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Das kollektive Malen stand allen offen. Doch fanden sich am sonnigen und sommerlich warmen Dienstagnachmittag nur wenige spontane Besucher in der Kunsthalle Zürich ein. So malte vor allem das «Kernteam» drei Stunden lang zusammen – die Geisteswissenschaftlerinnen Wiktoria Furrer, Carla Gabrí, Ekaterina Kurilova-Markarjan, Nastasia Louveau, María Ordoñez, Dimitrina Sevova, Anja Nora Schulthess, Nika Timashkova und Valentina Zingg und der visuelle Künstler Artur Żmijewski. Den meisten der Wissenschaftlerinnen war das Malen nicht fremd, einige verstehen sich explizit als beides: Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen.
Doch was hat Malen mit Denken zu tun? Für Artur Żmijewski ist das keine Frage. Kunst ist für ihn politisches Denken; es ist Teilnehmen am öffentlichen Leben und Reagieren auf gesellschaftliche Probleme. Aber auch ein Sich-Einlassen auf Auseinandersetzungen und Streit. Kunst soll wirken und ein «Werkzeug» sein, «um politisch in die Welt eingreifen zu können», wie es im neu erschienenen Sammelband «Kunst als Alibi» von und über Artur Żmijewski (Diaphanes, 2017) heisst.
Das kollektive Malen in der Kunsthalle Zürich war als Ausdruck «der Dynamik eines kollektiven Verstands («mind») bei der Arbeit» gedacht. Da kollektiver Verstand keine Grenzen kennt, war es klar, dass alle daran teilnehmen können. «Du malst als Individuum, aber zusammen mit den Anderen schaffst du einen Gruppeneffekt», ѕо Żmijewski.
«Collective Painting in situ» war der Abschluss eines dreimonatigen Workshops zu «How to teach Art», den Artur Żmijewski mit Nachwuchsforschenden durchgeführt hatte (drei davon waren im Doktoratsprogramm «Epistemologies of Aesthetic Practices» des Collegium Helveticum).
Die UZH-Doktorandin, Künstlerin und Lehrende Nastasia Louveau fand den Workshop «eine richtig tolle und einmalige Angelegenheit». Sie schätzte es, sich so intensiv über eine längere Zeit mit einem Künstler wie Artur Żmijewski auseinandersetzen zu können. «Aber nicht nur der Austausch mit ihm und das Kennenlernen seiner Herangehensweise haben mir viel gebracht. Auch den sehr tiefgehenden Austausch mit den anderen Teilnehmenden und die Dynamiken, die aus dieser Reibung entstanden, habe ich als sehr wertvoll empfunden. Das ist zum einen genau das, was Artur Żmijewski in seiner künstlerischen Praxis schafft, glaube ich: Denkanstösse und Räume, um diese zu verhandeln. Es ist aber auch etwas, was zum Lernprozess – neben vermitteltem Know-how, Vorbildfunktion etc. – gehört: zwischenmenschliche Verbindungen und soziale Beziehungen, die innerhalb des Lehr-Lern-Settings entstehen.»
Artur Żmijewski lebt und arbeitet in Warschau. In seinen Arbeiten beschäftigt er sich immer wieder mit dem politisch Unkorrekten, Verstörenden, Anstössigen, Beunruhigenden und Versehrten. Schon mit seinen frühen Videos lancierte er eine Diskussion über künstlerische Freiheit und politische Korrektheit – etwa indem er nackte Menschen unterschiedlichen Alters in einem Konzentrationslager beim Fangenspielen zeigte. Soziale und individuelle Traumata kehren als Themen in seinen auf den ersten Blick rein dokumentarisch wirkenden Fotos und Videos wieder, in Tat und Wahrheit sind sie inszeniert. Die Körper, die er zeigt, sind behindert, verkrüppelt, angeschlagen, krank und alt. Еѕ sind die Körper «der Anderen», die kaum Eingang finden in die zeitgenössische visuelle Kunst.
Mit seinem Ansatz hat Artur Żmijewski die Kunstwelt überzeugt: Er repräsentierte Polen auf der Kunstbiennale von Venedig (2006), kuratierte die Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst (2012) und nahm an der documenta in Kassel teil (2017).