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Heute sind fast zwei Drittel der Todesfälle in der Schweiz aufgrund fortgeschrittenen Alters oder unheilbarer Krankheit vorhersehbar. Am Lebensende müssen deshalb schwierige Entscheidungen getroffen werden. «Wir haben untersucht, wie kulturelle Unterschiede in einem mehrsprachigen Land wie der Schweiz trotz eines gemeinsamen föderalen Rechtsrahmens die Entscheidungen am Lebensende beeinflussen», erklärt Samia Hurst, Direktorin des Instituts für Geschichte, Ethik und Geisteswissenschaften an der Medizinischen Fakultät der Universität Genf.
In ihrer Studie zeigen Forschende der Universität Zürich und der Universität Genf, dass zwar erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen bestehen, diese aber teilweise weniger bedeutsam sind als die Unterscheide zwischen den jeweiligen Sprachregionen und deren Nachbarländern in gleicher Muttersprache.
In allen Regionen gingen mehr als drei Viertel der Todesfälle eine oder mehrere End-of-life-Entscheidungen voraus, vor allem Entscheide, lebenserhaltende Behandlungen nicht anzuwenden oder abzusetzen (70,0% in der Deutschschweiz, 59,8% in der Romandie und 57,4% in der italienischen Schweiz).
Beihilfe zum Suizid blieb mit rund 1,5% aller zu erwartenden Todesfälle in der West- und Deutschschweiz marginal, in der italienischen Schweiz wurde kein Fall gemeldet. Diese Form der Sterbehilfe, bei der sterbewillige Personen von einem Arzt eine tödliche Dosis eines Medikaments erhalten, diese aber selber einnehmen müssen, ist in der Schweiz legal. Nicht erlaubt ist hingegen aktive Sterbehilfe, bei der eine andere Person das tödliche Mittel verabreicht.
Die Beteiligung der Patientinnen und Patienten am Entscheidungsprozess war im Tessin deutlich geringer als im Rest des Landes. «Dieses Ergebnis lässt sich nicht mit objektiven klinischen Unterschieden erklären», sagt Matthias Bopp vom Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich. Zu vermuten ist, dass im Tessin Entscheidungen eher im Kreise der Familie gefällt werden.
Ähnliche Studien, die einen internationalen Vergleich ermöglichen, wurden in Italien und Frankreich durchgeführt. «Auch wenn wir nicht in allen Landesregionen gleich sterben, sind unsere Herangehensweisen doch ähnlicher als diejenigen unserer Nachbarn. Die Westschweiz gleicht in mancher Hinsicht mehr der Deutschschweiz als Frankreich, was der grösseren Rolle der Patientenautonomie in der Schweiz entspricht», sagt Samia Hurst. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Schweizer Sprachregionen ähneln jedoch den Unterschieden zwischen Italien und Frankreich, was ebenfalls auf kulturelle Besonderheiten aufgrund der Sprache hindeute. Leider fehlen entsprechende Studien in Deutschland und Österreich, ein wichtiger limitierender Faktor in dieser transnationalen Analyse.
Immer mehr Schweizerinnen und Schweizer sind sich der Möglichkeit bewusst, vorab detaillierte Verfügungen zu ihrem Lebensende zu verfassen. Aber nur wenige tun es. «Es ist wichtig, darüber nachzudenken, welche Prioritäten wir am Ende des Lebens setzen. Worauf hoffen wir? Was fürchten wir? Was ist das Wichtigste für uns? Solche Entscheidungen für das Lebensende sollten frühzeitig mit dem behandelnden Arzt besprochen werden, damit die medizinischen und technischen Aspekte sowie ihre Konsequenzen richtig verstanden werden», betont Matthias Bopp.
Das Projekt war Teil des vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Nationalen Forschungsprogramms «End of Life» (NFP 67).
Literatur:
Samia A. Hurst, Ueli Zellweger, Georg Bosshard, Matthias Bopp: «Medical end-of-life practices in Swiss cultural regions: a death certificate study». BMC Medicine. 20. April 2018, DOI: 10.1186/s12916-018-1043-5