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Ein Showtalent ist er nicht gerade, «der Waldmacher», wie ihn die Medien gerne nennen. Tony Rinaudo, Australier, Agronom und gläubiger Christ, wirkt eher verlegen, als er ans Rednerpult in der voll besetzten Aula der Universität Zürich tritt. Der 61-Jährige, der gerade den «Alternativen Nobelpreis» verliehen bekam, hat die Technik nicht im Griff, ihm entfällt für einen Moment, was er zum Einstieg sagen wollte, dann dankt er zuerst ausführlich seiner Frau. Doch trotzdem, oder gerade weil Rinaudo so schüchtern und bescheiden wirkt, nimmt er sein Publikum vom ersten Augenblick an für sich ein.
Dass die Zuhörerinnen und Zuhörer seinem Vortrag hoch konzentriert folgen, liegt auch daran, was er zu berichten hat. Denn das klingt wie ein ausgewachsenes Wunder. Rinaudo ist es gelungen, zuerst in Niger und später in anderen trockenen Regionen Afrikas, insgesamt mehr als 200 Millionen Bäume wachsen zu lassen. Ohne welche zu pflanzen. Stattdessen zogen zahllose Bauern nach einer vom «Baumflüsterer» entwickelten Methode Millionen neuer Bäume – aus Stümpfen und Wurzelgeflechten ehemaliger Bäume, die nach Rodungen in den verödeten Böden überdauert haben.
Entdeckt hat Rinaudo diesen «unterirdischen Wald» in den 1980er-Jahren als junger Mann in Niger. In seinem Vortrag schildert er, wie er sich dort – nach zweieinhalb Jahren vergeblichen Bäumepflanzens und kurz vor dem Aufgeben – bei einem Halt in der Steppe ein kümmerliches Gebüsch näher ansah. Er entdeckte, dass es sich dabei gar nicht um einen Busch, sondern eigentlich um einen Baum handelte, der nur auf die Chance wartete, endlich wieder richtig wachsen zu können.
«Die Lösung war die ganze Zeit direkt unter unseren Füssen», sagt Rinaudo, noch immer kopfschüttelnd, wie es scheint. «Wir haben sie einfach nicht gesehen.» Es stellte sich nämlich heraus, dass die meisten im Boden verborgenen Baumüberreste eine Art «Locked-up Forrest» bilden. Sie haben aber die Fähigkeit, durch neue Triebe wieder zu Bäumen heranzuwachsen.
Dazu brauchen sie allerdings etwas Hilfe des Menschen. Rinaudos Trick: die meisten der buschigen Triebe wegschneiden und nur einzelne Stämmchen stehenlassen, die dann zu Bäumen heranwachsen. «Weinbauern machen etwas ganz Ähnliches mit ihren Reben», erklärt der studierte Agronom.
Alles was es für seine Methode brauche, seien ein Messer und Zäune, um die jungen Bäumchen vor hungrigen Pflanzenfressern zu schützen. Weder zusätzliches Wasser noch Dünger seien notwendig. «So einfach ist das», fasst Rinaudo zusammen und scherzt, er hoffe, der Preis würde ihm nun nicht aberkannt.
So einfach die Methode ist, so schwierig scheint es zu sein, sie zu verbreiten. Rinaudo verbringt den grössten Teil seiner Zeit damit, Menschen für seine Idee zu gewinnen. Insbesondere die Farmer. Denn diese haben bei der Methode, die unterdessen den etwas sperrigen Namen «Farmer Managed Natural Regeneration» (FMNR) erhalten hat, die entscheidende Rolle.
Die Bauern bestellen das Land. Sie entscheiden, was dort wächst und sie sind es auch, die Arbeit und Zeit für ein längerfristiges Ziel investieren müssen. Doch sie dafür zu motivieren, Bäume zu ziehen, sei gar nicht so einfach, erklärt Rinaudo. Denn die Menschen, deren Ernten so gering ausfielen, dass viele von ihnen von der Hand in den Mund lebten, seien es gar nicht gewohnt, in längeren Zeiträumen zu denken. Oft hilft ihm dann die Frage «Welche Zukunft wollt ihr für Eure Kinder?», um Interesse zu wecken.
Ein anderes Problem sei, dass die Bauern Bäume lediglich als Unkraut und Konkurrenz für ihre Nutzpflanzen wahrnähmen. Und dass die ohnehin dünn gesäten Büsche in erster Linie als Brennholz oder Rohstoff für Holzkohle gesehen werden – und nicht als notwendige Lebensgrundlage. Da brauche es einen «Change of Mindset» und Verhaltensänderungen, erklärt Rinaudo.
Die Bereitschaft für beides wird offenbar rasant grösser, wenn am Beispiel von Bauern, die FMNR bereits anwenden, offensichtlich wird, dass sich Bäume tatsächlich positiv auswirken: Dass sie Boden und Nutzpflanzen vor Wind und Sonne schützen. Dass herabfallendes Laub den Boden verbessert. Und vor allem, dass sie Wasser im Erdreich festhalten und sogar den Grundwasserspiegel ansteigen lassen. Laut Rinaudo können die Bauern allein mithilfe von Bäumen in den Feldern die Ernte verdoppeln und Dürren besser überstehen.
Unterdessen ist die Methode in Niger so erfolgreich, dass die Bauern dort, anstatt wie früher von Lebensmittelhilfe abhängig zu sein, ihre Ernteüberschüsse verkaufen können. «Das gibt den Menschen Würde und Hoffnung zurück», sagt Rinaudo. Man merkt ihm an, wie wichtig ihm das ist. Er betont, dass es diese Menschen sind, die zu den Ärmsten der Armen auf dieser Welt gehören, die mit der Aufforstung ganzer Landstriche grossartige Arbeit geleistet haben.
Am Ende des Vortrags ist klar: Die Idee hinter FMNR klingt nicht nur gut, sie funktioniert auch bestens. Auf den Vorher-Nachher-Bildern, die Rinaudo an die Wand projiziert, ist deutlich erkennbar, wie stark die Zahl der Bäume zugenommen hat. In Zahlen: Als Rinaudo in den Achtzigern in Niger ankam, wuchsen dort rund vier Bäume pro Hektar. Heute sind es 45. Dazu kommt, als Sahnehäubchen sozusagen, dass FMNR unschlagbar günstig ist. Wo Baumpflanzungen, die noch dazu meist erfolglos bleiben, pro Hektar 800 US Dollar verschlingen, kostet ein Hektar, der mit FMNR aufgeforstet wird, lediglich zwei Dollar.
Rinaudo möchte die Methode weiterhin in verschiedenen Gebieten Afrikas und zusätzlich auf anderen Kontinenten einsetzen. Ihm geht es neben den Bäumen vor allem um die Menschen. So bezeichnet er die FMNR-Methode als «People Movement» und ihren Zweck auch als «Restoration of Hope». «Why not?», fragt er in den Saal, «Why not work together and regreen the world?». Es sieht fast so aus, als wollten die Zuhörer und Zuhörerinnen in der Aula gleich damit loslegen. Jedenfalls erntet Rinaudo Standing Ovations. So ganz ohne Showtalent ist er wohl doch nicht.