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Normalerweise sorgt die Kooperation von Genen dafür, dass ein Organismus wachsen und gedeihen kann. Doch es gibt auch Gene, die ein anderes Ziel verfolgen: Sie wollen sich selbst weiterverbreiten und verdrängen hierfür andere Gene. Ein solches egoistisches Supergen ist der sogenannte t-Haplotyp – ein Komplex aus mehreren gemeinsam vererbten Genen, der natürlicherweise in Hausmäusen vorkommt. «Dieses Supergen verschafft sich gegenüber anderen Genen einen unfairen Vorteil bei der Vererbung», erklärt Jan-Niklas Runge, Erstautor der Studie und Doktorand der Evolutionsbiologie an der Universität Zürich. Eigentlich hat jedes Gen eine 50-Prozent-Chance an einen Nachkommen übertragen zu werden. Doch Spermien, die das Supergen tragen, vergiften konkurrenzierende Spermien desselben Tieres und erhöhen ihre Befruchtungschance dadurch auf 90 Prozent. Ähnliche Mechanismen finden sich auch in anderen Organismen, etwa in Fruchtfliegen oder in Mais.
In einer Langzeitstudie haben die Forschenden nun untersucht, wie sich dieses Supergen auf das Migrationsverhalten von Hausmäusen auswirkt. Hierzu führten sie acht Jahre lang genau Buch über das Kommen und Gehen in vier Gruppen von wilden freilebenden Hausmäusen in einer Scheune in der Nähe von Zürich. Mit Hilfe von Genanalysen, Funksendern und regelmässigen Zählaktionen konnten sie dabei nachweisen, dass Träger des t-Haplotyps vermehrt zwischen den Gruppen wechselten oder die Scheune ganz verliessen. Die Wahrscheinlichkeit für eine solche Migration war dabei gegenüber normalen Tieren um fast 50-Prozent erhöht. Die Studie konzentrierte sich auf Jungtiere, welche bei Hausmäusen die typische Altersgruppe für Migration darstellen.
Die Wissenschaftler glauben, dass das Supergen das Verhalten der Mäuse auf diese Weise manipuliert, um sich selbst immer weiter auszubreiten. Eine solche Migration sichert zudem wahrscheinlich auch den Erhalt des t-Haplotyps im Genpool der Hausmäuse: Nimmt das Supergen nämlich in einer Population überhand, dann kann dies dazu führen, dass es sich selbst auslöscht. So sind beispielsweise Mäuse, die zwei Kopien des Supergens (von der Mutter und vom Vater) erhalten, nicht mehr lebensfähig. Ausserdem können sich Supergen-Spermien schlecht gegen normale Spermien durchsetzen, wenn sich ein Weibchen im gleichen Ei-Zyklus mit mehreren Männchen paart. «Grosse Populationen mit viel Konkurrenz um paarungsbereite Weibchen sowie Populationen mit einem hohen Anteil an Trägern des t-Haplotyps sind also eher schlecht für das Supergen», erklärt Runge. «Die Träger des Supergens wandern deshalb wahrscheinlich aus und schliessen sich Populationen an, in denen die Chancen auf Verbreitung besser sind.» Diese Vermutung wird durch das Resultat der Studie belegt: Je grösser die Population, desto ausgeprägter war das beobachtete Migrationsverhalten. So lässt sich auch erklären, wie es das Supergen trotz aller Nachteile geschafft hat, etwa zwei Millionen Jahre lang im Erbgut der Mäuse zu überleben. Die UZH-Forschenden arbeiten nun daran, diese Hypothese mit Computersimulationen und weiteren Experimenten zu überprüfen.
Schon jetzt planen Biologen aus anderen Forschungsgruppen den Einsatz dieses Supergens für die Kontrolle von invasiven Hausmäusen. Vermehren sich diese nämlich unkontrolliert an Orten, an denen sie nicht einheimisch sind, so kann dies das gesamte Ökosystem aus dem Gleichgewicht bringen. Deshalb wollen die Forschenden das Erbgut so manipulieren, dass die Mäuse unfruchtbar werden. Das Supergen soll dann dabei helfen, diese Modifikation möglichst schnell in der Mäusepopulation zu verbreiten. «Unsere Erkenntnisse sind dafür von grosser Bedeutung und können dazu beitragen, eine sichere und verlässliche Methode zur Bekämpfung solcher Invasionen zu entwickeln», hofft Runge.
Jan-Niklas Runge & Anna K. Lindholm. Carrying a selfish genetic element predicts increased migration propensity in free-living wild house mice. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences. October 3, 2018. DOI:10.1098/rspb.2018.1333