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Ignazio Cassis an der UZH

«Nichts tun ist kein Plan»

Bundesrat Ignazio Cassis besuchte gestern auf Einladung des Schweizerischen Instituts für Auslandforschung die Universität Zürich. Er warnte vor einem Stillstand bei den Verhandlungen mit der EU, das führe zur Erosion der Märkte.
Marita Fuchs

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«Es pressiert»: Bundesrat Ignazio Cassis sprach über das institutionelle Rahmenabkommen mit der Europäischen Union. (Foto: Andrea Camen)

 

Bundesrat Ignazio Cassis trat gestern gut gelaunt vor das zahlreich erschienene Publikum in der Aula der Universität Zürich, um über ein aktuelles Thema zu sprechen: Die Schweiz in Europa. Der Aussenminister fühlte sich sichtlich wohl, er wurde überschwänglich begrüsst. Im Publikum sassen der Chef der Nationalbank, kantonale Politgrössen und auch Vertreter der EU in der Schweiz. Gleich zu Beginn seiner Ansprache betonte der Aussenminister: «Die Schweiz liegt im Herzen Europas, und Europa im Herzen der Schweiz», das sei Tatsache, auch wenn einige die Schweiz lieber als einsame Insel sähen, so Cassis augenzwinkernd.

Das Departement für auswärtige Angelegenheiten sei ihm – er sei von Haus aus Arzt – von seinen Bundesratskollegen zugeteilt worden, sagte Cassis zu Beginn. Er sei froh darüber, denn nun könne er sich nach 25-jähriger Beschäftigung mit  Krankenkassenprämien endlich eine ganz neue Welt erschliessen.

Er sei nun an die Universität Zürich gekommen, um die Anwesenden mit auf eine Zeitreise zu nehmen, eine Wanderung, deren Finale in einigen Wochen bevorstehe. Einige Hürden seien jedoch noch zu meistern. Damit spielte Cassis bereits zu Beginn auf das institutionelle Rahmenabkommen mit der Europäische Union (EU) an, für das er dringend warb. Die Zeit für Verhandlungen sei knapp, denn ab Mai 2019 seien wegen des Wahlkampfs in der EU unruhige Zeiten zu erwarten.

Freier Zugang zum Binnenmarkt

Primäres Ziel des bilateralen Weges sei es, so Cassis, der Schweizer Wirtschaft einen möglichst freien Zugang zum essenziell wichtigen EU-Binnenmarkt zu verschaffen. Um diesen Kurs zu halten, müsse man verhandeln, auch wenn es Druck von Seiten der EU gebe und Widerstand von der Schweiz. «Unser Land hat eine tiefe Abneigung gegen eine Machtkonzentration, es ist geprägt vom Föderalismus, der direkten Demokratie und dem Milizsystem», sagte Cassis. Die EU sei aber für die Schweiz eminent wichtig, so würde jeder dritte Franken in der Schweiz im Austausch mit der EU verdient. «Wir sprechen von einem Handelsvolumen von 1 Milliarde Schweizer Franken pro Tag», so Cassis.  Zudem hingen in der Schweiz 1'500’000 Arbeitsplätze von Exporten in die EU ab.

Cassis zeichnete zunächst den Weg zur heutigen Situation nach. In über 46 Jahren habe die Schweiz mit Europa etwa 180 Abkommen geschlossen. 20 bis 25 davon seien sehr wichtig. Doch wie in jeder Partnerschaft sei das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU ein Auf und Ab, es gebe Streit und dann wieder eine Versöhnung. Wichtig sei aber auch in Zukunft, dass die bilateralen Abkommen einen erleichterten Zugang zu den Arbeits-, Waren- und Dienstleistungsmärkten gewährten, ebenso wie verbesserte wirtschaftliche Rahmenbedingungen und eine vertiefte Zusammenarbeit.

