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Porträt

Oft die Erste

Uschi Backes-Gellner berät die deutsche Regierung in Arbeitsfragen und erforscht die Berufsbildung in der Schweiz. Sie selbst stammt aus einem Maurerhaushalt.
Simona Ryser

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Uschi Backes-Gellner
«Egal, was kommt, ich falle auf die Füsse», sagt Uschi Backes-Gellner.

Uschi Backes-Gellner kommt mit etwas Verspätung zum Gesprächstermin – bei den vielen Sitzungen kumuliert sich der Rückstand. Doch wider Erwarten erscheint keine gestresste, taffe Businesswoman, sondern eine bodenständige Frau mit klarem Kopf – und niest erst mal. «Nein, nein, nicht Corona», lacht Backes-Gellner, «es sind die Birkenpollen». Ja, auch ihr Wochenrhythmus sei etwas durcheinander, getaktete Meetings von früh bis spät, keine Reisen, Forschen am Wochenende und am Abend.

Die Arbeitswelt – eines der Kernthemen von Uschi Backes-Gellner – wird zurzeit nicht nur bei ihr ziemlich durchgeschüttelt. Trotz allem bleibt die Professorin zuversichtlich. Die Corona-Krise, dieses unfreiwillige Experiment beziehungsweise dieser Ernstfall wird neben den unvermeidlichen wirtschaftlichen Schäden auch positive Veränderungen im Arbeitsalltag nach sich ziehen. Die Krise mobilisiert auch Kräfte, man ist experimentierfreudiger, etwa wenn es um die Arbeit mit digitalen Medien in den Bildungsinstitutionen geht. Da wird man gezwungenermassen innovativ, sagt sie.

Findige Schweiz

Für Innovation, Bildung und Arbeit ist die Ökonomin Fachfrau. Im Auftrag des Bundes leitet sie gemeinsam mit Professor Stefan Walter (Universität Bern) das Swiss Leading House «Economics of Education», ein Kompetenzzentrum, das die Forschung im Bereich Bildungsökonomie, insbesondere Berufsbildung, bündelt. Tatsächlich hält die Schweiz seit Jahren hartnäckig die Spitze in mehreren Rankings der innovativsten Länder der Welt. Das Land hat die Nase vorn, wenn es um Leistungen in Wissenschaft, Bildung, Gesellschaft, Wirtschaft und Staat geht. Doch was ist eigentlich das Geheimnis dieser findigen Schweiz?

Backes-Gellner, die zusammen mit der deutschen Expertenkommission Forschung und Innovation EFI schon viele Jahre die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in Sachen Innovation beraten hat, lehnt sich im Stuhl zurück. Zum einen hängt das wohl mit der besonderen Lage der Schweiz mitten in Europa zusammen, erklärt sie. Gerade weil das Land klein ist und immer schon auf die Anforderungen in der Welt pragmatisch und flexibel reagieren musste, ist es so einfallsreich und kreativ. Die Schweiz sei wie ein wendiges Segelboot zwischen schweren Tankern.

Eine ganz besondere Kraft liegt im Schweizer Bildungswesen, meint Backes-Gellner, die in einer Studie untersucht hat, ob sich das duale Bildungssystem der Schweiz auf die Innovationskraft auswirkt. Sie nickt: «Und ob.» Während Eltern ihre Sprösslinge unter Druck setzen, dass sie, koste es, was es wolle, ans Gymnasium kommen, macht sich Uschi Backes-Gellner stark für die Berufsbildung. «Diese», betont die Betriebsökonomin, «stösst auf grosses Interesse in Ländern der ganzen Welt, die mit Jugendarbeitslosigkeit zu kämpfen haben – ein Problem, das die Schweiz dank der starken Berufsbildung so nicht hat.»

Die ausgeklügelte Berufsbildung auf Spitzenniveau samt angewandter Forschung an den Fachhochschulen kombiniert mit herausragender Hochschulbildung an den Universitäten mit Grundlagenforschung an der internationalen Forschungsfront sei eine herausragende Voraussetzung für die innovativen Leistungen der Schweiz, sagt die ­Ökonomin.

