Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Open Access

«Wir verhandeln für freien Zugang»

Dank dem Internet werden wissenschaftliche Publikationen je länger je häufiger online gelesen und verteilt. Doch Open Access hat seinen Preis. Die Schweizer Hochschulen verhandeln mit drei grossen Wissenschaftsverlagen für faire, das heisst bezahlbare Zugangsbedingungen. Michael Hengartner, Präsident von swissuniversities und Rektor der UZH, erläutert die Hintergründe.
Stefan Stöcklin

Kategorien

«Die Abonnementsgebühren sind derart gestiegen, dass sie das Budget der Bibliotheken sprengen», sagt Michael Hengartner. (Bild: Frank Brüderli)

 

Herr Hengartner, Sie sind Mitglied einer Delegation von swissuniversities, die mit den grossen Wissenschaftsverlagen (Springer Nature, Wiley und Elsevier) Verhandlungen führt, um Open Access zu fördern. Worum genau geht es?

Michael Hengartner: Das Ziel von Open Access ist der freie Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen für alle via Internet. Dieser Vision haben sich die Schweizer Hochschulen im Rahmen der Open-Access-Strategie verschrieben. Bis 2024 sollen so weit wie möglich alle durch öffentliche Mittel finanzierten Publikationen frei zugänglich sein. Wir verhandeln mit den wissenschaftlichen Verlagen über eine Anpassung der Verträge. Statt Abonnementsgebühren für Zeitschriften möchten wir künftig für die Produktion und Qualitätssicherung der jeweiligen Artikel bezahlen, so dass alle Interessierten die Publikationen gebührenfrei lesen und herunterladen können.

Hintergrund sind die Umwälzungen durch das Internet für das Verlagswesen und die Bibliotheken?

Ja, bisher haben die Universitätsbibliotheken den wissenschaftlichen Verlagen Abonnementsgebühren für ihre Zeitschriften bezahlt, die sie ihren Nutzerinnen und Nutzern zur Verfügung stellen. Mit dem Internet werden Publikationen online gelesen und verteilt. Digitale Kopien wissenschaftlicher Publikationen –zum Beispiel ein pdf – können auch einfach verbreitet werden. Dadurch verlieren die gedruckten Ausgaben in vielen wissenschaftlichen Bereichen an Bedeutung. Dieser Wechsel hat Auswirkungen auf das Geschäftsmodell der Verlage. Wir wären bereit, statt den Abonnements die Kosten für die Herstellung und Qualitätssicherung der Online-Publikationen sowie die Bereitstellung auf den Plattformen zu übernehmen. Im Gegenzug müssten die klassischen Abonnementsgebühren sinken oder, falls keine Papierkopie mehr bestellt wird, ganz entfallen.

Die Schweizer Hochschulen haben 2015 für den Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen 70 Millionen Franken ausgegeben. Würden diese Kosten durch die Open-Access-Strategie sinken?

Sicher ist, dass es immer teurer werden wird, wenn wir im alten Modell bleiben, weil die Verlage jedes Jahr ihre Preise erhöhen. Noch teurer als das alte System ist aber die gegenwärtige Übergangsphase. Klassische Abonnementsgebühren und Kosten für die Online-Publikation von Artikeln existieren nämlich teilweise nebeneinander. Das treibt die Kosten in die Höhe, weil zusätzlich zu den Subskriptionen die Autoren auch für die Open-Access-Bereitstellung der Artikel zur Kasse gebeten werden. Ob es in einer reinen Open-Access-Welt billiger wird, hängt von vielem ab, unter anderem von unserem Verhandlungsgeschick.

Welche Hürden gibt es bei diesen Verhandlungen zu meistern?

Die grossen wissenschaftlichen Verlage haben aufgrund des Renommees ihrer Zeitschriften eine starke Position. Denken Sie an wichtige Publikationen wie «Science» oder «The Lancet», die notabene dank dem Peer-Review der Wissenschaftler erst möglich geworden sind. Aufgrund ihrer Stellung haben die Verlage in den letzten Jahren immer höhere Abonnementsgebühren verlangt. Die Gebühren sind derart gestiegen, dass sie das Budget der Bibliotheken sprengen. Das ist nicht im Interesse der Steuerzahler und der Hochschulen. Änderungen sind dringend nötig, auch wenn sie nicht einfach zu erreichen sein werden.

swissuniversities vereint die universitären Hochschulen, die Fachhochschulen und die Pädagogischen Hochschulen der Schweiz. Wieviel Druck können Sie auf die Grossverlage ausüben?

