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Melanie Röthlisberger ist Sprachwissenschaftlerin und hat über englische Sprachvarietäten doktoriert. Zurzeit untersucht sie bei Kindern in und um Winterthur, inwieweit sie sprachliche Merkmale der Migrationsbevölkerung ins Schweizerdeutsche übernehmen. Das vom SNF geförderte Projekt «My child speaks Balkan Slang» beschäftigt sie allerdings nur Teilzeit.
Im Hauptamt arbeitet die Linguistin seit kurzem in der Abteilung Data Services & Open Access der Hauptbibliothek HBZ. «Open Access hat in meiner Forschung von Beginn weg einen grossen Stellenwert eingenommen», sagt Röthlisberger. Als Mitarbeiterin der HBZ kann sie nun ihr Know-how weitergeben. Geplant ist, dass sie und ihr Team Studierenden und Nachwuchsforschenden an der UZH im Rahmen des Programms «Digital Skills for You» die Grundlagen von Open Science in speziellen Kursen vermittelt.
Als Linguistin, die mit digitalisierten Sprachsammlungen arbeitet und Analyseskripts programmiert, hat Röthlisberger eine Schwäche für Daten und Statistiken. Ihr Engagement für das Thema Open Science geht allerdings weniger auf ihre eigene Forschung zurück als auf Erfahrungen mit Zugangsbeschränkungen für wissenschaftliche Publikationen.
An der Universität Leuven in Belgien, wo sie zwischen 2014 und 2018 für die Doktorarbeit forschte, kam es immer wieder vor, dass manche der für sie interessanten Publikationen nicht verfügbar waren. Also beschaffte sie sich diese über die besser ausgestattete UZH. «Diese Erfahrung schärfte mein Bewusstsein dafür, wie wichtig es ist, dass wissenschaftliche Arbeiten öffentlich zugänglich sind», sagt sie. Gleichzeitig war ihr Doktorvater ein «vorbildliches Beispiel», da er seine Manuskripte und Datensätze immer so früh als möglich online frei zur Verfügung stellte.
Für die Forscherin gibt es eine Vielzahl von Gründen, die für Open Science – den freien Austausch von Forschungsdaten, Publikationen und Programmen – sprechen. Zum einen bezahle die öffentliche Hand bzw. die Allgemeinheit die Forschung, weshalb sie auch ein Recht habe, die Ergebnisse unentgeltlich einzusehen, meint sie. Zum anderen hänge der Fortschritt in den Wissenschaften von der Reproduzierbarkeit der Ergebnisse ab.
Forschungsarbeiten lassen sich einfacher überprüfen, wenn die Publikationen und die ihnen zugrunde liegenden Daten frei verfügbar sind. Wobei sich das akademische Publikationswesen je nach Fachgebiet unterscheide und aufwendig organisiert sei – Stichwort Peer Review. «Von einem offenen Austausch profitieren die Forschenden und die Gesellschaft», bilanziert Röthlisberger. Dies gelte vor allem auch für Angehörige weniger gut dotierter Hochschulen, denen dadurch der ganze Forschungsoutput zur Verfügung stehe.
Forschungsorganisationen wie der Schweizerische Nationalfonds SNF oder der europäische ERC verlangen deshalb seit 2020 freien Zugang zu Veröffentlichungen, die aus von ihnen finanzierten Projekten entstehen. Ähnliches schreibt der PlanS der cOAlition S, eines Konsortiums verschiedener europäischer Forschungsinstitutionen, ab 2021 vor.
Auch die UZH verlangt von ihren Forschenden einerseits die Ablage ihrer Publikationen im öffentlich zugänglichen Repositorium ZORA, andererseits sollten wissenschaftliche Arbeiten möglichst rasch nach der Publikation frei verfügbar sein – entweder als akzeptiertes Manuskript oder noch besser als vom Verlag formatierter Artikel. Verbindliche Kriterien werden gegenwärtig an der UZH in einer Open Science Policy festgeschrieben, die im Laufe des Jahres veröffentlicht wird.
Melanie Röthlisberger unterstützt diese Zielsetzungen unter anderem als Botschafterin für Open Access des SNF. Gleichzeitig sieht sie auch die Herausforderungen für die Forschenden. «Im Detail sind die Abläufe und Anforderungen recht kompliziert», sagt die Linguistin. Besonders Nachwuchsforschende, die mit ganzer Kraft an einer Doktorarbeit arbeiten oder einen Postdoc absolvieren, würden angesichts der Anforderungen von Open Science an Grenzen stossen.
Das beginnt bei der Suche nach der geeigneten Zeitschrift, geht weiter mit den detaillierten Open-Access-Bedingungen und endet mit allfälligen Gebühren (APC Article-Processing Charge). Zudem kann es Zielkonflikte zwischen Karriere und offenem Publikationswesen geben, weil die gewünschten Open-Access-Standards von manchen hoch renommierten Journals (noch) nicht angeboten werden oder aber die APCs in hybriden Zeitschriften (Subskriptionszeitschriften, die Open Access für einen Artikel nur gegen Bezahlung von APCs anbieten) nicht von Förderern bezahlt werden.
Hier spielen auch die Rekrutierungsbedingungen an den Hochschulen hinein, die im Rahmen der DORA-Deklaration (Declaration on Research Assessment) gegenwärtig angepasst werden. «Das Publikationswesen ist im Umbruch, ein Kulturwandel findet statt, aber die Rekrutierungsbedingungen verändern sich langsamer, als die Anforderungen an die Forschenden wachsen», sagt Röthlisberger.
Mit den Kursen, die Melanie Röthlisberger und ihre Kolleginnen und Kollegen für «Digital Skills for You» anbieten werden, sollen Studierende und der Nachwuchs an der Universität Zürich für die praktische Umsetzung von Open Science befähigt werden. Geplant ist die Vermittlung der Grundlagen, aber vor allem auch von «praktischen Fähigkeiten». Die Kurse sollen im Rahmen der School for Transdisciplinary Studies angeboten werden, der Start ist für das Herbstsemester vorgesehen.
Dieser Artikel stammt aus dem UZH Journal Nr. 2/2021