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0,5 Prozent der Bevölkerung leiden unter einem schweren Psychotrauma

Psychische Traumafolgen wurden bisher nur als Krankheitsdiagnose «posttraumatische Belastungsstörung» untersucht. Wie häufig diese in einer schwereren Form vorliegt, zeigt ein UZH-Psychopathologe erstmals mit einer repräsentativen Befragung: Mehr als ein halbes Prozent der Bevölkerung in Deutschland leiden unter einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung.

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Die komplexe PTBS wird häufig durch sexualisierte Gewalterlebnisse wie Kindesmissbrauch verursacht. (©eranicle/iStock)

Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) kann in einer besonders schweren Form vorliegen – der sogenannt komplexen posttraumatischen Belastungsstörung. Das psychische Leiden beider PTBS-Formen äussert sich in einer Überaktivierung der Erinnerungen an traumatische Erlebnisse – in Form von Bildern, Gerüchen und Geräuschen. Bei der komplexen PTBS leiden die Betroffenen unter Veränderungen ihrer Persönlichkeit und zwischenmenschlichen Beziehungen: insbesondere ein tiefsitzendes Misstrauen, die Unfähigkeit zur Intimität und ein stark reduzierter Selbstwert.

 

1,5 Prozent an klassischer PTBS erkrankt

Gemeinsam mit deutschen Forschenden führte Andreas Maercker, Professor für Psychopathologe an der Universität Zürich, eine repräsentative Umfrage durch. Dabei wurden rund 2'500 Erwachsene aus allen Altersgruppen an über 250 Orten in Deutschland befragt – zu traumatischen Erlebnissen wie Krieg, Vergewaltigung, sexueller Missbrauch in der Kindheit, schlimmer Unfall, Gewalthandlungen, Naturkatastrophen, Entführung, Zeuge eines traumatischen Erlebnisses oder andere traumatische Erlebnisse. Bei rund 0,5 Prozent der befragten Frauen und Männer diagnostizierten die Untersucherinnen und Untersucher eine komplexe PTBS. Bei 1,5 Prozent fanden sie die klassische PTBS. «Ich gehe davon aus, dass in der Schweiz die beiden PTBS-Formen ähnlich häufig vorkommen», sagt Andreas Maercker.

 

Sexueller Missbrauch in Kindheit ausschlaggebend

«Wir fanden die komplexe Form am häufigsten bei denjenigen Personen, die einen sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit oder fortgesetzte sexuelle Übergriffe als Jugendliche oder Erwachsene erleiden mussten», erklärt Andreas Maercker. Die schon länger bekannte klassische PTBS wurde demgegenüber am häufigsten von Menschen berichtet, die schwere Unfälle erlitten hatten oder die direkte Zeugen eines traumatischen Geschehens geworden waren.

Maerckers Studienergebnisse sind vergleichbar mit Befunden in Mitteleuropa, wo die komplexe PTBS hauptsächlich durch sexualisierte Gewalterlebnisse wie Kindesmissbrauch verursacht wird. «In anderen Weltregionen, wo es die komplexe PTBS schätzungsweise häufiger gibt, wird sie zusätzlich durch anhaltende Kriegserlebnisse, Verfolgung, Geiselhaft und Folter ausgelöst», ergänzt der UZH-Professor.

 

Weiterführende Forschung für bessere Therapien

«Die neue Diagnose der komplexen PTBS als Abtrennung von der bisher bekannten Form wurde notwendig, weil unterschiedliche Therapiestrategien gefragt sind», so Andreas Maercker. Während es für die oft auch nur als «Psychotrauma» bekannte PTBS gute Therapiemöglichkeiten gibt, die in mehreren Wochen oder Monaten das Leiden der betroffenen Patienten erleichtern, existieren erst wenige erfolgversprechende Therapien für das komplexe Psychotrauma – und es muss weiter nach ihnen geforscht werden. Die UZH-Wissenschaftler sind sowohl an Studien zur komplexen PTBS bei Flüchtlingen in der Schweiz als auch an internationalen Kooperationsstudien zu neuen Therapiemöglichkeiten beteiligt.

 

Aufnahme in Krankheitsliste der WHO

Andreas Maercker schlug der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 2013 gemeinsam mit einer internationalen Arbeitsgruppe die zusätzliche Diagnose einer komplexen PTBS vor. Das psychische Krankheitsbild wird im Frühjahr 2018 auf die Krankheitsliste der WHO aufgenommen.

Literatur:

Andreas Maercker, Tobias Hecker, Mareike Augsburger, and Sören Kliem. ICD-11 Prevalence Rates of Posttraumatic Stress Disorder and Complex Posttraumatic Stress Disorder in a German Nationwide Sample. Journal of Nervous and Mental Disease. January 30, 2018. DOI: 10.1097/NMD.0000000000000790

Weiterführende Informationen

Kontakt

Prof. Dr. Dr. Andreas Maercker

Psychologisches Institut

Universität Zürich

Tel. +41 44 635 73 10