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Anna Fischer Dückelmann Gastprofessur

Pionierin der Gendermedizin

Vera Regitz-Zagrosek gründete das Institut für Gendermedizin an der Charité in Berlin, das einzige seiner Art in Deutschland. Als Gastprofessorin will die Herzspezialistin an der UZH dazu beitragen, Genderaspekte in Forschung und Lehre zu integrieren und Frauen zu fördern.
Marita Fuchs
Vera Regitz-Zagrosek wird sich im Herbstsemester 2019 als Anna-Fischer-Dückelmann Gastprofessorin für die Gendermedizin einsetzen.

 

«Nach wie vor wird die Bedeutung des Geschlechts in vielen medizinischen Studien und auch in der Medizinerausbildung ignoriert», sagt Vera Regitz-Zagrosek, Gründungsdirektorin des «Berlin Institute for Gender in Medicine» an der Charité Berlin. Sie erforscht molekulare und klinische Aspekte von Geschlechterunterschieden bei Herzerkrankungen.

Die Universität Zürich hat sie für das Herbstsemester 2019 als Anna-Fischer-Dückelmann Gastprofessorin für Gendermedizin an die UZH eingeladen. Hier will sie unter anderem ein Gender-Medizin-Curriculum mit Richtlinien für die optimale Versorgung von Frauen und Männern bei den wichtigsten Erkrankungen etablieren und Ärztinnen dabei unterstützen, die Karriereleiter schneller nach oben zu klettern.

Bewusstsein für die Unterschiede schärfen

Für angehende Medizinerinnen und Mediziner sei es notwendig, den Gender-Aspekt nicht zu vernachlässigen sagt Regitz-Zagrosek. Es sei wichtig, nicht nur die Forschung entsprechend auszurichten, auch das Bewusstsein für Unterschiede zwischen Männern und Frauen in ihren Krankheitsbildern müsse geschärft werden. Ein Beispiel dafür sind Depressionen: Sie werden bei Frauen doppelt so häufig diagnostiziert wie bei Männern, das liege u.a. daran, dass Traurigkeit und Antriebslosigkeit nicht in das Bild vom starken Mann passe. Laut Regitz-Zagrosek gehört es zu den Aufgaben angehender Ärztinnen und Ärzte, auch soziokulturelle Aspekte bei der Behandlung von Patienten zu berücksichtigen.

Der Mann als Mass aller Dinge

In der klinischen Forschung gelte häufig noch der Mann als Mass aller Dinge, sagt die Herzspezialistin. Das hat teilweise ganz praktische Gründe: denn wer Frauen in eine Versuchsgruppe einbezieht, benötigt mehr Teilnehmende, um verlässliche Ergebnisse zu bekommen, da Hormonschwankungen durch den weiblichen Zyklus, Verhütungsmittel oder Wechseljahre mit eingerechnet werden müssen.

Zudem ist es leichter, neue Studienergebnisse mit alten zu vergleichen, wenn die Versuchsgruppen ähnlich zusammengesetzt sind. Das bedeutet: Wenn in früheren Studien nur Männer, oder auch männliche Tiere, getestet wurden, ist es am einfachsten, bei neuen Tests wieder nur männliche Wesen auszuwählen.

Das bedeutet letztlich aber auch, dass die Medikamente, die auf den Markt kommen, nicht spezifisch auf den Organismus der Frau ausgerichtet sind. Ein krasses Beispiel: 2002 wurde bekannt, dass das häufig verschriebene Herzmedikament Digoxin das Leben von herzkranken Frauen verkürzte. Für Männer dagegen war das Medikament lebenserhaltend.

Geschlecht systematisch in die Forschung integrieren

Doch seither gebe es Fortschritte, sagt Regitz-Zagrosek. Auf EU-Ebene versucht man in den Forschungsrahmenprogrammen seit 2016 das biologische Geschlecht, Sex, und die soziokulturelle Dimension von Geschlecht, Gender, zu integrieren.

