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Wer den abgedunkelten Ausstellungsraum im Völkerkundemuseum der Universität Zürich betritt, hört als Erstes Stimmen und Klänge. Lorenz Löffler empfängt die Besuchenden auf zwei lebensgrossen Fotos: eines zeigt ihn in den 1950er-Jahren während seiner Feldforschung in Bangladesch, auf dem anderen sieht man ihn 25 Jahre später im Lichthof der Universität Zürich inmitten von demonstrierenden Studierenden. Einem breiteren Publikum ist Löffler bekannt, weil er bei den Jugendunruhen 1980 die studentische ethnologisch-filmische Dokumentation tolerierte und unter anderem die Herausgabe des Filmmaterials zu «Züri brännt» (1981) verweigerte, das heute im Universitätsarchiv lagert. Ein zweites Mal stand er in der Öffentlichkeit, als er 1982 die «Working Group on Indigenous Populations» (WGIP) bei der UNO mitbegründete und den Schutz bedrohter Völker für die Minderheiten in den Chittagong-Bergen in Bangladesch einforderte.
Doch wer war der Mensch und Wissenschaftler Lorenz Löffler, dessen Verbindungen um die halbe Welt reichen, von den 1950er-Jahren bis ins Heute? Und wie soll mit seinem Vermächtnis umgegangen werden? Diesen beiden Fragen geht die neue Ausstellung zum 50-Jahre-Jubiläum der Züricher Ethnologie nach. Auf einer digitalen Plattform erhalten die Besucherinnen und Besucher Einblick in ein Löffler-Archiv, das gerade entsteht und zu dem sie auch selber beitragen können. Ziel ist es, das Erbe des Ethnologen umfassender als bislang zu bewahren und zu erweitern. Sechs aktuelle Interviews mit seinem damaligen akademischen Nachwuchs bieten jenen einen Einstieg, die Löffler zum ersten Mal begegnen.
Lorenz Löffler, der aus der DDR über Westdeutschland nach Zürich kam, prägte den 1971 neu gegründeten Lehrstuhl für Ethnologie. Seine zentrale Forschung galt den indigenen Minderheiten in den Chittagong-Bergen in Bangladesch. Auch wenn nach seinem Aufenthalt in den Jahren 1955–1957 die Rückkehr aus politischen Gründen erschwert war, blieb er ihnen ein Leben lang eng verbunden. Herzstück seiner Forschung bildet neben Gegenständen und Fotos eine umfangreiche Audiosammlung. «Mit seiner Auffassung, dass über Objekte, Tonaufnahmen und angemessene Übersetzungen die Menschen in ihrem Selbstverständnis erkennbar werden, war er seiner Zeit voraus», sagt Mareile Flitsch, Co-Kuratorin und Direktorin des Völkerkundemuseums UZH.
Das historische Tonmaterial aus Löfflers Nachlass – hauptsächlich Lieder, Rezitationen und Instrumentalmusik – bildet die Grundlage für eine raumhohe, audiovisuelle Ausstellungsinstallation, die von Thomas Kaiser, dem ehemaligen Leiter des Audioarchivs, kuratiert wurde. Sie gibt in unterschiedlich langen Clips Einblick in erste Übersetzungsergebnisse, die ein intensiver Austausch von Forschenden des Völkerkundemuseums mit den Nachfahren der von Löffler erforschten Gesellschaften in Bangladesch hervorbrachte. Als Partner vor Ort übersetzten und erläuterten diese nicht nur zahlreiche Lieder und Rezitationen aus Löfflers Nachlass, sondern erstellten auch zusätzliches Film- und Audiomaterial: Kommentare, Interviews sowie neue Aufnahmen der vereinzelt noch lebendigen Musiktradition. «Löfflers Sachstudien unserer Bevölkerung stellen eine äusserst wertvolle Hilfsquelle für unsere Sozialaktivistinnen und -aktivisten dar: Sie führen uns unmissverständlich vor Augen, was wir als Gesellschaft im Begriff sind zu verlieren», so Mrinal Kanti Tripura, der das Team in Bangladesch koordinierte. Noch kommen beispielsweise die Mundorgeln, die auf Löfflers Aufnahmen zu hören und in der Ausstellung zu bewundern sind, bei heutigen Protestaktionen zum Einsatz. Doch wie lange noch?
Den Forschenden des Völkerkundemuseums wiederum bot sich die Chance, Löfflers Anliegen – die sprachlich-kulturelle Übersetzung und Kontextualisierung seines gesammelten Materials – aufzugreifen und fortzusetzen. «Der Prozess, den die Kontaktaufnahme und das Teilen der Tondokumente in Gang setzte, machte uns die Bedeutung der Aufnahmen und des Austausches darüber nochmals neu bewusst», sagt Co-Kuratorin Rebekka Sutter, Leiterin des Audioarchivs am Völkerkundemuseum der UZH.
Das dämmrige Licht in der Ausstellung ist übrigens restauratorischen Gründen geschuldet: Die ausgestellten Musikinstrumente, Textilien und Schmuckstücke sind äusserst lichtempfindlich. Dass damit der akustischen Dimension automatisch mehr Aufmerksamkeit zuteilwird, ist nicht unpassend. Denn für Löffler war stets klar, dass Objekte und dazugehörige Berichte einander bedingen.