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Persönlichkeitsmerkmale wie Gewissenhaftigkeit oder Geselligkeit sind Erlebens- und Verhaltensmuster, die sich im Verlauf des Lebens ändern können. Individuelle Veränderungen erfolgen dabei meist langsam, man passt sich schrittweise den Anforderungen von Gesellschaft und Umfeld an. Unklar ist jedoch, ob sich gewisse Persönlichkeitsausprägungen auch kurzfristig und gezielt psychologisch beeinflussen lassen.
Forschende der Universitäten Zürich, St. Gallen, Brandeis und Illinois sowie der ETH Zürich haben dies nun mit einer digitalen Intervention untersucht: In einer Studie haben sie rund 1’500 Teilnehmenden ab 18 Jahren während drei Monaten eine eigens entwickelte Smartphone-App zur Verfügung gestellt und gemessen, ob und wie sich die Persönlichkeit der Teilnehmenden veränderte. Untersucht wurden dabei die fünf grossen Persönlichkeitsmerkmale wie Aufgeschlossenheit (Offenheit), Gewissenhaftigkeit, Geselligkeit (Extraversion), Rücksichtnahme (Verträglichkeit) und emotionale Verletzlichkeit. Die App beinhaltete Elemente der Wissensvermittlung, Verhaltens- und Ressourcenaktivierung, Selbstreflexion und Feedback zum Fortschritt. Die Kommunikation mit dem digitalen Coach und Begleiter («Chatbot») fand ausschliesslich virtuell statt. Dieser unterstützte die Teilnehmenden täglich darin, sich in die gewünschte Richtung zu verändern.
Die Mehrheit der Teilnehmenden gab an, dass sie ihre emotionale Verletzlichkeit verringern, ihre Gewissenhaftigkeit erhöhen oder ihre Extraversion steigern wollten. Jene von ihnen, die über drei Monate an der Intervention teilgenommen hatten, berichteten über einen grösseren Erfolg beim Erreichen ihrer Veränderungsziele als die Kontrollgruppe, die nur zwei Monate dabei war. Enge Vertraute wie Freunde und Familienmitglieder beobachteten ebenfalls Veränderungen bei den Teilnehmenden, die eine Merkmalsausprägung verstärken wollten. Bei jenen, die eine Ausprägung verringern wollten, fielen den Bezugspersonen jedoch kaum Veränderungen auf. In dieser Gruppe waren vor allem diejenigen Leute drin, die weniger emotional verletzlich werden wollten. Dieser innere Prozess lässt sich von aussen weniger gut beobachten.
«Sowohl die Teilnehmenden wie auch ihre Freunde berichteten, dass die durch die App erarbeitete Persönlichkeitsänderung auch drei Monate nach Ende der Intervention anhielt», sagt Mathias Allemand, Professor für Psychologie an der UZH. «Die Resultate überraschen und zeigen auf, dass wir unserer Persönlichkeit nicht einfach so ausgeliefert sind. Wir können gezielt Erlebens- und Verhaltensmuster, die durch Routine gekennzeichnet sind, in die gewünschte Richtung verändern.»
Die Ergebnisse zeigen auch auf, dass eine Entwicklung der Persönlichkeitsstruktur schneller erfolgen kann als bisher gedacht. «Zudem können die Veränderungsprozesse durch digitale Begleiter im Alltag in Gang gesetzt werden», erklärt die Erstautorin Mirjam Stieger von der amerikanischen Brandeis University, die an der UZH promoviert hat. Es brauche jedoch noch weitere Belege für die Wirksamkeit von digitalen Interventionen. Beispielsweise sei unklar, ob die erzielten Veränderungen permanent seien oder nur temporäre Schwankungen reflektierten.
Die vorliegenden Studienergebnisse sind nicht nur für die Forschung interessant, sie lassen sich auch in verschiedenen Lebensbereichen anwenden. In der Gesundheitsförderung und Prävention könnten solche Apps die Gesundheitsressourcen stärken, da die Einstellung zur Umwelt und Persönlichkeitsmerkmale wie Gewissenhaftigkeit die Gesundheit und das gesunde Altern beeinflussen.
Stieger, M., Flückiger, C., Rüegger, D., Kowatsch, D., Roberts, B. W. & Allemand, M. Changing personality traits with the help of a digital personality change intervention. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America PNAS, February 2021. DOI: 10.1073/pnas.2017548118