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Mit der Corona-Pandemie ist das Thema Desinformation – d.h. absichtlich verbreitete Falschnachrichten – definitiv in der Schweiz angekommen. Dies zeigen die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung, die das Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) Ende 2020 in der Schweiz durchgeführt hat. Fast die Hälfte der Befragten (49%) schätzt Desinformation als «grosses» bis «sehr grosses» Problem ein, dies vor allem für die Bewältigung von gesellschaftlichen Krisen. Knapp ein Viertel gibt an, «oft» bis «sehr oft» auf Falschnachrichten zu stossen. Als Hauptquellen von Desinformation geben die Studien-Teilnehmenden soziale Medien (62%), Alternativmedien (39%), Videoportale (36%) oder Messenger-Apps (28%) an. Professionelle journalistische Medien wie Newssites (20%) oder das Fernsehen (13%) werden weniger oft als Quelle von Desinformation genannt. Im Gegenteil: Die Bevölkerung nutzt Informationen aus journalistischen Medien (61%) sowie von Bund und Behörden (68%), um den Inhalt von Fake News zu überprüfen.
Auch in der zweiten Welle der Pandemie schenken die Medien dem Thema Corona eine sehr hohe Beachtung – allerdings weniger als in der ersten Welle (siehe Studie 2020), trotz steigender Fallzahlen. Das Coronavirus wird auch seltener explizit als Bedrohung dargestellt (6%) als in der ersten Welle (16%). «Eine «Panikmache», wie dies den Medien häufig vorgeworfen wird, lässt sich somit empirisch nicht feststellen», sagt Medien-Experte und fög-Direktor Mark Eisenegger. Der Anteil Medienbeiträge, die gegenüber den Behörden sehr positiv ausfallen, bleibt weiterhin tief (0.3%). Somit bestätigt sich der Vorwurf einer unkritischen «Hofberichterstattung» nicht. Zahlen und Statistiken werden im Vergleich zur ersten Welle von den Medien häufiger eingeordnet (21% vs. 12% in der ersten Welle), was positiv zu werten ist.
Die Vielfalt der Expertinnen und Experten bleibt in der zweiten Pandemiewelle jedoch stark eingeschränkt. So dominieren weiterhin Stimmen aus der Medizin, Virologie und Epidemiologie, obwohl fast alle gesellschaftlichen Bereiche von der Pandemie betroffen sind. Weibliche Wissenschaftlerinnen sind zwar sichtbarer geworden (21% vs. 12% in der ersten Welle), bleiben jedoch weiterhin deutlich untervertreten gegenüber ihren männlichen Kollegen.
Diese Unterrepräsentation von Frauen besteht in der Medienberichterstattung auch jenseits der Corona-Berichterstattung, wie eine weitere fög-Studiezur Darstellung von Frauen in Schweizer Medien zeigt. Eine eingeschränkte Diversität bestätigt sich ebenfalls bei der Untersuchung des Abstimmungskampfs zum Verhüllungsverbot vom 7. März 2021. Die betroffene muslimische Minderheit ist auf Twitter (13%) und in den Medien (11%) wenig sichtbar. Anstatt diese selbst zu Wort kommen zu lassen, wurde öfter nur generell über Musliminnen und Muslime gesprochen.
Die Medienqualität bleibt insgesamt stabil. Sie verändert sich jedoch in einzelnen Dimensionen. Die Medien informieren mehr über Politik (37%, +5 Prozentpunkte PP gegenüber dem Vorjahr) und weniger über Soft-News wie Sport (10%, -1,5 PP) und Human Interest (30%, -1,3 PP). Der Anteil Einordnungsleistungen in Form von Hintergrundbeiträgen geht zum ersten Mal seit sechs Jahren nicht mehr zurück. Medientypen wie der öffentliche Rundfunk und die abonnierten Newssites zeichnen sich weiterhin durch eine höhere Qualität aus. Doch die Pendler- und Boulevardmedien online können ihre Qualität aufgrund der Ereignislage und dem stärkeren Fokus auf Politik verbessern. Die inhaltliche Konzentration, d.h. das Teilen von identischen Beiträgen in mehreren Medien, hat sich in der Deutschschweiz weiter akzentuiert. 2020 zeigt sich dies in fast allen Themenbereichen, insbesondere jedoch bei der Kulturberichterstattung.
Die Corona-Pandemie hat die ökonomische Situation der Medien weiter verschlechtert. Erstmals seit 2014 sind auch die Einnahmen aus dem Online-Werbemarkt rückläufig. Zwar wächst die Zahlungsbereitschaft für Online-News leicht (17%, +4 PP), doch dies reicht nicht aus, um den Journalismus nachhaltig zu finanzieren. Eine aktivere Medienförderung stösst nicht auf grundsätzliche Ablehnung. 37% der Befragten sind der Meinung, dass der Staat private Medien unterstützen soll, wenn diese in Schieflage geraten; 37% sind dagegen, 26% sind unschlüssig. Im internationalen Vergleich ist die Akzeptanz für eine direkte Medienförderung in der Schweiz damit auffallend hoch.
Die Resultate des Jahrbuchs zeigen, dass professionelle Medien durch die Pandemie nochmals an Bedeutung gewonnen haben. Medien bieten Orientierung, versorgen die Bevölkerung mit zuverlässigen Informationen und sind auch in der Lage, Falschnachrichten zu prüfen und zu widerlegen. Guter Journalismus, der seinen demokratischen Funktionen nachkommen soll, braucht Ressourcen. «Es zeichnet sich immer mehr ab, dass qualitativ hochwertiger Journalismus nur durch eine direkte Medienförderung zu finanzieren ist», ist Eisenegger überzeugt. Diese sollte insbesondere auch kleinere mediale Anbieter und Start-Ups unterstützen, die zur Stimmenvielfalt und zur Information der Bevölkerung beitragen.
Das Jahrbuch 2021 sowie die Hauptbefunde und Vertiefungsstudien sind auf www.foeg.uzh.ch als PDF erhältlich.