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Internationalität und Mobilität

Auf das Netzwerk kommt es an

Die Soziologin Katja Rost und der Molekularbiologe Christian Mosimann diskutieren über den Stellenwert von Internationalität und Mobilität in wissenschaftlichen Karrieren. Fazit: Aufenthalte an prestigeträchtigen ausländischen Universitäten allein genügen nicht, wichtig ist auch der Aufbau eigener Netzwerke. Und wer Forschung betreibt und eine Familie gründen möchte, sollte sich eher früher als später darum bemühen, beides zu vereinbaren.
Gesprächsführung: Stefan Stöcklin

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«Internationalität ist kein Ausweis für Exzellenz, wichtig ist die Vernetzung», sagt Katja Rost, Professorin für Soziologie. (Bild: Frank Brüderli)

 

Ich möchte die Diskussion mit einer persönlichen Frage beginnen: Wie wichtig waren Aufenthalte an ausländischen Universitäten für Ihre Karriere?
Katja Rost: Ich würde in meinem Fall von einer nationalen Karriere sprechen, wobei ich darunter Deutschland und die Schweiz verstehe. Ich habe in Deutschland studiert und gearbeitet, kam ein erstes Mal für längere Zeit in die Schweiz, dann ging ich für eine Juniorprofessur und eine ordentliche Professur zurück nach Deutschland. Schliesslich erhielt ich den Ruf an die Universität Zürich. Die Frage eines Auslandsaufenthalts an einer fremdsprachigen Universität stellte sich immer wieder, aber letztlich kam es aus verschiedenen Gründen nicht dazu.

Fehlende Erfahrungen an angesagten angelsächsischen oder anderen renommierten Universitäten waren kein Problem?
Rost: Nein, das würde ich nicht sagen. Es gab einige Situationen, bei denen Mitbewerberinnen der Vorrang gegeben wurde, weil sie internationale Erfahrungen vorweisen konnten. Hier an der UZH war das zum Glück kein Hinderungsgrund. Ich konnte mit meinen Arbeiten, Publikationen und Netzwerken überzeugen.

Wie verlief die wissenschaftliche Karriere bei Ihnen, Herr Mosimann?
Christian Mosimann: Ich habe an der Universität Zürich studiert und danach auch die Doktorarbeit an der UZH geschrieben. Der Wunsch nach einem Auslandsaufenthalt reifte während dieser Zeit: Ich realisierte, dass auf meinem Gebiet – Genetik und Molekularbiologie – wichtige Impulse aus den USA und Grossbritannien kommen. Also war es mein Ziel, an einem dieser Hotspots zu arbeiten. Ich entschied mich zusammen mit meiner Frau, die auch als Forscherin in den Life Sciences arbeitet, für einen Postdoc-Aufenthalt an der Harvard-Universität in Boston. Dieser Schritt hat sich auf alle Fälle gelohnt, wissenschaftlich wie privat.

Rost: Ich möchte anfügen, dass ich zwar keine internationalen Erfahrungen aus anderen Sprachräumen vorweisen kann, aber innerhalb von Deutschland und der Schweiz sehr mobil war – und bin. Ich habe gut 15-mal den Wohnort gewechselt und viele Erfahrungen an verschiedenen deutschsprachigen Universitäten gesammelt. Auf Auslandserfahrungen in Übersee habe ich zu Gunsten der Lebensqualität bewusst verzichtet, vor allem deshalb, weil ich mein privates Netzwerk nicht aufgeben wollte.

Internationalität und Mobilität werden von der UZH und von Forschungsförderungsinstitutionen gefördert und gefordert. Worin besteht eigentlich der Gewinn?
Mosimann: Als Erstes würde ich die wissenschaftlichen Netzwerke nennen, die sich im Ausland knüpfen und vertiefen lassen. Für mein Fachgebiet – Entwicklungsbiologie mit Zebrafischen – sind die Elite-Hochschulen bei Boston wegen der Forscherinnen und Forscher eminent wichtig. Ich konnte dort mein Netzwerk ausbauen und Leute aus der ganzen Welt kennenlernen. Von diesen Kontakten profitiere ich hier in der Schweiz weiterhin. Ein zweiter Punkt ist das Englische: Es ist nun mal die vorherrschende Sprache in den Life Sciences. Ich habe bewusst einen Ort in den USA ausgesucht, um die englische Sprache besser zu erlernen und so gut wie möglich zu beherrschen. Denn das hilft bei der Kommunikation und beim Verfassen von Publikationen.

