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«Der Abschluss eines grossen Buchprojekts ist wie das Ende einer Liebesbeziehung», sagte der Historiker Bernd Roeck im Talk im Turm. Vor kurzem ist sein Monumentalwerk über die Renaissance erschienen. «Der Morgen der Welt», lautet der Titel. Zehn Jahre hat Roeck daran gearbeitet. Das Ergebnis ist eine 1300 Seiten umfassende Zeitreise in eine Epoche, die uns auf faszinierende Weise fremd ist, obwohl sie die Grundlagen für die Moderne legte.
Als Physiker stehe ihm der Sinn weniger danach, ein dickes Buch zu schreiben, sagte Titus Neupert. Physikerinnen und Physiker hätten den Ehrgeiz, ihre Erkenntnisse in möglichst kompakten Formeln auszudrücken. «In der Physik liegt die Eleganz in der Kürze.»
Neupert erforscht an der UZH Quanteneffekte in Festkörpern. Zudem beteiligt er sich an der Entwicklung von Quantencomputern. Diese, so stellte er in Aussicht, werden weit effizienter sein als die heutigen digitalen Rechner.
Thema des von Roger Nickl und Thomas Gull geleiteten Podiumsgesprächs im Restaurant Uniturm war die Zeit. Der Historiker Bernd Roeck skizzierte den Wandel der Zeit-Vorstellungen im Lauf der Geschichte, und Titus Neupert erklärte, was die moderne Physik seit Einstein über die Zeit weiss – dass es nämlich keinen objektiven Zeitbezug gibt. Wie schnell die Zeit vergeht, hängt davon ab, wie schnell sich der Beobachter bewegt. Je höher die Geschwindigkeit, desto langsamer läuft die Zeit. Bei Lichtgeschwindigkeit steht die Zeit still.
Wie vieles in der modernen Physik ist auch das Verhältnis von Raum und Zeit nur schwer zu vermitteln, weil es den menschlichen Erfahrungshorizont überschreitet. Das Unanschauliche zu veranschaulichen sei eine der grössten Herausforderungen der Physik, sagte Neupert. Metaphorische Bilder leisten dafür unschätzbare Dienste. Manche dieser Metaphern – zum Beispiel der «Urknall», das «Schwarz Löcher», «weisse Löcher» oder «Wurmlöcher» – haben Eingang in die Populärkultur gefunden und beflügeln die kollektive Phantasie. Wer möchte nicht einmal durch ein Wurmloch in die Zukunft reisen?
Einsteins Relativitätstheorie zertrümmerte viele für unser Alltagsverständnis grundlegende Vorstellungen, darunter auch die einer in gleichförmigem Takt voranschreitenden Zeit. Dabei war diese Idee einer linearen Zeit selbst einmal revolutionär gewesen. Geprägt wurde sie in der Renaissance. In der Antike und im Mittelalter hatten zyklische beziehungsweise heilsgeschichtlich-apokalyptische Zeitvorstellungen dominiert. Der Umbruch ging mit der Verbreitung mechanischer Uhren einher: Ihr gleichmässiges Tick-Tack versinnbildlichte den linearen Zeitfluss.
Zur Zeit der Renaissance war Europa der Schauplatz einer Wissensexplosion, wie sie die Welt zuvor noch nicht gesehen hatte. Die Renaissance-Gelehrten reaktivierten nicht nur das Wissen der Antike, sondern schufen auch viel Neues. Erfindungen wie die Schraube, die Brille oder die doppelte Buchhaltung ebneten den Weg für eine Vielzahl von Folge-Innovationen, erklärte Bernd Roeck. Die Gesellschaft begann ihr Gesicht immer schneller zu verändern. Das Mittelalter war vorbei.
Die dramatischsten Folgen hatte die Erfindung des Buchdrucks. Mehr Menschen als jemals zuvor konnten jetzt über zeitliche und räumliche Distanzen hinweg miteinander kommunizieren, es entstand eine europäische Wissens-Gemeinschaft, die von Sizilien bis Island reichte. Die durch den Buchdruck ermöglichte Schwarmintelligenz beschleunigte den Fortschritt in ungeahnter Weise, denn, so Roeck: «Je mehr Köpfe mitdenken, desto grösser die Chance, dass einer eine gute Idee hat.»
Ohne den Buchdruck hätte es keine Entdeckung Amerikas, keine Reformation als Massenbewegung und keine wissenschaftliche Revolution gegeben, sagte Roeck. Sind wir heute Zeitzeugen eines vergleichbaren Umbruchs? Für Neupert steht das ausser Frage: «Die Digitalisierung», prognostizierte er, «wird zu einer neuen wissenschaftlichen Revolution führen.»