Auch wenn wir alle relevanten Bibliotheken der Schweiz vertreten, darf man unsere Position nicht überschätzen. Die Schweizer Hochschulen generieren etwa drei Prozent der weltweiten Umsätze dieser Verlage. Wichtig ist, dass die Hochschulrektorenkonferenz von Deutschland bereits mit Verhandlungen begonnen hat. Auch andere Länder ziehen in die gleiche Richtung. Wir sind also nicht allein und hoffen, dass sich weitere Organisationen anschliessen.

Unter dem Schlagwort Open Access werden verschiedene Modelle diskutiert (siehe Box). Welche davon strebt swissuniversities in den Verhandlungen an?

Wir streben in unseren Verhandlungen den sogenannten goldenen Weg von Open Access an, bei dem die Originalpublikationen frei zugänglich sind. Wer sich für die Publikation interessiert, kann sie ohne Zugangsschranken von einer Plattform des Herausgebers oder einer Hochschule herunterladen. Dafür entschädigen wir die Verleger für die Produktionskosten und Qualitätssicherung. Die nationale Open-Access-Strategie sieht aber auch die weitere Förderung des grünen Wegs und alternativer Open-Access-Publikationsformen vor.

Open Access hat auch zu zweifelhaften «räuberischen Journalen» geführt, die von den Autoren hohe Publikationskosten verlangen aber keine Qualitätssicherung betreiben. Was kann man dagegen tun?

Nun, die genannten Verlage, mit denen wir verhandeln, gehören sicher nicht zu dieser Kategorie, sondern publizieren hochangesehene Zeitschriften wie «Nature» oder «Cell». Aber es gibt diese Problematik der predatory Journals. Die Antwort von Open Access ist das Platinmodell, bei dem eine nicht-profitorientierte Drittpartei die Herausgabe übernimmt und die Qualität sichergestellt ist. Ein wegweisendes Beispiel ist das fachübergreifende Megajournal «eLife», das 2011 von der Max Planck Gesellschaft, dem Wellcome Trust und den Howard Hughes Medical Institutes gegründet wurde. Seit kurzem verlangt allerdings auch eLife von den Autoren eine Publikationsgebühr und ist für die Forschenden also nicht ganz gratis. Die Etablierung derartiger Open-Access-Verlage, das heisst neuer Qualitätsmarken, ist allerdings nicht kurzfristig möglich, sondern braucht einen langen Atem.

Auf Seiten der Geisteswissenschaften gibt es Befürchtungen, Open Access könnte die traditionellen Monographien bedrohen.

Ich denke, Bücher haben ihre eigenen Vorzüge und werden nicht vom Markt verschwinden. ((Michael Hengartner zieht einen wundervoll illustrierten Band vom Naturforscher Lorenz Oken, dem ersten Rektor der Universität Zürich, hervor)). Es gibt verschiedene Modelle, wie man Buchpublikationen sichern kann, auch wenn der Inhalt frei zugänglich sein muss. Im Prinzip läuft es darauf hinaus, dass ein Akteur die Publikationskosten zusätzlich abgelten muss. Die Diskussionen sind in Gang. Der Schweizerische Nationalfond kennt derzeit grosszügige Ansätze für digitale Open-Access-Bücher.

Laut der Nationalen Strategie von swissuniversities soll Open Access bis 2024 verwirklicht werden, der SNF schreibt Open Access für seine geförderten Projekte sogar bis 2020 vor.

Als Präsident von swissuniversities kann ich sagen, dass die verschiedenen Institutionen unserer Organisation unterschiedlich unterwegs sind. Wir betrachten es als realistisch, dass bis 2024 grundsätzlich alle Publikationen online verfügbar sind. Die Vorgaben des SNF helfen uns, dieses Ziel zu erreichen.

Wo steht die Universität Zürich?

Was die UZH betrifft, so sind heute knapp 40 Prozent unserer Publikationen im Volltext in unserem Repositorium ZORA frei zugänglich. Dank dem Engagement meines Vorgängers Hans Weder, der sich als einer der ersten Rektoren für Open Access eingesetzt hat, hat die UZH in der Schweiz eine Pionierrolle inne.