«Kann kein Blut sehen»

Uschi Backes-Gellner selbst kommt aus einem bildungsfernen Haushalt. Auf dem Dorf, in der Nähe von Trier, wuchs sie neben fünf Geschwistern auf. Die Mutter war Hausfrau, der Vater Maurermeister. Sie war immer unter den Klassenbesten. So machte sie sich bald schon auf in die Stadt aufs Gymnasium, nach Hermeskeil, das gerade erst die Schwelle vom Dorf zur Stadt übersprungen hatte. Mit ihrem guten Abitur hätte sie Medizin studieren können. Doch: «Ich kann doch kein Blut sehen», lacht Backes-Gellner und wirft die langen Haare über die Schultern. Es musste etwas mit Mathematik sein, allerdings anwendungsbezogen, und es musste die Existenz sichern.

So landete sie bei der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre und begann ihr Studium in der nächstgrösseren Stadt, in Trier mit seiner frisch gegründeten Universität. Die Professorin zuckt mit den Schultern. Nein, es brauchte nicht besonders viel Mut, auszubrechen. Sie war ehrgeizig und ihre Eltern unterstützten sie in ihrem Vorhaben. Sie habe sich immer gedacht, «egal, was kommt, ich falle auf die Füsse», sagt sie.

Diese unerschrockene Haltung ist ihr in ihrer Laufbahn sicher zugutegekommen. Denn ­Backes-Gellner hat ihre Karriere gestartet in einer Zeit, als Frauen im höheren Kader noch viel rarer waren als heute. Sie promovierte 1987 als erste Frau an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät ihrer Universität. Dann, 29-jährig, machte sie sich auf in die weite Welt, nach Amerika, zum Forschen, erst an die Northwestern University, später an die University of California in Berkeley. Zurück in Trier – unterdessen Mutter eines Sohnes – habilitierte sie sich als erste Frau an ihrer Fakultät. Später wurde sie die erste Professorin an der Betriebswissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln, bis sie 2002 dem Ruf an die Universität Zürich folgte.

Auf dem Bau aufgewachsen

So machte das gescheite Mädchen des Mauermeisters eine akademische Karriere und wurde zur international gefragten Ökonomin. Ob sie gemerkt habe, wie sie die gläserne Decke durchstossen habe? Sie überlegt und schmunzelt. Sie habe sich schon im Dorf, als sie noch klein war und mit ihren Brüdern und Cousins auf der Strasse spielte, immer gegen die Jungs durchsetzen müssen. Sie sei gefürchtet gewesen. «In einem Maurerhaushalt darf man nicht zimperlich sein.» Sie sei ja gewissermas­sen auf dem Bau aufgewachsen – «wer das gut übersteht, übersteht alles», sagt sie lachend. Da konnten ihr später auf Kongressen grimmige Blicke von Kollegen mit Starallüren wenig anhaben. Backes-Gellner geht die Dinge mit Zuversicht, offen und pragmatisch an.

Heute berät sie die Mächtigen der Welt. Als Mitglied des neu geschaffenen «Rats der Arbeitswelt», der sich im Auftrag des Deutschen Arbeitsministeriums mit dem Wandel in der Arbeitswelt beschäftigt, gibt sie der deutschen Regierung, Politik und Öffentlichkeit Empfehlungen ab. Sie ist gefragte Referentin und Expertin an Tagungen in aller Welt. Immer wieder kehrt die Weitgereiste zurück in ihr Dorf. Und manchmal, wenn es auf dem Podium oder in Expertengremien zu abgehoben zugeht, kommt das Dorf zu ihr und relativiert die abstrakten Reflexionen. Die Bodenhaftung hat Backes-Gellner nie verloren.

Und was schwebt der Powerfrau – die in fünf Jahren pensioniert wird – noch vor? Sie denkt einen Moment nach und schmunzelt dann verschmitzt. «Es wird auf mich zukommen, wie immer.» Auf keinen Fall wird sie tatenlos herumsitzen. Da hält sie es wie ihre fitte Mutter, die mit 90 Jahren noch immer munter im Garten werkelt und ihr Gemüse fürs ganze Jahr anpflanzt.

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