Rost: Auch in meiner Disziplin, der Soziologie, aber auch in den Sozialwissenschaften generell, spielt der englische Sprachraum eine immer wichtigere Rolle. Die meisten tonangebenden Journals kommen unterdessen aus den USA. Das heisst: Gute Englischkenntnisse sind essenziell. Die kann man sich durch Aufenthalte an Universitäten in den USA oder Grossbritannien erarbeiten oder durch Kurse und Sprachstunden hier, wie ich es gemacht habe. Das andere sind die Netzwerke, ist die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen. Mobilität und Auslandsaufenthalte dienen in erster Linie deren Aufbau, und das gilt natürlich auch für uns Soziologen. Gerade in einer kleineren Fachdisziplin ist es entscheidend, dass man die wichtigen Leute kennt und mit ihnen zusammenarbeiten kann.
Es gibt, von den Disziplinen aus betrachtet, aber wichtige Unterschiede: Während die Life Sciences international die gleichen Forschungsobjekte untersuchen, unterscheiden sich die soziologischen Inhalte von Land zu Land. Man kann den Auslandsaufenthalt als Bereicherung betrachten, als Möglichkeit, über den Tellerrand zu blicken. Aber er lenkt auch den Fokus in der sozialwissenschaftlichen Forschung auf andere Inhalte. Es ist an einer ausländischen Universität schwieriger, weiterhin die Schweiz zu erforschen. Umgekehrt interessiert sich die Forschung hierzulande weniger für das Verhältnis zwischen Schwarzen und Weissen als in den USA, um ein Beispiel zu nennen.

Erschweren Internationalisierung und Globalisierung die Erforschung lokaler Themen?
Rost: Das schwingt in der Debatte im Hintergrund mit. Die Frage lautet, ob die Internationalisierung Fehlanreize schafft und ob eine Verschiebung von Forschungsthemen auf Kosten lokaler Projekte und Studien stattfindet.
Mosimann: Dieses Problem stellt sich in den Life Sciences und Naturwissenschaften weniger. Mathematik, Physik und Chemie sind ortsungebunden überall auf der Welt gleich. Wovon wir bis jetzt aber nicht gesprochen haben, ist die Lehre. Ich habe in meinen Wanderjahren als Postdoc neue, wertvolle Ideen für die Vermittlung kennengelernt, die ich für meine Lehre übernommen habe. Das ist nicht an den angelsächsischen Sprachraum gebunden. Inspiration kann man sich an allen Universitäten weltweit holen.

Rost: Das stimmt, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass meine zahlreichen Aufenthalte an deutschsprachigen Universitäten weniger anerkannt wurden. Angesagte angelsächsische Universitäten machen sich im Lebenslauf viel besser. Eine No-Name-Universität im amerikanischen Hinterland interessiert kaum jemanden. Es sollte dann schon eine der grossen Elite-Hochschulen sein.

Mosimann: Diese Labels mögen tatsächlich manchmal überbewertet sein; es ist nicht alles Gold, was glänzt. Wichtiger als prestigeträchtige Namen sollte die Vernetzung sein, die eine Forscherin oder ein Forscher vorweisen kann. Es geht darum, ob man mit den relevanten Communitys kooperiert. So betrachtet, führt ein Auslandsaufenthalt an einer Elite-Hochschule nicht zwingend zu einem Netzwerk. Es kommt auf die Person und ihre Fähigkeiten an, Kontakte zu knüpfen und ein Netzwerk aufzubauen.

