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Im April leuchtet Japan dank der Kirschblüte rosa. Hinzu kommt ein warmes, orangefarbenes Licht. Es umfängt die Alumni-Reisenden bei der Ankunft in Osaka nach elfstündigem Flug. Wir werden begleitet von Bruno Rhyner, unserem Reiseleiter für die nächsten 17 Tage. Er ist ein versierter Japankenner und Psychotherapeut Jungscher Richtung. Die zweite Reiseleiterin, Yunko-San, ist Japanerin und schliesst sich uns in Osaka an. Sie ist ein Organisationstalent und sorgt für den reibungslosen Ablauf der Tour.
Gleich nach der Ankunft fahren wir mit dem Shinkansen, dem weissen Hochgeschwindigkeitszug, nach Hiroshima. Es ist die erste von elf Reiseetappen. Der Zug ist – wie nicht anders zu erwarten – pünktlich und hält auch punktgenau an der vorgezeichneten Markierung zum Einsteigen. Geordnet, in Wartschlange, einer nach dem anderen, betritt man den schnellsten Zug der Welt. Haben wir gerade noch die Lok mit ihrem langgezogenen Gesicht bewundert, so geht es schon los. 300 Kilometer pro Stunde. Bahnfahren macht hier Spass. Keine Manager, die ins Telefon schwatzen, niemand lässt Koffer im Gang stehen, keiner schnäuzt oder niest laut. Vor dem Betreten des Abteils verbeugt sich der Kondukteur artig, ebenso beim Verlassen des Abteils. Im Zug ist es so still und ruhig wie die Landschaft, die auf dem Weg vorbeisaust.
Einige aus der Gruppe haben sich noch am Bahnhof mit einer Bento-Box versorgt, einem Kästchen, vergleichbar mit unserer Tupperware, die man am Kiosk kaufen kann. Darin ordentlich voneinander getrennt verschiedene wohlschmeckende Häppchen und ein Set Stäbchen.
Noch wissen wir nicht, dass diese Reise auch eine kulinarische Tour durch die japanische Küche sein wird; die Bento-Box ist aber schon ein vielversprechender Anfang. In Japan gibt es die Bento-Boxen übrigens schon seit dem 5. Jahrhundert. Die ersten waren aus Bambusrohren gefertigt, die auch antiseptisch gewirkt haben sollen.
In Hiroshima erleben wir dann, was sich alle Japantouristen wünschen. Unter üppig blühenden Kirschbäumen, die den Fluss säumen, sitzen die sonst eher zurückhaltenden Japaner auf Decken, essen und trinken und laden Fremde ein, sich zu ihnen zu gesellen. In Japan ist die Kirschblüte das Symbol für Vergänglichkeit und für die Schönheit des Moments, den man nicht festhalten kann. Dennoch stehen jedes Jahr Tausende von Japanern und Touristen vor den Bäumen und fotografieren die Sakura, die Kirschblüte, um sie ein für alle Mal festzuhalten.
Die Kirschblüte begleitet uns. Wir erleben dieses Naturschauspiel auf unseren Überlandfahrten im Hinterland Japans, sie blühen, als wir den Fuji besuchen, sie säumen die Strassen in Kyoto und Nara und sie bilden in der Riesenmetropole Tokio fröhliche Tupfen im Stadtbild.
Nach dem Aufenthalt in Hiroshima und dem Besuch der Gedenkstätten des Atombombenabwurfs besuchen wir das rote Torii (Tor) auf der Insel Miyajima, das bei Flut auf dem Meer zu schweben scheint. Das Motiv ist uns bekannt aus den Reiseführern, trotzdem überrascht seine Grösse beim Augenschein. Majestätisch steht es da in seiner ziegelroten Farbe. Direkt nebenan bestaunen wir die Architektur des Itsukushima-Schreinsund erfahren, dass diese Insel früher als heilig galt. Einfache Bürger durften sie nicht betreten.
