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Eigentlich ist die Idee naheliegend, doch Virenforscher Cornel Fraefel und sein Team vom Virologischen Institut der UZH waren die Ersten, die sie hierzulande umsetzten: Sie untersuchten Fledermäuse auf bedrohliche Viren. Die Flattertiere sind bekannt für ihr robustes Immunsystem und eine Lebensweise, die den Austausch von Viren untereinander fördert. Sie gelten deshalb als Reservoir von potenziellen Krankheitserregern, die Menschen gefährlich werden können. Die von Cornel Fraefel und Jakub Kubacki initiierte Studie wurde von der Doktorandin Isabelle Hardmeier durchgeführt, dauerte mehrere Jahre und war ein Volltreffer: In den gut 7000 Kot- und Gewebeproben der 18 Fledermausarten, die in der Schweiz heimisch sind, fanden sich Teile des Erbguts von 39 verschiedenen Virenfamilien, darunter solchen, die für ihr Krankheitsrisiko berüchtigt sind.
Besonders nachdenklich stimmte der Fund eines Beta-Coronavirus im Stuhl einer Zweifarbfledermaus (Vespertilio murinus). Die genetischen Analysen zeigten eine enge Verwandtschaft mit dem Coronavirus, das im Nahen Osten zur Mers-Epidemie (Middle East Respiratory Syndrom) und mehreren hundert Toten geführt hat. «Unsere Studie zeigt, wie wichtig es ist, Fledermäuse auch in der Schweiz regelmässig zu untersuchen», sagt Fraefel, der auf die aussergewöhnliche Vielfalt der gefundenen Viren hinweist. Manche von ihnen wurden noch nie klassifiziert.
Die provisorischen Resultate wurden auf dem Höhepunkt der ersten Covid-19-Welle im Frühling 2020 bekannt und lösten ein grosses Echo aus. Die mittlerweile publizierte Untersuchung bestätigt eindrücklich, was Forscherinnen und Forscher seit Jahren anmahnen: Die Vielfalt unbekannter Viren und das Risiko neuer Erreger aus dem Tierreich, sogenannter Zoonosen, sind riesig – die nächste Pandemie wartet sozusagen um die Ecke. Nicht nur in entfernten und abgelegenen Weltgegenden, sondern auch bei uns. Fachleute schätzen in einer aktuellen Studie die Zahl der unbekannten Virenarten allein in Säugetieren und Vögeln auf 1,7 Millionen. Davon hätten rund 700000 das Potenzial, Menschen zu infizieren, wie das internationale Biodiversitätsforum IPBES in der Studie warnt. Nicht gezählt die Zigtausenden Bakterien und weiteren Parasiten, die Menschen gefährlich werden können. Die wichtigsten Reservoire der potenziellen viralen Krankheitserreger sind Fledermäuse, Nagetiere, Primaten, Wasservögel und Nutztiere wie Schweine oder Geflügel.
«Fledermäuse zeichnen sich durch eine Vielzahl biologischer Eigenheiten aus, die sie als Reservoir für Viren und ihre Verbreitung prädestinieren», sagt Cornel Fraefel. Dazu zählen ihr robustes Immunsystem und ihre Lebensweise. Fledermäuse sind langlebig und werden bis zu 40 Jahre alt, sie können teils Hunderte von Kilometern fliegen und leben eng beieinander in riesigen Kolonien, die mancherorts Millionen von Tieren umfassen. Durch ihre gegenseitige Nähe und Mobilität tauschen sie häufig Viren aus und können Menschen direkt oder über einen Zwischenwirt indirekt infizieren.
Damit es zu einem Sprung und einem Wirtswechsel auf den Menschen kommen kann, muss das Virus erst neue Eigenschaften erwerben, die es ihm erlauben, menschliche Zellen zu infizieren. Diesen Weg von der Fledermaus über einen Zwischenwirt hat ein Coronavirus im Fall von Sars im Jahr 2003 nachweislich genommen. Beim aktuellen Coronavirus scheint der Ursprung in einer Fledermaus sehr wahrscheinlich, nachgewiesen ist er aber noch nicht. Allerdings: Ein naher Verwandter des neuen Coronavirus Sars-CoV-2 namens RaTG13 wurde 2013 in einer Population von Hufeisennasen (einer Fledermausart) im Süden Chinas aufgespürt. Ob die aktuelle Pandemie auf dieses Virus oder andere Vorgänger zurückgeht, ist jedoch unklar.
Jedes Jahr gibt es im Schnitt fünf neue Erreger, denen ein erster Sprung von Tieren auf Menschen gelingt, schätzen die Verfasser der IPBES-Studie. Die meisten können sich allerdings nicht an den neuen Wirt anpassen und die Zoonose scheitert. Wenn der Erreger aber fähig ist, sich zu etablieren und zu vermehren, kann eine Epidemie ausgelöst werden, die sich im schlimmsten Fall zum weltweiten Flächenbrand ausweitet. Grössere und kleinere Ausbrüche neuer Erreger ereignen sich laut Experten immer häufiger: 1997 die Vogelgrippe H5N1 in Hongkong, 1998 das Nipah-Virus in Malaysien, 2002 Sars-CoV-1 in Guangdong, 2012 Mers in Saudiarabien, 2016 Ebola in Guinea, 2019 Sars-CoV-2 in Wuhan.
Weil am Anfang eines solchen Ausbruchs immer ein physischer Kontakt zwischen Tier und Mensch stehen muss, wird die Zunahme dadurch begründet, dass solche Zusammentreffen häufiger geworden sind, vor allem mit wilden Tieren. Ursache sind etwa Brandrodungen im Urwald und generell die Erschliessung neuer landwirtschaftlicher Gebiete, der Wildtierhandel, aber auch die weltweite Mobilität. Dazu kommt der Klimawandel, der die Verbreitung von Krankheitserregern begünstigt.
