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Yonca Krahn hat es sich mit der Wahl ihres Forschungsgebiets leicht und schwer zugleich gemacht. Die Assistentin am Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft brennt mit Leib, Herz und Seele für den Triathlonsport, diese die Ausdauer schröpfende Dreiheit aus Schwimmen (bis zu 3,8 km), Velofahren (bis zu 180 km) und Laufen (bis zu 42,195 km). Ob beim Langdistanztriathlon auf den Lofoten oder beim Triathlon in Zürich: Für das Gefühl, «sich an selber gesteckte Grenzen zu pushen», ging der Über-30-Jährigen in den vergangenen Jahren gern die Puste aus.
Mittlerweile arbeitet sich auch ihr Geist an der Mehrfachdisziplin ab: In ihrer Dissertation mit dem Titel «Der Raum des Triathlon» untersucht Krahn aus kultur-anthropologischer Sicht und mit empirischen Methoden unter anderem den Zusammenhang von Raum, Sport und Körper.
Das «private Involviertsein in die eigene Forschung», wie Krahn es nennt, ist tückisch: Erfahrung und Insiderwissen haben ihr beim Einstieg ins Forschungsfeld geholfen, «aber dann musste ich die nötige Balance zwischen Nähe und Distanz zum Untersuchungsgegenstand finden».
Paradoxerweise erwiesen sich die Sportverletzungen, die sie sich während ihrer «Neuausrichtung als kulturwissenschaftlich tätige Triathletin» zuzog, als förderlich bei der Aufgabe, ihre Rolle als Forscherin zu finden. «Sport wird für mich immer zum Alltag gehören, aber nicht mehr auf diesem hohen Leistungsniveau», sagt sie.
Immer häufiger nimmt sie jetzt an Wettkämpfen in Dreifachfunktion teil: als Sportlerin, Wissenschaftlerin und Trainerin. Zuletzt etwa an den Schweizer Hochschulmeisterschaften 2017, bei denen sie als Trainingsleiterin des Akademischen Sportverbandes Zürich (ASVZ) angehende und erfahrene Triathleten betreute, selbst als Sportlerin startete, schliesslich als Zweite ins Ziel einlief und nebenbei Beobachtungen notierte und forschungsrelevante Fotos schoss.
Wie erleben Sportlerinnen und Sportler ihre Umgebung während des Trainings? Wie beeinflusst ihre physische Leistung das Landschaftserleben? Welche kinästhetischen Raumerfahrungen machen sie bei der sportlichen Betätigung – und wie wirken diese auf Verhaltensweisen oder Sportpraktiken? Wie entwickeln Leistungs- oder Breitensportler ein spezifisches Gespür für den eigenen Körper, für die Wirkung physikalischer Kräfte, für die effiziente Einteilung der persönlichen Ausdauer, aber auch für somatosensorische Faktoren wie Durst, Temperaturempfinden und Müdigkeit? Fragen wie diese treiben Yonca Krahn bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit um.
Um dem flüchtigen Charakter von Sinneseindrücken gerecht zu werden und situatives Erleben zu dokumentieren, geht Krahn von einem autoethnographischen Forschungsansatz aus, bei dem persönliche Erfahrungen beschrieben, analysiert und kulturell interpretiert werden. Zudem nutzt die Sportethnologin zwei Methoden der Feldforschung: bewegte Interviews und das Sammeln von Feldnotizen durch teilnehmende Beobachtung. «Triathlon ist eine mobile Praxis und sollte daher auch aus der Perspektive der Mobilität und mit mobilen Methoden untersucht werden», sagt Krahn.
«Die Verbindung von Gespräch und sportlicher Betätigung hat sich als ergiebig erwiesen.» Denn das eigene körperliche Erleben führe zu einer spezifischeren Frageweise, indem mitgeteilte Eigenerfahrungen als Input für die Interviewten fungieren: Brennen die Beine bei dieser momentanen Steigung? Was passiert gerade mit der Atmung? «Auch externe Eindrücke wie die Erfahrung der Umgebung können direkt thematisiert werden, wenn sie auftauchen: Wie hat sich beispielsweise das Überholmanöver des Autofahrers auf der Radstrecke angefühlt?»
Neben den Informationen aus den bewegten Interviews fliessen in Yonca Krahns wissenschaftliche Arbeiten weitere Daten ein, uner anderem aus konventionellen offenen Interviews und Diskursen zu Sportthemen in sozialen Medien. «Als Sportethnologin betrachte ich diese Aspekte immer im Zusammenhang mit der Frage, wie im Triathlon ein sozialer Raum generiert wird und wie dieser durch die Praktiken der Sporttreibenden entsteht.»
Interessant findet Krahn, dass sich dank moderner Technik neue Wettkampfformen herausbilden, etwa durch den allgemeinen Trend zu Sportuhren, Fitnessapps und Selbstexpertisierung. Die Sportlerinnen und Sportler stehen durch die Aufzeichnung und automatische Bewertung ihrer Trainingsdaten im permanenten Wettkampf mit sich selbst, aber auch mit anderen Usern von digitalen Trainingsplattformen. «Hier wird ein recht zweifelhafter Wettstreit unter Abwesenden generiert, wobei die Messwerte der einzige Massstab der Betrachtung sind», sagt Krahn.
Abgesehen davon, dass die Qualitätsunterschiede der erhältlichen Geräte und der jeweils produzierten Daten gross seien, könne ein solcher Datenreduktionismus zu Fehldeutungen führen und die Individualität des Einzelnen durch die normierende Kraft der Daten erheblich reduzieren. Yonca Krahn selbst setzt auf eine ebenso bewährte wie altmodische Selbstvermessungsstrategie: auf das eigene Empfinden.