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Je grösser das Gehirn im Verhältnis zur Körpergrösse ist, desto intelligenter ist ein Lebewesen. Säugetierarten mit grossen Gehirnen sind somit klüger als solche mit kleinen. Ein grosses Hirn auszubilden, hat aber seinen Preis: So verbraucht ein Säugling rund zwei Drittel seiner Energie ausschliesslich zur Versorgung des Hirns. Diese grosse Energiemenge muss in Form von Milch und später via Nahrung permanent zur Verfügung stehen. Allein können die Weibchen von vielen grosshirnigen Tierarten die Energiekosten für die Aufzucht der Jungen nicht bewältigen – sie sind auf zusätzliche Hilfe angewiesen.
Bisher ging man davon aus, dass es nebensächlich ist, ob der Vater oder andere Gruppenmitglieder die Mutter bei der Versorgung des Nachwuchses unterstützen. Dass es sehr wohl eine Rolle spielt, wer der Mutter hilft, zeigen nun erstmals Sandra Heldstab und ihre Kollegen Karin Isler, Judith Burkart und Carel van Schaik vom Anthropologischen Institut der Universität Zürich. Insbesondere Tierarten mit väterlicher Jungenfürsorge können sich ein grösseres Hirn leisten. Die Hilfe anderer Gruppenmitglieder ist viel weniger wichtig für die Evolution eines grossen Gehirns. In ihrer Studie haben die Forschenden die Hirngrössen sowie den Umfang und die Häufigkeit der väterlichen Hilfe und jener anderer Gruppenmitglieder von rund 480 Säugetierarten miteinander verglichen.
«Väter helfen bei der Jungenaufzucht konstant und zuverlässig, während die Unterstützung von anderen Gruppenmitgliedern wie etwa älteren Geschwistern viel weniger verlässlich ist», erklärt Evolutionsbiologin Heldstab. Beispielsweise bei Wildhunden und Wölfen – zwei Säugetierarten mit grossen Gehirnen – helfen die älteren Geschwister häufig weniger und schauen zuerst für sich selber, wenn die Nahrung knapp wird. Teilweise stehlen sie sogar die Beute, die das Elternpaar dem Nachwuchs bringt. Der Vater hingegen steigert sogar noch seine Hilfsbereitschaft gegenüber den Jungen, wenn sich die Umweltbedingungen verschlechtern.
Bei anderen Arten wie etwa Erdmännchen und Präriewühlmäusen wandern die älteren Geschwister oft in eine andere Gruppe ab, sobald sie geschlechtsreif werden, und stehen – im Gegensatz zum Vater – der Mutter als Helfer nicht mehr zur Verfügung. Zudem ist die Qualität der väterlichen Hilfe meist besser als jene von anderen Gruppenmitgliedern, die oft jung und unerfahren sind. «Ein Weibchen kann sich Nachwuchs mit grossen Hirnen nur leisten, wenn es sich auf die Hilfe verlassen kann. Und das ist nur beim Vater der Fall», sagt Heldstab.
Ist die Unterstützung, die das Weibchen für die Aufzucht der Jungen bekommt, unbeständig, schlägt die Evolution einen alternativen Weg ein. Bei diesen Säugetierarten – z.B. bei Löwen oder roten Varis – gebären die Mütter nicht wenige Jungtiere mit grossen, sondern viele mit kleinen Gehirnen. Gibt es viel Hilfe bei der Jungenfürsorge, überlebt der gesamte Nachwuchs. Erfährt das Weibchen wenig Unterstützung, sterben ein paar der Jungtiere. So stellt die Evolution sicher, dass auch bei wenig Hilfe ein Teil der Jungtiere überlebt, und das Weibchen nicht unnötig Energie in ein Junges mit grossem Hirn steckt, das bei unzuverlässigen Helfern stirbt. Die Studie zeigt einmal mehr, dass nur eine stabile und zuverlässige Energieversorgung – etwa durch väterliche Hilfe – im Verlauf der Evolution ein grosses Hirn ermöglicht.
Menschen sind in dieser Hinsicht einzigartig: Nicht nur die väterliche Unterstützung, sondern auch die Hilfe von anderen Verwandten und nicht Verwandten ist bei der Kinderbetreuung sehr zuverlässig. Dieser Umstand erlaubte es dem Menschen, das im Verhältnis zur Körpergrösse grösste Gehirn im gesamten Tierreich zu entwickeln und dennoch die Zeitspanne zwischen Geburten im Vergleich mit unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen, massiv zu verkürzen. «Bei Säugetieren ist nur auf die Hilfe der Väter Verlass. Wir Menschen können uns glücklicherweise auch auf die Hilfe anderer verlassen», sagt Sandra Heldstab.
Sandra A. Heldstab, Karin Isler, Judith M. Burkart, Carel P. van Schaik. Allomaternal care, brains and fertility in mammals: who cares matters. Behavioural Ecology and Sociobiology. May 30, 2019. DOI: 10.1007/s00265-019-2684-x