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1939 brachen zwei österreichische Bergsteiger – der Agronom Peter Aufschnaiter und der Geograf Heinrich Harrer – zum Achttausender Nanga Parbat in Kashmir auf. Auf der Rückreise wurden sie vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs überrascht und von der britischen Armee interniert. Fünf Jahre später gelang ihnen die Flucht ins Hochland von Tibet und nach Lhasa, wo sie sich niederliessen.
In Lhasa vermass Aufschnaiter für die tibetische Regierung die Stadt, baute Bewässerungssysteme und erprobte neues Saatgut. Daneben kartografierte er die Landschaft, machte Aufzeichnungen zum Klima und beschäftigte sich mit Landwirtschaft, Flora, Fauna und archäologischen Ausgrabungen. Harrer unterstützte ihn, übernahm aber auch eigene Mandate. Er nahm an gesellschaftlichen Anlässen teil, organisierte sportliche Aktivitäten und dokumentierte das Leben in der Stadt.
Im Zuge der Machtübernahme durch die kommunistische chinesische Regierung mussten Aufschnaiter und Harrer Lhasa Ende 1950 verlassen: jeder mit einer Sammlung ethnografischer Alltags- und Ritualgegenstände, mit zahlreichen Fotos, Karten und Zeichnungen, hunderten Seiten Tagebucheinträgen und Notizen. Harrer kehrte nach Europa zurück, von wo er zu neuen Reisen aufbrach und durch Auftritte und Publikationen Bekanntheit erlangte. Aufschnaiter, der ein eher zurückgezogenes Leben führte, begab sich nach Nepal, wo er bis zu seinem Tod 1973 lebte.
In den 1970er-Jahren wurde zuerst Harrers Tibetsammlung und später auch jene Aufschnaiters in die Obhut des Völkerkundemuseums der Universität Zürich gegeben. Dieses stellt in seiner aktuellen Ausstellung erstmals Bezüge zwischen den beiden Nachlässen her. So entsteht eine vielschichtige, verdichtete Karte Tibets, die dazu einlädt, gängige Stereotype zu überdenken. «Über die ausgestellten Gegenstände nähern sich die Besuchenden den Menschen, die sie einst hergestellt und verwendet haben», erklärt Kuratorin Martina Wernsdörfer. Schlagfeuerzeug, Steinschleuder, Münzen oder Kleidung werden zum Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit dem tibetischen Alltag der 1940er-Jahre, mit lokalen Fertigkeiten und einer Gesellschaft im Umbruch.
Der erste Teil der Ausstellung thematisiert die Wirkung von Harrers Buch «Sieben Jahre in Tibet» im Kontext herkömmlicher Sichtweisen auf Tibet. Seit den Schilderungen erster europäischer Reisenden im 17. Jahrhundert umgab das Land eine geradezu mystische Aura. In den belastenden Kriegs- und Zwischenkriegszeiten des 20. Jahrhunderts intensivierte sie sich und erhielt mit den Umwälzungen auf dem Dach der Welt ab 1950 neue Nahrung. Als mentale Gegenreaktion wurde das Bild eines traditionell verstandenen Tibet quasi eingefroren.
Ein zweiter Ausstellungsteil greift das kontrovers diskutierte Kapitel der nationalsozialistischen Vergangenheit von Harrer, aber auch von Aufschnaiter auf. Als Bezugsrahmen dient das Bergsteigen im Spannungsfeld zwischen persönlicher Leidenschaft, Massenbegeisterung und politischer Instrumentalisierung. Anknüpfungspunkte sind die Erstbegehung der Eigernordwand 1938, an der Harrer beteiligt war und die in der deutschen Propagandapresse als Sieg Grossdeutschlands ausgelegt wurde, sowie die nachfolgende Expedition zum Nanga Parbat 1939 unter der Leitung von Aufschnaiter. Materialien aus mehreren Archiven bieten Anhaltspunkte beim Nachdenken über offene Fragen – auch in den Leben von Harrer und Aufschnaiter.
Der dritte Bereich und Hauptraum schliesslich widmet sich den Objekten sowie Fragen des Sammelns und Dokumentierens. In der Gegenüberstellung der beiden ethnografischen Nachlässe offenbaren sich nebst Ähnlichkeiten auch Unterschiede, die individuelle Blickwinkel und Verhaltensweisen der beiden Männer zu erkennen geben. Sichtbar werden aber vor allem die Menschen, denen Harrer und Aufschnaiter in Lhasa begegneten, ihre Zeitgenossen und Lebenswelten. «Die Objekte werden zu Mosaikstücken in grösseren Zusammenhängen», sagt Martina Wernsdörfer. «Über ihre Bezüge untereinander erschliessen sich neue Dimensionen, die über Harrer und Aufschnaiter, aber auch über scheinbar vertraute Tibetbilder hinausgehen und so zu einer eigenständigen Auseinandersetzung mit dem Gebiet und seiner Gesellschaft einladen.»