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Was haben Spiele an einer Universität zu suchen?, könnte man sich fragen. Sehr viel – mehr noch: Lernen ist eigentlich Spielen. Das fand kein Geringerer als der bedeutende kanadische Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan. Er war überzeugt: «Wer zwischen Spielen und Lernen unterscheidet, hat von beidem keine Ahnung» (im englischen Original: «Anyone who makes a distinction between games and education clearly does not know the first thing about either one»).
Spielen ist weit mehr als ein lustiger Zeitvertreib. Insbesondere komplexe Fragestellungen lassen sich spielend rasch und nachhaltig erfassen. Interagieren zum Beispiel mehrere «Player» miteinander und treffen sie unterschiedliche Entscheidungen, die auf die anderen Auswirkungen haben, dann hat die sogenannte Gamification des Stoffs gegenüber einer Aneignung mittels Text viele Vorteile.
Das Produkt einer Gamification muss aber nicht zwingend ein vollständiges Spiel sein, erklärt Hannah Freeman vom Lehrkredit der UZH. «Gamification bedeutet die Anwendung spieltypischer Elemente und Prozesse in einem spielfremden Kontext – wie dem Lehrbereich.»
Seit ein paar Jahren wird die Lehre an der UZH auf vielfältige Art und Weise «gamifiziert». Zwei Beispiele, die vom kompetitiven Lehrkredit unterstützt werden, seien hier kurz vorgestellt.
An die Pflichtveranstaltungen in der Volkswirtschaftslehre strömen im ersten Studienjahr mittlerweile rund 1200 Studierende. Eine solche Menge zu unterrichten, ist eine Herausforderung für Dozierende. Die Lehre und die Lerninhalte müssen weiterentwickelt und an die Digitalisierung angepasst werden. Die Dozierenden des Departments of Economics werden dabei vom ECON Teaching Center unterstützt, das vor drei Jahren von Consuela Müller und Sonja Verel gegründet wurde.
Die Leiterin des ECON Teaching Center Consuela Müller arbeitet mit einem rund 10-köpfigen Team zusammen, das grösstenteils aus Bachelor- und Masterstudierenden besteht. «Sie sind jung, neugierig, innovativ und haben den Bachelor mit Bravour bestanden», lobt Müller ihre Crew. «Wir kamen auf die Idee, ein Game zur Mikroökonomik zu entwickeln, mit dem die Bachelorstudierenden spielerisch die verschiedenen Teilbereiche der Mikroökonomik – zum Beispiel die Interessen der unterschiedlichen Wirtschaftssubjekte – erlernen können», erzählt Müller. Die Studierenden werden nachdenken und kreativ sein müssen, um das Game spielen zu können. «Es soll ihre Motivation fördern und ihre Entdeckerfreude wecken, Lösungswege zu finden und mit der Komplexität zurechtzukommen.»
Das Spiel ist so konzipiert, dass es mit einfachen Fragen zur Mikroökonomie I startet, die die Studierenden beantworten können, sobald sie die Definitionen kennen oder den neuen Stoff wiedergeben können. Auf dem mittleren Level müssen die Studierenden fähig sein, Aufgaben zur Mikroökonomie zu lösen, und auf dem höchsten Level schliesslich die Lerninhalte so gut beherrschen, dass sie sie auf neue Sachverhalte anwenden können.
Die Studierenden werden das Game zwar alleine zuhause spielen, doch soll es auch eine kompetitive Komponente aufweisen, führt Consuela Müller aus: «Jeder Spieler wird sehen, wie viele Punkte die anderen bereits ergattert haben. Damit diese Wettbewerbssituation nicht einschüchtert, können sich die Studierenden mit Fantasienamen in das Spiel einloggen. Das Spiel soll aber auch die Kooperation fördern, indem die Studierenden miteinander tauschen oder sich helfen können.»
Das Ziel der Gamification des Moduls Mikroökonomie I ist ambitioniert. Mehr Studierende sollen am Schluss des Semesters die Fachinhalte so intus haben, dass sie gut für die Prüfung vorbereitet sind. «Wir möchten auch erreichen, dass die Studierenden ihre Studienzeit mit positiven Erlebnissen verknüpfen – und sich länger an das Gelernte erinnern», sagt Consuela Müller. «Wenn das Spiel das bringt, was wir erhoffen, werden wir die Form des Games auch auf andere Fächer transformieren.»