Hochschulen mitbetroffen

Um das komplizierte Flechtwerk etwas zu vereinfachen, nannte Cassis zwei Typen von Abkommen: zum einen bilaterale Marktzugangsabkommen und zum anderen Assoziierungs- und Kooperationsabkommen. Letztere beträfen Abkommen, die in der akademischen Welt grösste Bedeutung hätten, so wie das Forschungsabkommen Horizon 2020.

Der Bundesrat habe folgende strategische Ziele, sagte Cassis: Rechtssicherheit schaffen, Berechenbarkeit gewährleisten, den Marktzugang ausdehnen und die Kooperation in bestimmten Sektoren der Wirtschaft, wie etwa der Stromwirtschaft, regeln. Die Schweizer Bevölkerung habe sich für die Energiestrategie 2050 entschieden. «Wir wollen weg von der Atomkraft; das schaffen wir nicht allein, trotz unserer Stauseen», sagte der Bundesrat. Doch innenpolitisch Akzeptanz für die Verhandlungen mit der EU zu schaffen, sei im Moment schwierig. Aber: «Nichtstun ist kein Plan A».

Erosionen vermeiden

«Wenn wir stehen bleiben, gibt es eine Erosion des Marktzugangs», so der Bundesrat. Das institutionelle Rahmenabkommen sei lediglich ein Instrument, um die Zusammenarbeit mit der EU zu regeln. Er wisse zwar, dass allein schon die Bezeichnung Angst mache. Institutionell bedeute aber lediglich, dass rechtliche Regelungen zwischen der EU und der Schweiz getroffen würden.

Um ein möglichst reibungsloses Funktionieren der bilateralen Verträge zu gewährleisten, sieht das Rahmenabkommen vor, dass die Schweiz in bestimmten Bereichen künftig EU-Recht dynamisch übernimmt. Dynamisch, so Cassis, heisse aber nicht automatisch, weil die Schweizer Gesetzgebungsprozesse inklusive dem Referendumsrecht erhalten blieben. Würde sich die Schweiz gegen ein bestimmtes EU-Gesetz entscheiden, könnte die EU Gegenmassnahmen wie zum Beispiel die teilweise Aussetzung eines Abkommens beschliessen. Ein Schiedsgericht würde über die Angemessenheit der Gegenmassnahmen wachen.

Ein Plus für die Schweiz

Cassis betonte, dass die Verhandlungen mit der EU im Wesentlichen geführt seien. Doch einige Fragen müssten noch geklärt werden. Dabei gebe es für die Chefunterhändler so genannte rote Linien, die nicht verhandelbar seien. Er nannte die flankierenden Massnahmen, die Unionsbürgerschaft und die Arbeitslosenversicherung.

Es gehe dabei unter anderem um die Frage, welche Mittel die Schweiz anwenden möchte, um ihr Lohnniveau zu schützen. In der EU gebe es Widerstand vor allem gegen die Regelung, dass Firmen aus der EU einen Einsatz in der Schweiz acht Tage vorher anmelden müssen. Auch über die so genannte Unionsbürgerschaft müsse noch diskutiert werden. Diese sichert EU-Bürgern Rechte zu, die über die im Freizügigkeitsabkommen enthaltenen hinausgehen, wie etwa das Recht auf Sozialhilfe ohne vorherige Erwerbstätigkeit.

Cassis betonte am Ende seines Vortrags noch einmal die Dringlichkeit der Verhandlungen mit der EU. Die Schweiz werde zwar nicht untergehen, wenn man sich nicht einigen könne. Doch um stabile Standortbedingungen für Handel, Investitionen und für wichtige Kooperationen wie etwa das Forschungsprogramm Horizon 2020 beziehungsweise das darauf folgende Siebenjahresprogramm zu schaffen, sei es wichtig, die Verhandlungen zu einem guten Ende zu bringen. «Es pressiert langsam», sagte er auf Berndeutsch zum Schluss und erntete zustimmenden Beifall.

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