Navigation auf uzh.ch
Schiffe, irgendwo zwischen Wasser und Himmel, oft mehrfach übereinander gestapelt, mit Ahnenwesen, glücksverheissenden Tieren oder mit mächtigen Insignien geschmückt: So präsentieren sich die textilen Motive, die es ab dem 11. April 2021 im Völkerkundemuseum der Universität Zürich zu bestaunen gibt. Weberinnen Südsumatras erzeugten die ausdrucksstarken Bilder und kühnen Muster mit rot, blau und gelb gefärbten Fäden, die sie – meist zu zweit zusammenarbeitend – in einer raffinierten Technik direkt mit dem baumwollenen Grundstoff verwoben.
Die so gefertigten Schiffstücher wurden zu wichtigen gesellschaftlichen Anlässen im Lebenszyklus der Einheimischen aufgehängt, dienten dem Zudecken von Opfergaben oder Geschenken und begleiteten das rituelle Geschehen. Aufgrund veränderter sozialer, religiöser und ökonomischer Bedingungen werden die Tücher seit etwa hundert Jahren nicht mehr hergestellt und kaum mehr eingesetzt. Viele Fragen zu ihrer Verwendung und Bedeutung bleiben deshalb bis heute offen – doch nicht zuletzt das Geheimnisvolle trägt bis heute zu ihrer Faszination bei.
Mit den Schiffstüchern präsentiert das Völkerkundemuseum nicht nur eine Reihe beeindruckender ethnologischer Artefakte, sondern auch ein Stück seiner Forschungs- und Sammlungsgeschichte: Der Botaniker und Ethnologe Alfred Steinmann, einer der ehemaligen Direktoren des Museums, gehörte zu den ersten Wissenschaftlern, die sich eingehend mit den Geweben beschäftigte. Er versuchte, das Motiv des Schiffes bis in die 1960er-Jahre in mehreren Schriften kulturhistorisch zu deuten. «Die Schiffstücher interpretierte er vor allem als Darstellungen des Übergangs, die zeigen, wie die Seelen Verstorbener ins Land der Ahnen überführt werden», erklärt Ausstellungskuratorin Paola von Wyss-Giacosa. Obwohl spätere Forschende Steinmanns Sichtweise relativierten, bleibt sein Beitrag bis heute wesentlich für die Wahrnehmung der Textilien. «Seine Forschung, und insbesondere seine Habilitationsschrift ‹Das kultischen Schiff in Indonesien›, hat die Sammlung des Völkerkundemuseums entscheidend geprägt», so die Ethnologin.
Neben den Schiffstüchern, die in der Ausstellung in einer eigenen Schatzkammer versammelt sind, werden den Besucherinnen und Besuchern weitere kunstvoll bearbeitete Objekte präsentiert. Sie helfen, Steinmanns Argumentation visuell nachzuvollziehen. «Mit ausgewählten Stücken möchten wir die Inspiration, die in kulturell aufgeladenen Gegenständen steckt, erlebbar machen», sagt Co-Kurator Andreas Isler. Sein persönliches Lieblingsstück ist das zweitausend Jahre alte Fragment einer Bronzetrommel aus der Dong-Son-Kultur, das von einer Insel weit im Südosten der Molukken stammt: Das als Relief gestaltete Schiff auf dem Rand der Trommel ist voll mit vogelartigen Seelenwesen und gehört zu den Objekten, die Steinmann zu seinen Thesen anregten. Gleiches gilt für eine bemalte Holzplanke – eine Leihgabe aus Bern. Priester der Dayak in Südborneo stellten darauf Passagiere auf einer Schifffahrt ins Jenseits dar und lieferten Steinmann damit weitere Anhaltspunkte für sein Deutungsmuster: Das Seelenschiff war ein zentrales Symbol für das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Gruppe beim gemeinsamen Reisen durch bewegte, von Übergängen geprägte Zeiten.