Unterdessen finden sich auch hierzulande Asiatische Tigermücken (Aedes albopictus). Das einst in Südostasien heimische Insekt wurde 2003 erstmals im Tessin gesichtet, seither hat es sich im Südkanton etabliert und wird regelmässig auch im Norden beobachtet. «Die Tigermücke steht beispielhaft für die Auswirkungen des Klimawandels», sagt Cornel Fraefel. Problematisch ist diese Entwicklung, weil die Tigermücke als Träger gefährlicher Zoonosen wie des Dengue-Fiebers, des Gelbfiebers oder des Zika-Virus bekannt ist. Fraefel hat mit seinem Team kürzlich über 500 Tigermücken aus dem Tessin auf gefährliche Viren untersucht – und zum Glück noch nichts gefunden. Für den Virenforscher ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Übertragungen von Zika oder Dengue von heimischen Tigermücken in der Schweiz stattfinden. «Wir müssen damit rechnen, dass sich diese Zoonosen hier festsetzen», prophezeit Cornel Fraefel.
Man muss sich die Welt der Mikroben und ihrer Wirts-
tiere als ständigen Wettlauf zwischen Anpassung und Abwehr vorstellen. Aus Sicht eines Bakteriums oder Virus bedeutet eine erfolgreiche Strategie, dass es möglichst viele Wirtstiere befallen und neue Arten besiedeln kann. Durch zufällige Mutationen erschliessen sich den Mikroorganismen neue Opfer. Der Wirt wehrt mit seinem Immunsystem den Eindringling so gut wie möglich ab. Trifft das Virus im Wirt auf verwandte Viren, passiert das, was man als eine Art Virensex bezeichnen könnte. Sie tauschen untereinander grössere Erbgutstücke aus und erreichen damit, dass sie eine Zeit lang unter dem Radar des Immunsystems durchlaufen. Dieses Prinzip der ständigen Veränderung der Gestalt beherrschen Influenzaviren besonders gut.
Höchst gefährlich wird es, wenn Influenza-A-Viren verschiedener Wirtstierarten untereinander Erbgutstücke austauschen. Denn verschiedene Stämme von Influenza kursieren in Schweinen, Vögeln und Menschen. Kommt es zu Rekombinationen zwischen diesen Varianten, drohen pandemische Stämme, denen das menschliche Immunsystem wenig entgegenzusetzen hat. 1997 konnte eine Pandemie mit einer neu ausbrechenden Vogelgrippe in Hongkong durch die Tötung von Millionen von Hühnern im letzten Moment verhindert werden. Die Grippe-Pandemie von 1918 hingegen kursierte weltweit in mehreren Wellen und kostete zwischen 20 und 50 Millionen vornehmlich jüngere Menschen das Leben. Zum Vergleich: Covid-19 hat bis im Herbst 2021 rund 4,5 Millionen Todesopfer gefordert.
Influenza-Erreger gelten aufgrund ihrer genetischen Eigenschaften als ständiges Pandemierisiko und werden auch an der UZH erforscht. Die Alarmglocken schrillten, als ein amerikanisches Forschungsteam vor wenigen Jahren in Guatemala ein bisher unbekanntes Influenza-A-Virus in Fledermäusen entdeckte. Das aus einer Gelbschulterfledermaus (Sturnira lilium)stammende Virus nutzt zur grossen Überraschung der Forschenden eine andere Eintrittspforte zum Befall von Zellen als die bekannten Influenza-A-Viren. Es gehört zu einer neuen Virusgruppe und ein Sprung auf den Menschen könnte fatale Folgen haben.
Gruppenleiterin Silke Stertz vom Institut für Medizinische Virologie der UZH untersucht mit ihrem Team die molekularen Details des Infektionsgeschehens dieses Virus. Die Molekularbiologin konnte kürzlich nicht nur den neuen Rezeptor ausfindig machen, den das Virus nutzt. Sie konnte diesen auch in menschlichen Zellen und anderen Arten nachweisen und Mäusezellen mit dem Fledermausvirus infizieren. «Das Virus hat zoonotisches Potenzial und ist eine mögliche Gefahr für Menschen», bilanziert die Forscherin. Wie gross dieses ist, lasse sich schwer beziffern. Aber angesichts der bekannten Virulenz von Influenza-A-Viren sei Vorsicht angebracht.
Das neue Influenzavirus wirft ein Schlaglicht auf die Vielfalt und die dauernden Veränderungen der unzähligen Viren und Bakterien in der Tierwelt. Möglicherweise haben die Forscher in Guatemala just ein Virus aufgestöbert, das nur wenige Mutationen davon entfernt ist, Menschen zu befallen. Um das Risiko neuer Zoonosen für den Menschen zu verkleinern, befürworten Fachleute wie Silke Stertz oder Cornel Fraefel zusätzliche Überwachungsprogramme in Wildtier- und Nutztierpopulationen, die für einschlägige Zoonosen berüchtigt sind. One Health bedeutet hier, die Entstehung neuer Krankheiten gar nicht erst zuzulassen. Allerdings ist es einfacher, Wasservögel oder Hühner zu beproben als Fledermauspopulationen in abgelegenen Höhlen oder Wildtiere im Dschungel. Wie weit eine engmaschige Beobachtung zur Früherkennung neuer Zoonosen umsetzbar ist, wird sich zeigen. Die Erfahrung lehrt: Mikroben sind uns meist einen Schritt voraus.