Doch was macht ein Game in der Lehre zu einem guten Game? Da ist zum einen das Design, das zwar wichtig ist, aber nicht ausschlaggebend für den Erfolg. Ein Bespiel für ein erfolgreiches, einfach gestaltetes Game ist «Irrigania» von Geografie-Professor Jan Seibert. Er hat es vor gut zehn Jahren, als er frisch an die UZH kam, zusammen mit seinem wissenschaftlichen Programmierer Marc Vis entwickelt. Seither zieht das Game die Studierenden Jahr für Jahr im Vertiefungskurs «Wasser und Mensch» in den Bann.
Bei «Irrigania» schlüpfen die Studierenden in die Rolle von Bauern in einem Dorf, die ihre Felder bewässern müssen, um Ertrag zu erwirtschaften – doch sind die Wasserressourcen begrenzt (Flusswasser) oder unsicher (Regen) oder kostbar (Grundwasser). Professor Seibert lässt die Studierenden das Spiel live im Hörsaal spielen. Dabei ist ihm etwas Bemerkenswertes aufgefallen: Weiss ein «Bauer», welche Bauern sonst noch im Dorf Wasser beziehen, bewässert er bescheidener, als wenn er die anderen Bauern nicht kennt. Fällt die soziale Kontrolle weg («Anna hat den Fluss geleert»), schaut jeder nur noch auf den Eigennutz und zapft soviel Wasser wie möglich ab, um den höchsten Ertrag zu erwirtschaften.
«Wichtig ist bei unserem Spiel, dass die Studierenden Verständnis für die Tragedy of the commons, auf Deutsch: Tragik der Allmende, entwickeln», erklärt Jan Seibert, «also merken, dass die persönliche Ertragsoptimierung häufig in Konflikt zum Gemeinwohl steht und gegeneinander abgewogen werden muss. Denn wird das Wasser knapp, geht es allen schlecht.» Anschliessend an die «Spielstunde» hält Seibert eine Vorlesung über Zielkonflikte bei der Nutzung von Wasserressourcen. Das durch das Spiel geweckte studentische Interesse für das Thema ist ein schöner Lohn für die aufwendige Game-Entwicklung.
Mittlerweile interessieren sich auch andere Universitäten für das Serious Game «Irrigania». Da es webbasiert funktioniert, lässt es sich einfach weitergeben. Und sein Erfinder ist grosszügig: «Gerade in der Lehre ist es wichtig, dass man Austausch hat und Entwicklungen weitergeben kann. So können innovative Lehrformate gemeinsam weiterentwickelt und genutzt werden.»
Derzeit entwickelt Seibert und seine Gruppe das Ein-Personen-Spiel «Staudamm» weiter, das er vor einem Jahr zugunsten einer Corona-konformen digitalen «Schnitzeljagd durch die Stadt» beiseitegelegt hat. Bei der Bewirtschaftung eines Staudamms entsteht ein Nutzungskonflikt, wie zum Beispiel jener zwischen optimaler Energiegewinnung und optimalem Hochwasserschutz. Dank dem Lehrkredit kann er seinen Prototyp der Simulation der Staudammbewirtschaftung weiterentwickeln.
Games wie die oben erwähnten sind wie gesagt nicht die einzigen innovativen Lehr- und Lernformate, die an der UZH entwickelt worden sind. Seit der Schaffung des kompetitiven Lehrkredits im Frühling 2016 wurden mittlerweile insgesamt 86 Projekte mit Beiträgen von bis zu 40 000 Schweizer Franken pro Projekt unterstützt. Durchschnittlich 37 Prozent der eingereichten Ideen (total 235 eingereichte Anträge) vermochten im kompetitiven Bewilligungsverfahren zu überzeugen.
«Die Vielfalt der Projekte bildet die Vielfalt der Universität ab», berichtet Hannah Lora Freeman vom Lehrkredit. Die Verteilung der geförderten Projekte entspricht in etwa dem Anteil Studierender pro Fakultät. So sind neben den grossen Fakultäten auch immer wieder Projekte aus der Theologischen Fakultät (5%) oder Vetsuisse-Fakultät (6%) vertreten.
Die Erfahrungen der letzten fünf Jahre sind sehr positiv. «Die Projektevaluationen zeigen, dass die Dozierenden die Chance zur Umsetzung innovativer und zukunftweisender Ideen in der Lehre enorm schätzen», freut sich Freeman. Und das Engagement lohnt sich: Viele der mit einem Lehrkredit entwickelten Lehrveranstaltungen sind inzwischen fest im Curriculum verankert, und einige Lehrmittel – wie der Klicker – werden auch über Fachgrenzen hinaus rege genutzt.