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Die heutigen Menschen unterscheiden sich grundsätzlich von ihren nächsten lebenden Verwandten, den Menschenaffen: Sie leben am Boden, gehen auf zwei Beinen und haben ein viel grösseres Gehirn. Die ersten Populationen der Gattung Homo traten vor etwa 2,5 Millionen Jahren in Afrika auf. Sie gingen bereits aufrecht, aber ihre Gehirne waren nur halb so gross wie die heutiger Menschen. Diese frühsten Homo-Populationen in Afrika hatten ursprüngliche, menschenaffenähnliche Gehirne – genau wie ihre ausgestorbenen Vorfahren, die Australopithecinen. Wann und wo ist die typisch menschliche Gehirnorganisation also entstanden?
Einem internationalen Team unter der Leitung von Christoph Zollikofer und Marcia Ponce de León vom Anthropologischen Institut der Universität Zürich (UZH) gelang es nun, diese Fragen zu beantworten. «Gemäss unseren Analysen haben sich die modernen menschlichen Gehirnstrukturen erst vor 1,5 bis 1,7 Millionen Jahren herausgebildet – und zwar in afrikanischen Homo-Populationen», sagt Zollikofer. Die Forschenden untersuchten im Computertomografen die Schädel von Homo-Fossilien, die vor 1 bis 2 Millionen Jahren in Afrika und Asien gelebt hatten. Dann verglichen sie die Fossildaten mit Referenzdaten von Menschenaffen und Menschen.
Abgesehen von der Grösse unterscheidet sich das menschliche Gehirn von dem der Menschenaffen insbesondere in der Lage und Organisation einzelner Hirnregionen. «Typisch menschlich sind primär jene Regionen im Stirnbereich, die für die Planung und Ausführung von komplexen Denk- und Handlungsmustern und letztlich auch für die Sprache zuständig sind», stellt die Erstautorin Marcia Ponce de León fest. Da diese beim Menschen deutlich vergrössert sind, verlagerten sich alle benachbarten Hirnregionen weiter nach hinten.
Die ersten Homo-Populationen ausserhalb Afrikas – in Dmanisi im heutigen Georgien – hatten ebenso ursprüngliche Gehirne wie ihre afrikanischen Verwandten. Folglich hatten die Frühmenschen bis vor etwa 1,7 Millionen Jahren weder speziell grosse noch speziell moderne Gehirne. Sie waren aber durchaus in der Lage, zahlreiche Werkzeuge herzustellen, sich an die neuen Umweltbedingungen Eurasiens anzupassen, tierische Nahrungsquellen zu erschliessen und sich um hilfsbedürftige Gruppenmitglieder zu kümmern.
In diesem Zeitraum wurden die Kulturen in Afrika, wie sich aufgrund von Funden verschiedener Steinwerkzeuge zeigt, komplexer und vielfältiger. Biologische und kulturelle Evolution – so vermuten die Forschenden – bedingten sich gegenseitig. «In diesem Zeitraum haben sich wohl auch die frühesten Formen menschlicher Sprache entwickelt», sagt Anthropologin Ponce de León. Fossilfunde aus Java belegen, dass die neuen Populationen äusserst erfolgreich waren. Bereits kurz nach ihrem Erscheinen in Afrika hatten sie sich bis nach Südostasien ausgebreitet.
Bisherige Theorien dazu standen wegen der prekären Datenlage auf wackeligen Beinen. «Das Problem ist, dass die Gehirne unserer fossilen Vorfahren nicht erhalten geblieben sind. Ihre einstige Struktur erschliesst sich nur aus Abdrücken, die die Gehirnwindungen und -furchen auf der Innenfläche fossiler Schädel hinterlassen haben», sagt Studienleiter Zollikofer. Da diese Abdrücke individuell beträchtlich variieren, war es bisher nicht möglich, eindeutig festzustellen, ob ein bestimmtes Homo-Fossil ein eher menschenaffen- oder eher menschenähnliches Gehirn hatte. Diese Lücke konnten die Forschenden nun erstmals durch computertomografische Analysen diverser fossiler Schädel schliessen.
Marcia S. Ponce de León, Thibault Bienvenu, Assaf Marom, Silvano Engel, Paul Tafforeau, José Luis Alatorre Warren, David Lordkipanidze, Iwan Kurniawan, Delta Bayu Murti, Rusyad Adi Suriyanto, Toetik Koesbardiati, Christoph P. E. Zollikofer. The primitive brain of early Homo. Science. 8 April 2021. DOI: 10.1126/science.aaz0032