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Porträt

Aleppo für die Ewigkeit

Mit Freunden hat Ahmed Fatima Kzzo einst Inschriften der alten Ottomanen in Aleppo dokumentiert. Kurz danach wurden grosse Teile seiner Heimatstadt in Schutt und Asche gelegt. Derzeit forscht der syrische Archäologe als Stipendiat an der UZH.
Andres Eberhard
Ahmed Fatima Kzzo
Ahmed Fatima Kzzo am Zürichsee. 2008 verliess er Syrien. Nach Stationen in Rom, Bern und Ammann forscht er derzeit in Zürich.

 

Als Ahmed Fatima Kzzo ein Junge war, durchquerte er auf dem Autorücksitz häufig die Wüste. Sein Vater, der in Saudi-Arabien arbeitete, pendelte in die Heimat der Familie, nach Aleppo. Auch die Kinder fuhren oft mit.

«Auf der Strecke gab es eine Art Schloss», erzählt Kzzo. «Jedes Mal, wenn wir daran vorbeikamen, fragte ich: ‹Kannst du anhalten? Ich will das sehen›.»

Sein Vater jedoch verliess die Autobahn nie. Die Ruine war wohl total unbedeutend. Eines Tages stoppte er den Wagen doch – just an dem Tag war der damals zehnjährige Ahmed Fatima auf dem Rücksitz eingeschlafen. «Mein Vater sagte, jetzt oder nie, also kletterte ich schlaftrunken auf einer Ruine mitten in der Wüste herum.»

Viel unterwegs

Die Anekdote erzählt gleich zwei wichtige Dinge über Kzzo: Erstens war der heute 37-Jährige stets viel unterwegs. «Ich reise und reise, eigentlich mein Leben lang», sagt er. 2008, drei Jahre vor dem Krieg, verliess er Syrien, lebte in Rom, Bern, Amman und nun in Zürich. Und das auch nur bis im Sommer. Dann endet sein Gastsemester als Stipendiat des Zentrums Altertumswissenschaften Zürich (ZAZH) am Religionswissenschaftlichen Seminar der UZH.

Wohin es geht? «Keine Ahnung.» Kzzos Antwort klingt nicht so, als ob diese Zukunftsunsicherheit an ihm nagen würde.

Geschichte entdecken

Der zweite Grund, warum die Anekdote mit dem Schloss in der Wüste typisch ist für Kzzo: Historische Stätten faszinierten ihn schon immer. Zwar antwortet Kzzo auf die Frage, warum er denn Archäologe geworden sei: «Ich habe acht Geschwister. Ich bin der Zweitjüngste. Als ich an die Universität kam, blieben für mich nur noch Jus oder Archäologie übrig.»

Doch sein Lachen verrät ihn: Die Antwort ist eher Ausdruck für seinen ausgeprägten Humor. Denn Kzzo ist nicht zufällig Archäologe geworden. «Ich liebe es, geschichtsträchtige Orte und Kulturen zu entdecken.»

Heimatstadt in Trümmern

In den letzten Jahren hatte Kzzo allen Grund, traurig zu sein. Schliesslich liegt seine Heimatstadt Aleppo nach drei Jahren Krieg in Trümmern. Den Grossteil seiner Familie hat der Wissenschaftler seit Jahren nicht mehr gesehen. Einzig seinen Vater sowie seine Schwester traf er einmal im Libanon. Die Kernfamilie überlebte den Krieg, Kzzo verlor aber mehrere Cousins.

Neben all dem persönlichen Leid schmerzt Kzzo auch die Zerstörung der Stadt an sich. Aleppo wurde zur Geisterstadt. «Sie hat an Fröhlichkeit eingebüsst», so sagt es Kzzo.

Die Altstadt mit dem alten Basar (Suq), den Palästen, dem Wohnviertel, den Moscheen, den Kirchen und Synagogen, die zum Unesco-Weltkulturerbe gehören: eine Ansammlung von Ruinen. Kzzo klickt durch Fotos auf seinem Laptop, die das Ausmass der Zerstörung zeigen.

Scharfschützen auf Minaretten

Die innere Fassade der Zawiya (einer Art Mausoleum) des Scheichs Abulhuda Al-Sayyadi: nur noch Schutt und Asche. Ein Schnappschuss mit seinen Freunden auf der grossen Moschee: eine vergangene Erinnerung.

