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Moderator Martin Amrein leitete am Dienstagabend mit einem überraschenden Vergleich die Podiumsdiskussion über Open Access ein, die mehrere hundert Zuhörerinnen und Zuhörer in den grossen Hörsaal der UZH über dem Paläontologischen Museum lockte: Ähnlich den Dinosauriern, die bis vor 65 Millionen Jahren die Fauna dominiert hatten, beherrschten die grossen Wissenschaftsverlage wie Elsevier, Springer Nature oder Wiley heute das Publikationswesen.
Aufgrund ihrer Dominanz verlangten sie von den Bibliotheken ständig steigende Gebühren und erzielten unanständig hohe Gewinne. Doch nun bedrohe Open Access ihr lukraktives Geschäftsmodell, so wie einst ein Meteoriteneinschlag die Vorfahren der Säugetiere ausgelöscht hatte. Amreins Fragen: Befreit uns der rasche Wechsel hin zu Open Access, den die Forschungsförderer verlangen, von der Marktdominanz der Verlage? Und das, ohne neue Probleme zu schaffen, zum Beispiel für kleine Buchverlage?
Im Prinzip ja, lautete das Fazit der von der UZH gemeinsam mit der NZZ organisierten Veranstaltung mit dem Titel «Open Access: Muss Wissen frei sein?». Grundsätzliche Kritik an der Open-Access-Idee äusserte niemand. Selbst Anne Buechi, Mitgründerin und Geschäftsleiterin des Versus Buchverlags, steht der Entwicklung offen gegenüber und sieht darin «keine Bedrohung.»
UZH-Rektor Michael Hengartner erläuterte die Notwendigkeit von Open Access angesichts der technischen Möglichkeiten durch das Internet und machte klar, dass die Resultate öffentlich finanzierter Forschung grundsätzlich frei verfügbar – das heisst lesbar – sein müssten. «Die UZH hat sich schon früh zu Open Access bekannt», sagte Hengartner. Unterdessen stellt die Universität rund 40 Prozent der Publikationen frei zur Verfügung und steht damit schweizweit an der Spitze.
Rafael Ball, Direktor der ETH-Bibliothek, kritisierte die Politik der grossen Verlage ebenfalls: «Die Preise sind zu stark gestiegen, die Bibliotheken können mit den Forderungen nicht mehr mithalten.» Er betrachtet das Internet und Open Access durchaus als Alternative zum traditionellen Verlagswesen, wenn auch mit Einschränkungen.
Ein klares Votum zugunsten von Open Access äusserte schliesslich der Schlafforscher Christian Cajochen von der Universität Basel, der bereits 1999 ein erstes Paper Open Access publiziert hatte und 2018 das Open-Access-Journal «Clocks and Sleep» gründete.
Waren sich die Podiumsteilnehmer in der grundsätzlichen Zustimmung einig, waren sie sich beim Tempo des Transformationsprozesses, den das wissenschaftliche Verlagswesen durchlaufen soll, uneinig. «Wir müssen auf die Bremse treten, weil viele Verlage die Bedingungen nicht erfüllen können», sagte Ball, während Cajochen die Stossrichtung des Schweizerischen Nationalfonds, der ein eher forsches Tempo vorlegt, «gut findet».
Hintergrund dieser differenzierten Betrachtung sind die Initiativen dreier Forschungsförderungsinstitutionen, die den Wechsel hin zu Open Access unterschiedlich angehen. Am radikalsten ist Plan S der Coalition S, ein Konsortium europäischer Forschungsförderer, der im Herbst 2018 lanciert wurde.
Der Plan «Speed», wie Amrein sagte, verlangt die uneingeschränkte Verfügbarkeit neuer wissenschaftlicher Publikationen auf dem Internet ab 2020. Der Schweizerische Nationalfonds fordert ebenfalls Open Access für Publikationen seiner finanzierten Arbeiten ab 2020, mit dem Unterschied, dass dabei auch die Hinterlegung einer Arbeit in einem Repositorium mit einer Sperrfrist von bis zu sechs Monaten akzeptiert wird.
Das heisst ein Artikel darf beispielsweise in einer Fachzeitschrift erscheinen, die mit Zugangsbarrieren belegt ist, wenn sie innerhalb der Frist auch etwas später Open Access zugänglich gemacht wird. Der SNF bevorzugt allerdings den sogenannt goldenen Weg, das heisst die unmittelbare Verfügbarkeit der Publikation in einer Open-Access-Zeitschrift. In diesen Online-Journals ohne Subskriptionsgebühren ist es meistens nötig, dass die Autoren für die Produktion und das Qualitätsmanagment eine Gebühr zahlen müssen.
Schliesslich möchte die Rektorenkonferenz der Schweizerischen Hochschulen, swissuniversities, ihre Open-Access-Strategie bis 2024 realisieren. Michael Hengartner, der als Präsident von swissuniversities auch für diese Planung einsteht, erläuterte, dass die langsamere Gangart den unterschiedlichen Institutionen erlaube, Open Access gemäss ihren Bedürfnissen zu implementieren. Mit Blick auf den Plan S merkte der UZH-Rektor an, dass der Schweizerische Nationalfonds aufgrund der strikten Bedingungen zurecht nicht darauf eingestigen sei. Ball meinte gar, Plan S sei ein grosser Fehler.
Deutlich wurde an der lebhaften Diskussion, wie komplex und vernetzt das Thema Open Access ist. Christian Cajochen machte sich für das sogenannten Platinmodell stark, das heisst Open-Access-Zeitschriften, die gleich selbst von den Forschungs- oder Förderinstitutionen publiziert werden. Die Universität Zürich beispielsweise verlegt auf ihrem HOPE-Plattform mehrere Zeitschriften.
Für die Forschergemeinschaft seien solche neuen Publikationen allerdings nur interessant, wenn sie das entsprechende Renommee haben und sich eine Veröffentlichung darin auch karrieremässig lohne, betonten mehrere Votanten. Das heisst es braucht jahrelange Aufbauarbeit. Anne Buechi machte deutlich, dass sich die Geschäfsmodelle für wissenschaftliche Bücher und Zeitschriften deutlich unterschieden. Als Verlegerin arbeite auch sie an einer gemeinsamen Plattform aller Verlage – das wäre unser Ziel, meinte sie.
Was die Bibliotheken betrifft, so erhofft man sich von den laufenden Verhandlungen zwischen swissuniversities und den drei grossen Verlagen eine gewisse Entspannung der Lage. Gesucht wird ein Abgeltungsmodell, das für alle beteiligten Institutionen Open Access beinhaltet und die Kostensteigerung bremst wenn nicht stoppt.
Michael Hengartner liess sich allerdings nicht in die Karten blicken. «Wir hoffen auf eine Lösung», sagte er auf eine entsprechende Frage. Kommt der Deal zustande, wäre dann auch die Katastrophe vom Tisch, die Moderator Martin Amrein zu Beginn ins Spiel brachte.