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Der Steilhang beansprucht den Menschen weit stärker als die Ebene: Schon das aufrechte Stehen an einem abschüssigen Hang setzt ausdauernde Kraft in den Beinen und einen ausgeprägten Gleichgewichtssinn voraus. Bei der landwirtschaftlichen Arbeit verlangen die Gefahren des Geländes und der witterungsbedingte Zeitdruck Konzentration, genaue Kenntnisse der Umwelt, effiziente Bewegungsabläufe und: das passende Werkzeug.
Auf die Arbeitsinstrumente, die einerseits beim Wildheuen in den Alpen und anderseits beim Schwendfeldbau im Himalaya zum Einsatz kommen, richtet die Ausstellung im Völkerkundemuseum ihren Fokus. Zu sehen gibt es Sensen aus verschiedenen Regionen der Schweiz, Wetz- und Dengelausrüstungen, Seilhölzer zum Verschnüren der Heulasten sowie Tücher, Netze und Schlitten für den Transport. Das asiatische Pendent bilden Tragkörbe, Pflanzstöcke, Regenschütze aus Pflanzenfasern, Hacken und Sicheln, aber auch Tee-Behälter und Opium-Büchsen, die bei der Rast in den Feldhütten gebraucht werden.
Die gezeigten Gerätschaften müssen vielen Anforderungen genügen: ihrem Arbeitszweck, dem zu bearbeitenden Material, den Besonderheiten des Werkplatzes und den Vorlieben ihrer Erzeuger. «Jedes Werkzeug ist Destillat eines umfassenden Erfahrungswissens», sagt Kuratorin Rebekka Sutter. «Als solches erzählt es uns etwas über die Menschen, die es brauchen, und die Umwelt, in der es zum Einsatz kommt.» So ist das Blatt einer Sense für das Mähen einer steilen Magerwiese kürzer und schmaler als dasjenige einer Sense, mit der fettes Gras im Flachland gemäht wird.
Doch ein technisch ausgereiftes Werkzeug garantiert noch keinen effizienten Gebrauch. Einem Anfänger gelingt auch mit einer frisch gedengelten Sense kein sauberer Mähschwung. Beim erfahrenen Wildheuer hingegen verbinden sich im Rhythmus der Arbeit Körper, Werkzeug und Landschaft. «Erst dann», betont Sensenmacher Hansjörg von Känel, der in der Ausstellung verschiedentlich zu Wort kommt, «führt nicht mehr der Mäher die Sense, sondern die Sense den Mäher.» Oder mit dem französischen Agronomen und Historiker François Sigaut gesprochen: «L'outil fait l’homme» – das Werkzeug macht den Menschen (aus).
Von den besonderen Arbeitsbedingungen im Steilhang zeugen in der Ausstellung jedoch nicht nur die Objekte, sondern auch die Klanglandschaft, in die sie eingebettet sind. Werkzeugmacher, Bäuerinnen und Mäher geben darin Erklärungen ab, erzählen Geschichten und Witze zu ihren Tätigkeiten und zum Alltag im «stotzigen», «gächen» Gelände. Dazwischen erkennt man typische Arbeitsgeräusche, Lieder südostasiatischer Feldarbeiterinnen oder Bet-Rufe von Sennen. «Gegenstände und Klänge sind in der Ausstellung wie auch im Alltag untrennbar miteinander verbunden», sagt Kurator Thomas Kaiser. «Gemeinsam repräsentieren sie den Steilhang als Lebens- und Arbeitsraum, in dem Menschen ihre Umwelt zugleich schaffen, reflektieren und feiern.»
«Wildheu» ist Heu von alpinen Wiesen, die für das Vieh zu steil und zu exponiert sind. Die Grasflächen werden von Korporationen, Alp-Besitzern oder Pächter nur während der sommerlichen Alpzeit landwirtschaftlich genutzt. Bis Mitte 20. Jahrhundert war das Wildheuen zentraler Bestandteil der Alpwirtschaft. Dank des zusätzlichen Dürrfutters Heu konnten die Bergbauern ihre Tiere durch den Winter bringen. Heute fördert der Bund fördert das Wildheuen aufgrund seiner Bedeutung für die Biodiversität und als Bestandteil des immateriellen Kulturerbes. Ausserdem ist es ein wichtiger Erosions- und Lawinenschutz.
Während im südostasiatischen Tiefland hauptsächlich Bewässerungs-Feldbau betrieben wird, dominierte in den Bergregionen des Himalaya bis in jüngerer Zeit der Schwendfeldbau, die sogenannte Brandrodung. Dabei wird die Vegetation über der Erde abgebrannt, während das Wurzelwerk bestehen bleibt. So gewonnenes Ackerland wird zwei bis drei Jahre lang bewirtschaftet und dann als Brache ruhen gelassen, bis sich der einstige Bewuchs erholt hat. In der Vergangenheit konnte ein Zyklus über zwanzig Jahre betragen. Heute verkürzte er sich aufgrund von Bevölkerungswachstum und finanziellen Bedürfnissen vielerorts auf wenige Jahre. Die Folgen davon sind Kahlschlag, Erosion und restriktive Vorschriften bis hin zu nationalen Verboten dieser Anbautechnik.