Rost: Da bin ich völlig einverstanden. Internationalität per se ist kein Ausweis für Exzellenz, wichtig sind die Vernetzung und die Mobilität. Es genügt nicht, einmal in Harvard gewesen zu sein und dann jahrelang mit denselben Kollaborationspartnern zusammenzuarbeiten. Es geht in der Forschung um wechselnde Kollaborationen, mal mit dem einen Forschungsteam, dann mit einem anderen.

«Man sollte die Studierenden gut darüber aufklären, wie wichtig Mobilität und Auslandserfahrungen sind», sagt Christian Mosimann, Professor für Molekularbiologie. (Bild: Frank Brüderli)

 

Auslandserfahrungen fördern die Vernetzung der Forscherinnen und Forscher. Wie steht es mit dem Familienwunsch: Gibt es einen Zielkonflikt mit den Kriterien Internationalität und Mobilität?
Rost: Auf jeden Fall. Es ist in der Wissenschaft nicht einfach, Kinder- und Karrierewunsch zu vereinbaren, weil man meist erst spät mit einer festen Anstellung rechnen kann. Andererseits lässt sich die Mobilität recht gut mit einer Familie vereinbaren, solange die Kinder nicht schulpflichtig sind, da es an den meisten Universitäten gute und günstige Infrastrukturen gibt. Zudem sind Betreuungspersonen fast überall in der Welt deutlich günstiger als in der Schweiz.

Mosimann: Die meisten Leute, die eine wissenschaftliche Karriere verfolgen, haben relativ spät Kinder. Unser Kind kam während der Postdoc-Zeit in den USA zur Welt. Ich sehe bei uns und in meinem Umfeld bezüglich Familienwunsch eigentlich kein Problem. Das lässt sich vereinbaren, auch wenn es viel Organisationsaufwand bedeutet.

Rost: Ich habe unsere Kinder unter anderem wegen der akademischen Laufbahn relativ spät bekommen. Unterdessen habe ich meine Meinung geändert und finde, die Leute sollten ihre Kinder früh kriegen. Ich habe einfach zu viele Fälle gesehen, bei denen es später nicht mehr klappte. Deshalb sollte man auch beim Thema Mobilität genau hinschauen, die Vernetzung bewerten und nicht Internationalität um der Internationalität wegen fordern. Sie erschwert die Familienbildung, vor allem für Frauen, weil im Ausland das familiäre Netzwerk für die Betreuung fehlt. Dies ist einer der Gründe, weshalb viele Frauen aus der Wissenschaft aussteigen.

Was empfehlen Sie diesen Wissenschaftlerinnen?
Rost: Ich empfehle ihnen auf alle Fälle nicht, die Forschung und die Wissenschaft zu verlassen. Sie sollten stattdessen versuchen, Forschung und Familie zu vereinbaren, möglichst frühzeitig. Ich denke auch, dass die Internationalität kein Alleinstellungsmerkmal mehr ist, denn heute kann fast jede Wissenschaftlerin, jeder Wissenschaftler internationale Erfahrungen vorweisen.

Mosimann: Das sehe ich anders. Internationalität und Mobilität bleiben zentral. Ich stelle mit Besorgnis fest, dass bei uns schweizerische Doktoratsbewerber zunehmend Mühe haben, sich gegen internationale Bewerber zu behaupten. Die Bewerbungsdossiers ausländischer Nachwuchsleute sind häufig internationaler, die Leute kommen mit attraktiveren Lebensläufen. Sie schneiden dann oft auch in den Interviews besser ab.

Rost: Bewertet ihr schon die Doktorierenden hinsichtlich Internationalität? Diese Kriterien setzen bei uns in der Regel auf Professoren- oder höchstens auf Postdoc-Stufe an. Ich finde, da muss man vorsichtig sein. Wenn man diesen Massstab schon bei Doktorandinnen und Doktoranden ansetzt, läuft man Gefahr, talentierte Bewerberinnen und Bewerber auszuschliessen, nur weil sie keinen Auslandsaufenthalt vorweisen können. Da erzeugt man mit gutgemeinten Auflagen eine negative Diskriminierung.

