenden beeindrucken mich allgemein die Leistungsbereitschaft und die intellektuelle Neugierde, ausserdem aber auch das in den letzten Jahren wieder merklich gewachsene Interesse an gesellschaftlichen und politischen Fragen.
Wir hatten in Zürich das Glück, unter den Dozierenden einen Weltklasse-Gräzisten wie Walter Burkert zu haben: Wenn seine Lehre zu Beginn auch eine Herausforderung darstellte, so zog er mit der stupenden Fülle seines Wissens und der atemberaubenden Weite seines interdisziplinären Zugriffs doch alle sogleich in den Bann. Als geradezu vorbildlich empfand ich später in München die Art und Weise, wie der herausragende Philosophiehistoriker Werner Beierwaltes die Oberseminare leitete: Die liberale Diskussionskultur, die Geduld und Offenheit für kritische Einwände sowie die menschliche Wärme, die diese Veranstaltungen prägten, schienen mir modellhaft und dem platonischen Ideal eines möglichst hierarchiefreien «Zusammenseins um die Sache herum» zu entsprechen.
Die Frage erinnert an die auf die griechische Sophistik zurückgehende Diskussion über das Verhältnis von nature und nurture, und wie dort, denke ich, ist auch hier im Grunde beides gleichermassen notwendig. Es braucht auf der einen Seite eine im Naturell der Lehrperson angelegte Kommunikationsfähigkeit und auch eine natürliche Affinität zum Unterrichtsgegenstand. Auf der anderen Seite erfordert nicht nur die Transformation geistig komplexer Sachverhalte in didaktisch überzeugende Lerneinheiten harte Arbeit. Belastbarkeit ist vielmehr überhaupt erst die Voraussetzung für den Erwerb der fachlichen Kompetenz, die bei der universitären Lehre fraglos an erster Stelle steht: Ohne aussergewöhnliches Engagement und höchste Konzentration wird man in keinem Wissensbereich zu einer in die internationale scientific community eingebundenen Expertin oder einem Experten. Insofern ist der akademische Weg gewiss auch durch Entsagungen gekennzeichnet. Diese werden jedoch mehr als kompensiert durch das Glücksgefühl, das die geistige Erkenntnis – nach Platon und Aristoteles generell die höchste Lust für den Menschen – auslöst. Ausserdem ist es eine einmalige Chance, wenn man gewissermassen sein Hobby zum Beruf machen kann.
Die Erfahrungen während der Covid-Pandemie haben uns, glaube ich, sowohl Chancen wie auch Grenzen digitaler Lehre erkennen lassen. Dass wir dank schneller Reaktion der universitären Verantwortlichen sogar unter Lockdownbedingungen die Lehre im virtuellen Raum weiterführen konnten, empfand ich ungeachtet aller Mehrarbeit und der sich zunehmend einstellenden Zoom-Müdigkeit als Privileg, und dass die Ergänzung von live-Veranstaltungen durch Podcasts den Studierenden einen grösseren Spielraum in der Gestaltung ihres Studiums bietet, ist ebenfalls evident. Andererseits eignen sich für letzteres im Grunde nur weniger interaktive Lehrformate wie Vorlesungen, und selbst bei diesen geht für die Studierenden durch die Verlagerung ins Digitale ein wichtiges Element studentischen Lebens verloren: der direkte Kontakt mit Kommilitoninnen und Kommilitonen, dessen Fehlen, wie sich gezeigt hat, zu Vereinsamung und auch zu psychischen Problemen führen kann.
Die Überlegenheit der – mit Platon zu reden – «beseelten Rede» (empsychos logos) in der physischen Begegnung von Mensch zu Mensch zeigt sich jedenfalls klar in den Seminaren, die vom spontanen Austausch und gemeinsamen Lehren und Lernen leben. Dies schliesst klug gestaltete hybride Mischformen nicht aus, doch scheinen mir solche am ehesten für Einführungs- und Übungsveranstaltungen sinnvoll, bei denen die Vermittlung von Grundkenntnissen gegenüber dem forschenden Erkunden von Neuland im Vordergrund steht.
Am wichtigsten scheint mir, die richtige Balance zwischen Verschulung und curricularer Autonomie der Studierenden zu finden. Das ist angesichts der stetig wachsenden Studierendenzahlen bei gleichzeitiger Stagnation der Professuren keine geringe Herausforderung, und in den letzten Jahren hat das Pendel wenig überraschend Richtung Verschulung ausgeschlagen. Doch wenn die Kernaufgabe der Universität darin besteht, Raum für kritische Reflexion zu schaffen und die Studierenden durch konsequentes Überprüfen vermeintlicher Gewissheiten intellektuell und emotional hellhörig zu machen, dann wäre es an der Zeit, beherzt Gegensteuer zu geben und wieder mehr Platz für individuelle Studienkombinationen und Elemente des Studium generale zu schaffen.