In den USA gibt es eine Richtlinie des nationalen Gesundheitsinstituts, die besagt, dass alle Grundlagen- und klinischen Forschungsprojekte erklären müssen, wie sie mit Geschlechterunterschieden umgehen. So können Untersuchungen, die ausschliesslich an männlichen Tieren gemacht werden, im Ergebnis nicht für Männer und Frauen gelten. Auch in Kanada wird Geschlecht systematisch in die Forschung integriert.

Ausgezeichnet mit dem Verdienstkreuz erster Klasse

In Deutschland hat die Charité, die Gendermedizin systematisch als Pflichtlehre integriert. Doch nach wie vor werde in Deutschland zu wenig investiert. Darüber hinaus gebe es zu wenig Frauen in führenden Positionen und: «Es werden selten frauenspezifische Aspekte bei der Forschungsförderung berücksichtigt», bilanziert Regitz-Zagrosek.

Doch was müssen Nachwuchswissenschaftlerinnen beachten, um führende Positionen zu erreichen? Regitz-Zagrosek selbst ist eine erfolgreiche Medizinerin, die im vergangenen Jahr mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse für ihren Einsatz für die Gender-Medizin ausgezeichnet wurde. Im Folgenden berichtet sie aus eigener Erfahrung und gibt Ratschläge, was man als Nachwuchswissenschaftlerin beachten sollte.

Was sollten angehende Wissenschaftlerinnen beachten?

Tipp 1: Karriereplanung von Anfang an

«Ich wollte forschen und mit Menschen umgehen. Das hat mich angetrieben. Eine Planung, was genau ich wie erreichen wollte, hatte ich nicht. Nach dem Studium ging ich ans Max-Planck-Institut für experimentelle Kardiologie. Damals eine Männerdomäne, als Frau war ich allein und musste mich schon behaupten. Sehr früh ging ich für mein Post-Doc in die USA. Das alles erfolgte sehr spontan, nur meinen wissenschaftlichen Interessen folgend.

Mein Rat: Laufbahn systematisch planen, Ziele so früh wie möglich definieren und vor allem vorher überlegen, ob und wie man die Forschung in die klinische Laufbahn integriert.»

Tipp 2: Eine Arbeitsstelle vor Beginn genau anschauen

«Nach dem USA-Aufenthalt ging ich zurück ans Max-Planck-Institut, dann wechselte ich ans Herzzentrum München, weil ich neben der Forschung auch klinische Erfahrung sammeln wollte. Das Herz als Organ hatte mich schon immer fasziniert. Obwohl mir versprochen worden war, dass ich experimentell forschen konnte, war dazu keine Zeit und auch keine Infrastruktur vorhanden. 18-Stunden-Tage in der Klinik forderten ihren Tribut. Ich habe dann trotzdem Daten aus der Klinik aufgearbeitet, weil ich unbedingt wissenschaftlich arbeiten wollte.

Mein Rat: Die Wahl der richtigen – exzellenten und frauenfreundlichen – Ausbildungsstätte ist entscheidend, am besten mehrere anschauen.» 

Tipp 3: Striktes Zeitmanagement, Balance zwischen Klinik – Forschung ist wichtig

«Für den Abschluss der Facharztausbildung innerhalb sinnvoller Frist sollte es feste Pläne geben. Ich selbst habe erst im Laufe meiner Facharztausbildung gemerkt, dass ich mit der Inneren Medizin und Kardiologie nicht gut weiterkam. Man liess mich nicht in die Funktionsdidagnostik, in die Herzkathetergruppe oder in die Echogruppe. Kardiologie war eher eine Männerdomäne, wie auch andere Gebiete, in denen viel Geld verdient wurde. 

Ich bin dann von München ans deutsche Herzzentrum Berlin gegangen. Das war ein grosses Transplantationszentrum. Es gab nur wenig Frauen, keine in der Leitungsebene. Man hat mir gesagt: ‘Wenn Sie Kinder bekommen, können Sie hier aufhören.’ Ich war damals mehr an meinem Beruf interessiert als an Familie. Deshalb war das für mich nicht wichtig. Ich habe aber eine Nichte, der 30 Jahre später dasselbe passiert ist und die sich für die Familie entschieden hat, auch wenn sie sicherlich eine gute Wissenschaftlerin und Klinikerin geworden wäre. Ich wurde schliesslich mit hohem Einsatz, Arbeit an der Habilitation vor allem nachts und in der Freizeit, leitende Oberärztin.

