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Von Erwerbstätigen wird derzeit viel Flexibilität gefordert: Sie müssen auf neue Arbeitsbedingungen und veränderte Auftragslagen reagieren, je nach familiärer Situation zusätzliche Betreuungsaufgaben übernehmen und sehen sich mit einer ungewissen Zukunft konfrontiert. Wie sich diese Herausforderungen auf Wohlbefinden und Gesundheit auswirken, haben Arbeitswissenschaftlerinnen und Arbeitswissenschaftler am Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich untersucht.
Dazu befragten sie im April 2020 knapp 600 Erwerbstätige, die bereits im Juni 2019 Auskunft über ihre Arbeitsbedingungen, ihr Wohlbefinden sowie ihre Strategien zur Verbesserung von Arbeitssituation und Freizeit gegeben hatten. Dies ermöglichte den Forschenden, die Situation der Befragten vor und nach Beginn der Covid-19-Krise zu vergleichen. «Wir erwarteten eigentlich, dass sich Erwerbstätige jetzt in der Krise eher gestresster fühlen als zuvor», sagt Studienleiterin Rebecca Brauchli. Gezeigt hat sich überraschenderweise die gegenteilige Tendenz, «was einmal mehr deutlich macht, wie faszinierend anpassungsfähig wir Menschen sind.»
Nach einer ganz generellen Einschätzung gefragt, gaben zwar gegen 29 Prozent der Befragten an, dass sich ihr Arbeitsleben nach Beginn der Covid-19-Krise verschlechtert habe, während nur 11 Prozent eine Verbesserung konstatierten – Zahlen, die sich in vergleichbarer Weise auch in der Beurteilung des Privatlebens spiegelten. Diese retrospektive Grundeinschätzung deckte sich aber nicht mit den Ergebnissen, die der Vergleich der konkreten einzelnen Antworten vor und nach Eintreten der Pandemie zeigte.
Dort wird deutlich, dass die Zufriedenheit mit Arbeits- und Privatleben höher ist als ein Jahr zuvor und beide Lebensbereiche als ressourcenreicher wahrgenommen werden: So berichten die Erwerbstätigen, dass sie ihre beruflichen Fähigkeiten weiterentwickeln und Neues lernen können, sich von Kolleginnen und Kollegen, aber auch im privaten Umfeld besser unterstützt fühlen und vor allem besser kontrollieren können, wie und wann sie arbeiten. Diese Autonomie bei der Arbeitseinteilung ist wohl auch mit ein Grund dafür, dass es den Befragten aktuell besser gelingt Arbeit- und Privatleben unter einen Hut zu bringen. «Die Konflikte zwischen Arbeit und Privatleben haben sich entschärft», sagt Brauchli. «Bei Erwerbstätigen, die im Homeoffice arbeiten, sogar signifikant.» Sie gestalten ihre Freizeit und Work-Life-Balance dann auch aktiver als vor einem Jahr. Das gilt auch für Arbeitnehmende, die von Kurzarbeit betroffen sind.
Generell gaben die befragten Personen an, sich besser erholen zu können. Die Arbeitsbelastung hat in der Tendenz leicht abgenommen, die Burnout-Werte gingen ebenfalls leicht zurück. «Dies heisst aber nicht, dass ihr beruflicher Einsatz geringer war», betont Brauchli. Im Gegenteil: Das Arbeitsengagement hat über sämtliche Gruppen hinweg signifikant zugenommen.
Eine leichte Verschlechterung zeigt sich bei den Einschätzungen zur eigenen psychischen und physischen Gesundheit. Hier lohnt sich laut Brauchli ein Blick auf die konkreten Fragestellungen. Der eigene Optimismus etwa und das Gefühl, anderen Menschen nahe zu sein, wurden klar geringer bewertet als vor einem Jahr. Auch die körperliche Aktivität hat etwas abgenommen, in der Häufigkeit und vor allem in der Intensität. Gleichzeitig fühlten sich die Befragten entspannter und gaben an, klarer denken zu können.
Innerhalb der grundsätzlich positiven Entwicklungen für Arbeits- und Privatleben der Erwerbstätigen stiessen die Forschenden in Untergruppen aber auch auf Ausnahmen, insbesondere bei Erwerbstätigen, die zugleich kleine Kinder betreuen. Bei ihnen haben sich Belastungen zu Hause im Gegensatz zu den übrigen Gruppen leicht erhöht. Auch von geringeren Arbeitsbelastungen und Erholungseffekten, die die übrigen Befragten feststellen, profitieren sie nicht und sie fühlen sich von Kolleginnen und -kollegen tendenziell etwas weniger gut unterstützt als ein Jahr zuvor. Letzteres zeichnet sich in etwas anderer Ausprägung auch für Arbeitstätige im Homeoffice ab: Sie fühlen sich inhaltlich etwas häufiger überfordert, «wahrscheinlich weil ihnen bei Problemen die Unterstützung durch Vorgesetzte und Kolleginnen fehlt», vermutet Rebecca Brauchli.
Die Erwerbstätigen fühlen sich zwar verunsichert und überrollt von den Ereignissen, was laut Brauchli möglicherweise ein Grund für ihre eher pessimistische retrospektive Gesamteinschätzung ist: «Angesichts der aus den Fugen geratenen Welt trauen sie den eigenen positiven Gefühlen wohl nicht so ganz über den Weg.» Der Vergleich ihrer Antworten auf konkrete Einzelfragen vor einem Jahr und jetzt zeigt aber, dass viele mit ihrem Arbeits- und Privatleben zufriedener sind und von der Entschleunigung und Ruhe mehrheitlich profitieren. «Vor allem der Zuwachs an Flexibilität und Autonomie scheint sich positiv auf ihr Wohlbefinden auszuwirken», so Brauchli. «Dies kann auch ein Learning für die zukünftige Arbeitswelt sein.»