Die Reisegruppe wächst so langsam zusammen, man hat sich kennengelernt, kleine Freundschaften geschlossen; es sind Medizinerinnen und Mediziner, eine Sinologin, ein Informatiker, eine HR-Fachfrau, Logistiker, eine Galeristin, eine Kunsthistorikerin, ein Chemiker und eine Lehrerin. Ausser für eine Mitreisende ist Japan für alle Neuland. Wir staunen, stellen Fragen, tauschen uns aus. Durch die Gruppe erfährt man mehr, denn jeder hat andere Eindrücke und blickt jeweils mit seinem Vorwissen auf das Neue.
Die Reise führt uns nun über Land. Mit dem Bus durchqueren wir kleine Orte, wir sehen Häuschen mit Vorgarten und verschachtelten Dächern, auch erste Berge, die sich an die Städte drängen.
Vor uns im Bus tuckert eines der typischen kleinen japanischen Autos. Hinten auf dem Heck klebt ein Zeichen, das wie ein buntes Kleeblatt aussieht. Das Zeichen bedeutet: «Ich sitze am Steuer und bin über 80 Jahre alt.» Die japanische Gesellschaft ist überaltert, das wird überall auf dem Land augenfällig.
Besuch auf einem Bauernhof: Das alte Ehepaar, das dort lebt, erlaubt uns, Haus und Hof zu besichtigen. Der Besuch ist nur möglich, weil der Reiseleiter hier in Japan viele Leute persönlich kennt und sie regelmässig besucht. Wir erfahren später, dass die Kleinbauern Reis anpflanzen, auch weil der Reisanbau stark subventioniert wird und ein sicheres Einkommen bietet. Das Durchschnittsalter der japanischen Bauern liegt über 60 Jahre, ein Problem für die Landwirtschaft.
Im Badeort Tamatsukur übernachten wir in einem Ryokan mit Onsen. Ryokan heissen die traditionellen Gasthäuser in Japan, in der Regel haben sie einen Onsen, eine heisse Quelle, in der man sich bei einer Wassertemperatur von über 40 Grad entspannen kann. Wir nächtigen in Zimmern mit bemalten Wänden. Die Böden sind mit Reismatten ausgelegt. Es gehört zum guten Ton, dass wir die bereitgestellten Pantoffeln anziehen. Strassenschuhe gehören ins Regal. Vor dem Essen schreiten wir in geblümten Mänteln, die im Zimmer bereit liegen, den so genannten Yukatas, zur heissen Quelle.
Das heisse Wasser hilft gegen so manches: Gelenkbeschwerden, Müdigkeit, Stress, Muskelschmerzen und – gegen die Kälte der Welt. Es gibt strenge Baderegeln. Ein zeremonielles Waschen und Ankleiden, bei dem sich Ausländer wahrscheinlich stets blamieren. Trotzdem ist das Bad herrlich. Trifft man sich danach auf dem Weg zum Essen nickt man sich zu, mit von der Hitze geröteten, seligen Gesichtern. Wir schlafen auf Futons, die Kissen sind mit Reis oder Hirse gefüttert.
Mit dem Shinkansen-Express geht es weiter nach Kyoto. Die ehemalige Kaiserstadt zählt zu den interessantesten Städten Ostasiens. Zu den bedeutenden Bauwerken gehören der Goldene Pavillon, das Nijo-Schloss und der Kiyomizu-Tempel. Wir haben unsere Tempelsocken in der Tasche, denn die Tempel darf man nicht mit Schuhen betreten. Im Süden der Millionenstadt besichtigen wir den Fushimi Inari-Schrein mit seinen schier endlosen Schreintor-Galerien und das Miho Museum. Der spektakuläre Bau wurde nach Entwürfen des Stararchitekten Ieoh Ming Pei errichtet. Ein grosser Teil der Ausstellungsfläche ist unterirdisch in einen Berg gebaut, ein langer Tunnel und eine Hängebrücke führen in das Museum, in dem vor allem asiatische und westliche Antiquitäten zu sehen sind.
Im Bus üben wir mit dem Reiseleiter wie man sich auf japanisch höflich bedankt, grüsst, etwas bestellt. Arigatou gozaimasu heisst danke, Konnichiwa guten Tag, Itadakimasu Guten Appetit. Toll, wie herzlich die Japaner beim nächsten Restaurantbesuch auf unsere Sprachversuche reagieren.