Mein Rat: Vorher Stellenantritt abklären und verhandeln, wie die Facharztausbildung geplant ist, und ob es einen verbindlichen Rotationsplan und Freiraum für die Forschung gibt. Gespräche mit den zukünftigen Kolleginnen und Kollegen helfen sehr – nicht nur mit der Abteilungsleitung reden.»

Tipp 4: Man sollte sich ein Themengebiet aussuchen, das einem wirklich gut gefällt und mit aller Kraft versuchen, dort erfolgreich zu sein, auch wenn es manchmal Widerstand gibt

«Für mich war klar, dass mein Gebiet der Stoffwechsel des Herzens war. Das war ziemlich kompetitiv und 1980 in vielen Bereichen noch Neuland. Entscheidend war, dass ich sehr früh meine eigenen Forschungsanträge geschrieben und bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingereicht habe und dann auch mit meinem Thema bekannt wurde.

Später habe immer wieder gesehen, dass wir Probleme mit der Behandlung von Frauen hatten. Ich stellte auch fest, dass wir sehr wenige weibliche Patientinnen hatten, so etwa 20 Prozent. Es kamen auch wenige Frauen zu empfohlenen Nachuntersuchungen. Da habe ich angefangen, mir Gedanken über die Behandlung von Frauen und Männern bei Herzerkrankungen zu machen und habe bemerkt, dass Frauen andere Herzprobleme als Männer haben, dass diese nicht wirklich erforscht sind, und habe begonnen, das in meine Arbeit zu integrieren. Anfänglich wurde das belächelt.

Mein Rat: Themen suchen, die Sie persönlich interessieren, an denen auch ‘dranbleiben’, wenn sich nicht sofort der Erfolg einstellt.»

Tipp 5: Lernen, wie man sehr gute Forschungsanträge schreibt

«Sobald man eine Forschungsgruppe aufbaut, ist es wichtig, gute Anträge zu schreiben. In meiner Forschungsgruppe hatte ich schliesslich 25 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, davon 20 auf Drittmittelstellen. Ich habe das Antragschreiben in den USA gelernt, die Kollegen und Kolleginnen dort sind sehr professionell.

Mein Rat: Erfolgreiche Antragschreiber- und schreiberinnen fragen, sie eventuell bitten, ein Muster zu überlassen. Anträge mit Mentoren und Mentorinnen besprechen.»

Tipp 6: Sich nicht verunsichern lassen und konsequent bleiben

«Ich bewarb mich dann auf eine Professur für Herzkreislauferkrankungen bei Frauen an der Charité und wurde berufen. Mir wurde dann schnell klar, dass der Frauenansatz allein nicht alle Aspekte gut abdecken kann und habe angefangen, mich der Theorie von Geschlechtsunterschieden, also mit Gender zu befassen und zu überlegen, ob es unterschiedliche Bedürfnisse in der Medizin bei Frauen und Männern gibt. Daraus ist ein Zentrum für Gendermedizin in der Charité geworden.

Meine Kollegen in der Kardiologie waren fast alle Männer, und ich hatte ein relativ gutes Ansehen bevor mich für Gendermedizin interessierte. Die typische Reaktion war: ‘Du hast doch immer so gute Forschung betrieben. Warum machst du jetzt etwas so was Komisches?’ Ich habe mich damals nicht verunsichern lassen. Mittlerweile ist das Thema Geschlecht akzeptiert.»

Tipp 7: Netzwerke aufbauen

«Ich habe ein interdisziplinäres Zentrum für Gendermedizin aufgebaut. Es war dabei wichtig, sich umzuschauen und Leute anzusprechen. Dazu sollte man sich in allen Phasen der Laufbahn die Zeit nehmen. Gegenseitige Unterstützung ist extrem wichtig, und leider bedenken und nutzen Frauen das zu selten. Manchmal ergeben sich gemeinsame Interessen, die dann zu neuen innovativen Projekten führen können, manchmal trifft man sich in einer Berufungssituation wieder.»