«Es ist eine Schande, dass das alles von Bewohnern des eigenen Landes zerstört worden ist», sagt er. Wer dafür verantwortlich sei? «Eine sehr politische Frage. Regierungstruppen und Islamisten geben sich gegenseitig die Schuld.» Klar ist, dass die hohen, geschichtsträchtigen Türme und Minarette irgendwann von Scharfschützen in Beschlag genommen wurden

Ottomanische Rätsel

Es wirkt fast wie eine Ironie des Schicksals, dass Kzzo 2007, wenige Jahre vor dem Krieg, zusammen mit ehemaligen Mitstudierenden eine aufwändige Arbeit zu Aleppos Altstadt abschloss. Gemeinsam entzifferten die Freunde in einem Freiwilligenprojekt alle Inschriften in und um Aleppo, die auf die ottomanische Zeit zurückgehen. Sie identifizierten rund 7000 Inschriften auf über 200 Gebäuden – Moscheen, Schulen, Hammams, Mausoleen, Friedhöfe.

«Wir hatten kein Geld. Zu den entlegeneren Orten fuhren wir per Autostopp», erzählt Kzzo. Zu seiner Motivation meint er mit einem Lachen: «Wir wollten uns einfach unsterblich machen.»

Jung und verrückt

Bilder zeigen die jungen Frauen und Männer, wie sie unter teils waghalsigen Bedingungen – auf zwei zusammengeknoteten Leitern stehend oder sitzend auf einem Giebeldach – die Inschriften auf transparentes Papier übertragen.

«Wir waren jung und verrückt», sagt Kzzo. Die Übersetzungen der Inschriften waren zuweilen eine Herausforderung – denn sie wurden nicht nur in arabischer, sondern auch in ottomanischer, armenischer und syriakischer Sprache verfasst.

Und manchmal schien es, als hätten die alten Ottomanen ihren Nachfahren absichtlich Rätsel aufgeben wollen. So stand auf einigen Fundamenten statt einer Jahreszahl ein poetischer Vers. Die einzelnen Buchstaben standen jeweils für eine Zahl. «Zum Glück wussten ältere Anwohner Bescheid. Sonst hätten wir das wohl nie herausgefunden», so Kzzo.

Buch in drei Bänden

Die Arbeit wurde im Jahr 2010 als Buch in drei Bänden veröffentlicht und so haben die jungen Forschenden sich und die dokumentierten Kulturgüter tatsächlich ein wenig unsterblich gemacht.

Ein Jahr danach begann der Krieg, und wenig später gab es viele der Stätten so nicht mehr. Nun überlegen sich Kzzo und seine Jugendfreunde, aus der Masse an Fotos, die sie in jener Zeit von den Orten gemacht haben, ein neues Projekt auf die Beine zu stellen. «Eine interaktive Online-Karte zum Beispiel.» Kzzo selbst hält zudem Vorträge über Aleppo, wie es einst war.

Rollsiegel aus Ebla

Während seines Gastaufenthalts in Zürich arbeitet Kzzo hauptsächlich an seinem Postdoc-Projekt zu Rollsiegeln aus der antiken syrischen Stadt Ebla. Verwendet wurden die Siegel, um Dokumente zu beglaubigen. Sie könnten helfen, einen unbekannten Teil der syrischen Geschichte besser zu verstehen.

Vor etwa 50 Jahren wurde Ebla von italienischen Forschern ausgegraben. «Bis dahin ging man davon aus, dass Syrien in den Jahrtausenden vor unserer Zeit unter der Kontrolle von Mesopotamien war», sagt Kzzo. Durch die Ausgrabungen jedoch wisse man, dass einst ein selbstverwaltetes, antikes Königreich Ebla existierte.

Die Siegel, die aus der ersten Hälfte des zweiten Jahrtausends vor Christus stammen, dürften viel über das politische Leben von damals aussagen. «Sie könnten auch Hinweise geben, warum Aleppo später wichtiger wurde als andere Städte Syriens», so Kzzo. Das heutige Aleppo liegt bloss 55 Kilometer nordöstlich von Ebla.

Bedrückende Umstände

Auch dieses Projekt hat eine bedrückende Note. Kämpfer des «Islamischen Staats» zerstörten einen Teil der antiken Stadt bei Raubgrabungen – angeblich diente der Antiquitätenschmuggel zur Finanzierung der terroristischen Miliz.

Auch während der Rückeroberung der syrisch-arabischen Armee kam es in Ebla zu Zerstörungen. Und ihm, Ahmed Kzzo, bleibt wegen des andauernden Bürgerkriegs in seiner Heimat nichts anderes übrig, als die antiken Rollsiegel am Computer zu analysieren – anhand von Fotos.

 

Weiterführende Informationen

UZH Magazin

Dieser Text erschien erstmals im UZH Magazin 2/2021.