Mosimann: Es ist einfach so, dass Studierende aus der Schweiz weniger mobil sind als andere Nationalitäten. Das ist wohl eine Mentalitätsfrage. Deshalb sollte man die Studentinnen und Studenten gut darüber aufklären, wie wichtig Mobilität und Auslandserfahrungen sind und welche Möglichkeiten sich anbieten, ein Semester oder einen Aufenthalt an einer anderen Universität zu absolvieren. Ich denke, da könnte man noch stärker über Angebote und Möglichkeiten der Finanzierung informieren.

Rost: Wir haben durchaus Studierende, die ins Ausland gehen, wenn auch nicht so viele wie in Deutschland. Vielleicht sagen sich auch manche: Warum soll ich weggehen? Ich kriege anderswo keine bessere Ausbildung als hier. Man kann die Mobilität nicht erzwingen. Kehrt man den Blickwinkel um, dann stelle ich fest, dass Schweizer Studierende sich im Ausland sehr gut schlagen. Sie leben sich schnell ein, sind sprachgewandt und eloquent. Ich weiss, Schweizer haben da ein negatives Bild von sich selber, aber die Studien, die ich kenne, zeigen ein anderes Bild.

Inwieweit kann man heute mithilfe des Internets und digitaler Technologien Auslandserfahrung und Vernetzung ersetzen? Ich denke an E-Mail, Videotelefonie, Telepräsenz- Systeme oder gemeinsame Dropbox-Ordner ...
Mosimann: Die Technik ersetzt nicht den persönlichen Kontakt. Persönliche Beziehungen sind immer noch unschlagbar, wenn es darum geht, Kollaborationen aufzubauen, Papers zu schreiben oder gemeinsam Projekte einzugeben. Es ist auch wichtig, die Kolleginnen und Kollegen immer wieder mal an Konferenzen und Meetings zu treffen. Die Tools helfen bei der Planung und bei der Kommunikation, aber Facebook und Twitter sind keine vergleichbaren Mittel.

Rost: Da stimme ich völlig überein. Die Tools erleichtern die Kommunikation, aber sie ersetzen nicht den direkten Kontakt. Wenn man die Verbindungen mal hat, sind die sozialen Medien, das Internet oder auch Skype extrem hilfreich. Aber die Technik ersetzt das Angesicht zu Angesicht nicht. Es geht um das ungezwungene Gespräch beim Dinner oder Apéro, wo man Themen ausloten kann.

Bringt Vernetzung im Internet weniger als angenommen?
Mosimann: Man sollte das eine nicht gegen das andere ausspielen. Es braucht beides – und es gibt neue Herausforderungen: Die neuen digitalen Technologien können einem auch ein Netzwerk vorgaukeln, das man eigentlich gar nicht hat. Denn ohne vertieften persönlichen Kontakt nutzen flüchtige Bekanntschaften wenig. Darum sind Konferenzen für die Wissenschaft zentral. Die finden übrigens in unserem Feld mehrheitlich im Ausland statt, nicht zuletzt, weil die Schweiz vergleichsweise teuer ist.

Es gibt ein Spannungsfeld zwischen Mobilität und Sesshaftigkeit. Was sollten Institutionen tun, um die Mobilität zu erhöhen?
Rost: Mir ist die permanente Mobilität wichtig, das heisst, man muss sicherstellen, dass die Leute mobil bleiben und regelmässig Konferenzen im näheren und weiteren Ausland besuchen können. An der UZH erhalten wir über den Graduate Campus gute Unterstützung; der SNF könnte noch etwas mehr beitragen. Gleichzeitig finde ich, dass man den Leuten keinen Vorwurf machen sollte, wenn sie aus persönlichen und familiären Gründen weniger mobil sein möchten.

Mosimann: Auf Stufe Postdoc gibt es genug Programme und Fellowships von verschiedenen Institutionen wie SNF oder EMBO, die Aufenthalte im Ausland finanzieren. Auf den unteren Stufen gibt es aus meiner Sicht noch Raum für Verbesserungen.

 

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