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Die zweite, von Forschenden des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Zürich (UZH) durchgeführte Analyse über die Einstellung der Schweizer Bevölkerung zu staatlicher Regulierung zeichnet ein facettenreiches Bild. 2'350 Stimmbürgerinnen und -bürger in der deutsch- und französischsprachigen Schweiz wurden dazu im März/April 2020 telefonisch und online befragt.
Staatliche Regulierung zum Schutz der Umwelt, der Konsumenten oder der Gesundheit sind in der Stimmbevölkerung praktisch unumstritten. Im Vergleich zur Erhebung im Jahr 2016 hat insbesondere der Gesundheitsschutz stark an Bedeutung gewonnen. «Ausgelöst durch die Corona-Pandemie haben die Sorgen um die Gesundheit den Gesundheitsschutz zur prioritären Staatsaufgabe erhoben – deutlich vor den weiteren Regulierungszielen», sagt Studienleiter und UZH-Professor Thomas Widmer. Die Bedeutung der anderen Regulierungsziele – darunter auch der als wichtig erachtete Umweltschutz – blieben indessen mehr oder minder konstant.
Nach wie vor ist eine starke relative Mehrheit der Stimmberechtigten (49 Prozent) mit der Regulierungspraxis der Schweizer Behörden zufrieden. Der Anteil jener, die sich eine höhere Regulierungsdichte wünschen, hat sich in den letzten vier Jahren allerdings verdoppelt (von 10 auf 20 Prozent), während der Anteil der Regulierungskritikerinnen und -kritiker spürbar zurückgegangen ist (von 42 auf 31 Prozent). Vor allem in Kreisen, die linken Parteien wie SP und Grüne nahestehen, ertönt der Ruf nach mehr Regulierung bedeutend stärker als 2016. Erheblich zugenommen hat die Zufriedenheit mit der Regulierungspraxis in der politischen Mitte.
Der Regulierungsbedarf wird in der Finanzbranche am höchsten eingeschätzt: Rund die Hälfte der Stimmberechtigten ist der Ansicht, hier brauche es mehr staatliche Vorgaben. Auch der Onlinehandel soll nach dem Wunsch von 44 Prozent der Stimmberechtigten stärker reguliert werden. «Generell gilt: Nirgendwo fordern die Befragten einen stärkeren Regulierungsabbau als in der eigenen Branche. Umgekehrt wird für Branchen, die nicht das eigene Arbeitsumfeld betreffen, öfter nach einer höheren Regulierungsdichte gerufen», betont Widmer. Nichtsdestotrotz erachten 56 Prozent der befragten Erwerbstätigen die Wirksamkeit von Regulierungen im eigenen Arbeitsumfeld als «ziemlich wirksam», 16 Prozent sogar als «sehr wirksam» ein. Mehr als ein Viertel hält die bestehenden Regulierungen in der eigenen Branche für wenig (23 Prozent) oder überhaupt nicht wirksam (5 Prozent).
Werden Argumente für und gegen Regulierungen vorgelegt, zeigen sich bei den Befragten Widersprüchlichkeiten. Die Idealvorstellung vieler Stimmberechtigten sind strengere Regeln für Unternehmen bei gleichzeitigem Abbau aufwändiger Bürokratie. «Eine mögliche Lösung für diesen Widerspruch könnte eine ‹smarte Regulierung› sein, bei der sehr gezielt und mit geringeren Folgekosten staatlich interveniert wird», sagt Politikwissenschaftler Widmer. Konfrontiert man die Stimmberechtigten mit möglichen Kostenfolgen einer Regulierung, reagieren sie nur geringfügig, wenn überhaupt darauf. Ein Verbot von Ölheizungen beispielsweise fand bei den Befragten in etwa gleich hohe Zustimmungswerte, unabhängig davon, ob die Wohnkosten um fünf oder gar zehn Prozent steigen könnten.
Die Corona-Krise stellt eine Ausnahmesituation dar, in der auch ungewöhnlich einschneidende Massnahmen zum Schutz der Gesundheit ergriffen wurden. Eine Mehrheit der Befragten erachtete diese im Frühjahr 2020 als angemessen und fand, Bund und Kantone hätten sie rechtzeitig ergriffen. Eine starke Minderheit von rund einem Drittel aller Stimmberechtigten – insbesondere aus der anfangs stärker betroffenen Romandie – hätte sich allerdings ein rascheres Eingreifen erwünscht. «Die Kritik an den Corona-Massnahmen ist letztlich auch von der generellen Einstellung zur Rolle des Staates in Wirtschaftsfragen abhängig. Es ist keine ausschliesslich Corona-spezifische Haltung», sagt Widmer.
Thomas Milic und Thomas Widmer. Die Einstellungen der Bevölkerung zu staatlicher Regulierung im Jahr 2020. Zürcher Politik- & Evaluationsstudien Nr. 22, Oktober 2021.