Besonderes Glück für uns alle: Auf der Fahrt zu den fünf Seen, die am Fuss des Fuji liegen, sehen wir ihn schon: den heiligen Berg, der sich in vollkommener Schönheit zeigt und sich nicht – wie so oft – hinter Schleierwolken versteckt. Wir freuen und beglückwünschen uns, dass die Wettergötter es so gut mit uns meinen.
In der Nähe besuchen wir ein Kimono-Museum. Für mich ein Highlight der Reise. Es geht um die Kunst, wunderbare Kimonostoffe zu gestalten. Dem japanischen Künstler Itchiku Kubota gelang das mit einer speziellen Färbetechnik. Die Ausstellung präsentiert Kimonos, deren Stoffe Pracht und Harmonie vereinen. Itchiku Kubota hat dazu – ähnlich wie beim Batikverfahren – jede einzelne Farbpartie abgebunden, gefärbt, fixiert, gedämpft, gespült und zum Schluss von den Bindefäden befreit. Wenn man sich die Kimonos des Itchiku Kubota ansieht, kommt man einfach nicht umhin, an alte Sagen, Prinzessinnen, Zauberhaftes zu denken. Die Farben sind so harmonisch, die Muster so perfekt, dass wir Besucher schauen und staunen.
Auf unserer Reise sehen wir viele Japanerinnen in Kimonos, vor allem bei unseren Tempelbesuchen. Der Kimono ist kein Alltagskleidungsstück. Aber bei festlichen Anlässen nehmen ihn Japanerinnen auch heute noch aus dem Kleiderschrank. Ihn richtig anzuziehen, ist jedoch eine Kunst. Kimono heisst wörtlich übersetzt «Anzieh-Sache». Das Kleidungsstück hat keine Knöpfe und wird lediglich in der Taille mit einer Schärpe, «Obi» genannt, gebunden. 20 Handgriffe braucht es, um das traditionelle Gewand anzulegen. Auch als Touristin kann man sich entsprechend einkleiden lassen. Eine Mutige aus unserer Reisegruppe hat es getan. Umwerfend schön.
In Tokio fällt auf, dass überall in der Stadt Natur gedeiht, ob in Form eines Baumes am Strassenrand oder in einem der liebevoll angelegten Parks. Von der Aussichtsplattform des Tokyo Metropolitan Government Building in 200 Meter Höhe überblickt man die Ausmasse dieser riesigen Metropole. Wir besuchen in der Nähe das Viertel Ginza mit edlen Geschäften und Boutiquen. Eine Attraktion sind die Strassenkreuzungen: Wenn die Fussgängerampel auf grün schaltet, marschieren dort zur Rushhour Hunderte gleichzeitig über die Strasse. Ganz ohne Durcheinander.
In den Seitenstrassen flanieren die jungen Japanerinnen und Japaner, stets ausgefallen gekleidet. Ich hätte gerne einen Mantel gekauft, aber als ich die Verkäuferin fragte, kicherte sie nur. «No English, no English.» Das war für uns überraschend: Japaner sprechen kaum Englisch. Das schönste Urlaubssouvenir fand ich dann doch noch: Fein gefertigte Kirschblüten aus Zucker, wunderschön anzusehen.
In Tokio trafen wir Mitglieder des UZH Almuni-Chapters. Beim Apéro und gemeinsamen Essen konnten wir uns austauschen. Ein Botschaftsmitarbeiter erzählte, dass es in Japan nicht so leicht sei, Freundschaften zu knüpfen und die Arbeitswelt sei nach wie vor sehr hierarchisch geprägt.
Wir erlebten sehr viel auf dieser Reise. Für mich war sie eine ganz neue Erfahrung. Japan steckt voller Gegensätze: hier hochmoderne Dienstleistungen, dort eine zeremonielle Kultur. Buddhistische Traditionen und prachtvolle Schreine und Pagoden, eine Strasse weiter steht zukunftsweisende Architektur. Ich war fasziniert von Japan und doch blieb das Gefühl des Fremdseins. Trotzdem: Es war eine grossartige Reise.