Navigation auf uzh.ch
Über gesellschaftlichen Ausschluss wird derzeit auch im öffentlichen Diskurs breit debattiert. Darunter wird allgemein ein mehrdimensionaler Prozess verstanden, der auf den Veränderungen der wirtschaftlichen Strukturen der vergangenen Jahrzehnte beruht und einen zunehmenden Anteil der Bevölkerung wirtschaftlich an den Rand dränge, so die generelle Meinung – sei dies durch Arbeitslosigkeit, Armut oder unsichere Lebensumstände. Dadurch entstünde bei den Betroffenen soziale Isolation und das Gefühl, aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen zu sein.
In einer aktuellen Studie untersuchen Forscherinnen und Forscher des Soziologischen Instituts der Universität Zürich, in wieweit solche Exklusionsgefühle in der Schweizerischen Wohnbevölkerung verbreitet sind und welche Faktoren diese auslösen. Die Studie basiert auf einer repräsentativen Befragung, die Ende des Jahres 2019, also kurz vor Beginn der Corona-Pandemie, durchgeführt wurde.
«Zu einer sozialen Gruppe dazuzugehören, ist ein menschliches Grundbedürfnis», sagt Jörg Rössel, Professor am Soziologischen Institut der Universität Zürich. «Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich nur ein sehr kleiner Prozentsatz – 2,9 Prozent – der befragten Personen als exkludiert wahrnimmt. 80,4 Prozent der Interviewten nehmen sich dagegen überhaupt nicht als ausgeschlossen wahr.»
Immerhin: 16,8 Prozent der Befragten weisen mittlere Werte auf der Skala des Exklusionsempfindens auf, haben also zumindest Zweifel an ihrer Vollinklusion in die Gesellschaft.
Betrachtet man genauer, in welchen Gruppen dieses Exklusionsempfinden besonders verbreitet ist, zeigt sich ein differenzierteres Bild: Insbesondere die 18- bis 30-Jährigen als auch Personen über 61 Jahre fühlen sich stärker ausgegrenzt als Menschen in mittleren Altersgruppen. Ebenfalls benachteiligt nehmen sich Personen mit tiefer Bildung wahr.
Erhöhte Werte für das Exklusionsempfinden ergaben sich auch bei Personen ohne Schweizer Staatsbürgerschaft sowie in der lateinischen Schweiz. Die französisch- und die italienischsprachige Bevölkerung empfindet sich in stärkerem Masse ausgeschlossen als die Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer – 26,7 Prozent der befragten Westschweizer und 25,7 Prozent der Tessiner gaben an, sich im mittleren oder hohen Grade ausgegrenzt zu fühlen.
Gemäss den Forschenden lassen sich die Gründe für dieses Exklusionsempfinden insbesondere auf eine finanziell schwierige Lebenssituation und die soziale Isolation der befragten Personen zurückführen sowie auf deren subjektive Wahrnehmung ihrer Lebenslage. Warum sich die Angehörigen der lateinischen Sprachgruppen in der Schweiz eher marginalisiert fühlen, bleibt dagegen unklar. Hier müssten laut den Forschenden zukünftige Studien sich auf die Suche nach Erklärungen machen.
Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass soziale Exklusion kein Massenphänomen ist, wie dies häufig in der Diskussion suggeriert wird. Daher können sich politische Massnahmen gezielt auf die besonders betroffenen Personengruppen richten.
Audrey Djouardi, Jörg Rössel, Alexander Seifert: Wer fühlt sich exkludiert? Zur zeitdiagnostischen Verwendung des Konzeptes der sozialen Exklusion. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Okt 12, 2021. Artikel