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«Vielleicht wäre ich ein besserer Fussballer geworden, wenn ich den dualen Weg gewählt und parallel zum Sport noch ein Studium begonnen hätte. Ein zweites Standbein hätte sicherlich ein wenig Erfolgsdruck genommen.» Ricardo Cabanas, ehemaliger Mittelfeldspieler der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft und dreimaliger Schweizer Meister mit dem Grasshopper Club Zürich, scheint zu bereuen, dass er lange Zeit nur für den Fussball gelebt und zu wenig intellektuellen Ausgleich zur körperlichen Arbeit auf dem Rasen gesucht hat.
«Der Verband und auch der Club haben uns ziemlich abgeschirmt gegen Ablenkung von aussen. Dabei wäre es im Rückblick durchaus möglich gewesen, Profisportler zu sein und gleichzeitig zu studieren, um sich einen zukunftsfähigen Weg in einen soliden Beruf nach der Sportkarriere zu ebnen. Gerade im Fussball hat man immer wieder Leerlauf oder braucht Regenerationszeit.»
Was Cabanas damals verpasst hat, holt er nun nach: Seit knapp vier Jahren ist er an der UZH als Student eingeschrieben. Seine Fächer: Geschichte und spanische Literatur- und Sprachwissenschaft. «Erstaunlicherweise», meint er scherzend, «komme ich jedes Semester weiter. Und das, obwohl ich immer noch Leistungssport betreibe: Ich bin Vater von zwei Kindern!»
Der Ex-Nati-Spieler ist einer von drei Topathletinnen und -athleten, die auf Einladung von UZH und Swiss University Sports, dem Fachverband für Hochschulsport in der Schweiz, über ihre Erfahrungen in punkto Vereinbarkeit von Studium und Spitzensport berichten. Das Interesse an der Veranstaltung, die im Rahmen der diesjährigen Studieninformationstage der UZH stattfand, ist gross: In die Bankreihen und auf den Treppenstufen quetschen sich vor allem Maturandinnen und Maturanden der Sportgymnasien.
Organisiert haben den Anlass Marilen Matter Graf, Koordinatorin für Spitzensport und Studium beim ASVZ und verantwortlich für den Bereich Leistungssport an Schweizer Hochschulen und Ulrich Frischknecht, Abteilungsleiter Studieninformation und Beratung.
Im Gespräch am Vortag hat Frischknecht betont, wie wertvoll diese Klientel für eine Universität sei: «Diese jungen Leute sind extrem erfolgsorientiert und leistungsfähig, meist sehr klar in ihren Vorstellungen, Wünschen und Zielen und planen gern weit im Voraus. Gerade weil sie hohen Belastungen standhalten müssen, sind sie im universitären Alltag sehr strukturiert und organisiert. Das macht sie für eine Hochschule natürlich zu attraktiven Studierenden.»
Viele Hochschulen haben das akademische Potenzial von Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern erkannt und Reglements erlassen, die eine gewisse Studienflexibilisierung erlauben. Nun zieht auch die UZH nach. Das Ziel sei, so Frischknecht, UZH-weit eine Praxis sowie ein einheitliches Vorgehen zu etablieren, die es jungen Menschen ermöglicht, sportlich und akademisch erfolgreich zu sein.
In einem ersten Schritt wurden die Fakultäten gebeten, mögliche Studienanpassungen für ausgewiesene Topathletinnen und –athleten, z.B. Fristerstreckungen, Ausweichtermine für Prüfungen oder eine Verlängerung der maximalen Studiendauer, zu publizieren und die entsprechenden Ansprechpersonen und Studienprogrammberaterinnen zu instruieren. «Wichtig ist auch, dass die Sportlerinnen und Sportler wissen, dass für Ausnahmeregelungen häufig Gesuche an die Dekanate gestellt werden müssen, und zwar innert einer bestimmten Frist und in einer bestimmten Form», ergänzt Frischknecht. «Eine vorausschauende Planung mit Hilfe der Studienprogrammberatung, die Prüfungen und Studientermine, Trainingszeiten und Wettkämpfe berücksichtig, ist daher ganz zentral.»
Am besten, so Frischknecht weiter, informieren sich studieninteressierte Kaderathleten bereits gegen Ende der Schullaufbahn, welche Konzessionen möglich sind.» Die Abteilung Studieninformation und Beratung, die auch als Kontaktstelle für Sportverbände und –clubs dient, unterstützt Sportmaturanden bei eventuellen Problemen.
Wie gut es funktionieren kann, die beiden zeit- und leistungshungrigen Aktivitäten, Studium und Sport, zu kombinieren, zeigt das Beispiel von Ex-Schwimmerin Martina van Berkel. Die 65-fache Schweizermeisterin und Olympionikin von 2012 ist ebenfalls zur Informationsveranstaltung im UZH Hauptgebäude eingeladen und gibt dem studieninteressierten Sportnachwuchs gerne Tipps für einen gelungenen Start an der Universität: «Seid proaktiv, kümmert euch um eure Belange. Auch wenn das Beratungsangebot heute wesentlich besser ist als zu meiner Zeit, liegt die Holschuld immer noch bei euch. Macht bei Terminkollisionen auch mal eigene Vorschläge zu einem möglichen Procedere. Und sprecht euch mit euren Studienadministratoren und Professorinnen persönlich ab.»
Van Berkel begann noch während ihrer aktiven Wettkampfkarriere ein Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der UZH, gefolgt von einem Doktorat am Lehrstuhl für Medienökonomie und Management. 2017 konnte sie beide Karrieren, die sportliche wie die akademische, erfolgreich abschliessen: mit dem Erringen der Silbermedaille über 200 m Schmetterling an der Sommer-Universiade in Taipeh und einer Doktorurkunde.
«Ihr habt es in der Hand, Euch vorausschauend auf Euren Athletenweg nach Erlangen der Matura vorzubereiten. Nutzt nun die Gelegenheit, Euch mit den anwesenden Ex-Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern auszutauschen und wertvolle Tipps zu holen», rät Marilen Matter Graf am Ende der Veranstaltung.
Der Andrang bei den anwesenden Sport-Mentoren ist gross, so auch bei Victor Stancescu, schweizerisch-rumänischer Eishockeyspieler und ehemaliger Captain der Kloten Flyers: «Mit 17 hatte ich ein Schlüsselerlebnis: Ich hatte mir eine schwerwiegende Verletzung an der Hüfte zugezogen, und mir wurde plötzlich klar, dass ein Leben als Leistungssportler von einem Tag auf den anderen zu Ende sein kann. Das hat mein Mindset komplett verändert und so habe ich direkt nach der Matura ein Studium begonnen.» Stancescu studierte Rechtswissenschaften an der Universität Zürich und schloss dieses erfolgreich mit dem Lizenziat ab. Drei Jahre später hielt er sein Anwaltspatent in der Tasche.
Derart ermutigt nutzen viele Mittelschülerinnen und Mittelschüler die Chance, sich mit den anwesenden Sportlern und UZH-Angehörigen zu unterhalten: mit zwei von momentan rund 80 studierenden Topathleten an der UZH – einer Fussballerin und einem Triathleten –, den Vertretern von Swiss Olympics und den Studienkoordinatorinnen für die Fachbereiche Biologie und Medizin, Karin Isler und Maja Lazzaretti. Andere stürzen sich lieber gleich ins Getümmel. Denn im Hauptgebäude der UZH schwirren an den Studieninformationstagen einige hundert Schülerinnen und Schüler herum, auf der Suche nach Sinn, Gleichgesinnten und dem richtigen Studienfach.