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Mit dem Namen Heinrich Harrer (1912–2006) verbindet man hierzulande primär die Hollywood-Produktion «Sieben Jahre in Tibet» und die Erstdurchsteigung der Eiger-Nordwand. Dass der österreichische Geograf und Alpinist unzählige weitere Länder bereiste, darunter das westliche Neuguinea, das Xingu-Gebiet in Brasilien, Suriname, Französisch-Guyana sowie mehrere Länder im Grossraum Asien, ist wenig bekannt.
Die Sammlungen, die er während dieser Expeditionen anlegte – insgesamt über 1500 Artefakte – übergab Harrer 1973 zusammen mit seiner Tibet-Sammlung dem Völkerkundemuseum der Universität Zürich. Ausschnitte daraus werden nun in einer Ausstellung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Im Europäischen Jahr des Kulturerbes 2018 ist dies für Museumsdirektorin Mareile Flitsch «eine Gelegenheit, nach der heutigen Bedeutung solcher ethnografischen Sammlungen zu fragen und Möglichkeiten für einen zeitgemässen, wissenschaftlichen Umgang mit ihnen aufzuzeigen.»
Kombiniert mit gezielten Forschungsfragen, entpuppen sich die Gegenstände als Fundus von Geschichten und Informationen über ferne Länder, indigene Gesellschaften und Lebensformen. «Handwerkliche Fähigkeiten, soziale Ordnungssysteme und Weltanschauungen lassen sich ebenso aus ihnen herauslesen wie Spuren lokaler Geschichte oder interkultureller Begegnungen», sagt Kuratorin Maike Powroznik. Zugleich offenbaren die Objekte, ihr historischer Kontext, aber auch die Umstände, unter denen sie den Besitzer wechselten, Facetten des Sammlers Heinrich Harrer und ermöglichen eine kritische Auseinandersetzung mit seiner Person.
Das Hauptinteresse Harrers galt bis in die 1940er-Jahre dem Sport und den Bergen. Seine Ambitionen fielen allerdings in eine Zeit, in der der aufstrebende Nationalsozialismus herausragende bergsteigerische Leistungen für sich zu instrumentalisieren wusste. Die Nähe des jungen Harrer zur NS-Ideologie ist zumindest teilweise Ausdruck dieser ambivalenten Wechselbeziehung von Politik und Sport in jener Zeit. Der siebenjährige Aufenthalt im tibetischen Hochland veränderte jedoch seine Haltung: «Anders als früher trieb mich nicht nur der Berg, sondern auch die Neugier auf ferne Länder und das Leben fremder Völker wieder auf Reisen», schrieb er später in seiner Autobiografie.
Vor seiner Expedition ins westliche Neuguinea 1962 schloss Harrer mit dem Hessischen Rundfunk einen Vertrag für eine Fernsehserie ab. Mit dem Format «Heinrich Harrer berichtet» besetzte er in den Folgejahren einen festen Platz im deutschen Fernsehen. Auf seinen Reisen trug er nun gezielt Objekte zusammen und ergänzte sie mit Fotografien, Zeichnungen, Filmaufnahmen und Tagebucheinträgen. Meistens begleitete ihn ein Kameramann.
Die Ausstellung im Völkerkundemuseum erschliesst die während dieser Zeit entstandenen Sammlungen in zwei Teilen. Der erste Teil zeigt ausgewählte Ethnografika von fünf Expeditionen der 1960er-Jahre und wurde gemeinsam mit Ethnologie-Studierenden entwickelt. Diese erforschten, von einzelnen Objekten oder Objektgruppen ausgehend, spezifische Fragestellungen und zeigen so mögliche Herangehensweisen an die Gegenstände auf. «Wir möchten auch die Besuchenden dazu anregen, eigene Überlegungen anzustellen, diese auf Karteikarten festzuhalten und so einen Beitrag zur Auseinandersetzung mit den Sammlungen zu leisten», erklärt Powroznik. Der partizipative Ansatz gilt auch für das junge Publikum, für das zwei Studierende spezielle Entdeckungsstationen konzipierten.
Im zweiten Teil der Ausstellung wird eine umfangreiche Sammlung aus Suriname als Ganzes präsentiert. Harrer erwarb sie 1966 von Saamaka Marron, Nachfahren entflohener afrikanischer Sklaven, die auf den Plantagen der niederländischen Kolonialherren arbeiteten. Vielen von ihnen gelang ab Ende des 17. Jahrhunderts die Flucht, so dass sie sich tief im Landesinneren zu einer neuen Gesellschaft formieren konnten. Spuren ihrer bewegten Geschichte lassen sich anhand der Sammlung ebenso nachzeichnen wie ihr materieller Alltag. «Einigen dieser Fährten folgen wir bis in die Gegenwart», sagt Powroznik. «Damit fragen wir nach der Bedeutung der Objekte heute: für uns, aber auch für die Saamaka selbst.»