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Luftbildfotos und Infrarotaufnahmen von einem Schulhausareal liegen verstreut auf den Tischen. Die Schulklasse hat sich in Gruppen aufgeteilt und diskutiert. Ihr Auftrag lautet, die Bäume rund um das Schulhaus zu erfassen. Aber was ist damit gemeint: die Baumarten bestimmen? Oder den Gesundheitszustand der Bäume? Die Klasse im Kurs «Naherkundung und Fernerkundung » am Science Lab UZH ist aufmerksam an der Arbeit.
Kursleiter Reik Leiterer hat die Fragestellung absichtlich unscharf formuliert. Denn genau darum geht es: erkennen, wie Wissen entsteht und welche Informationen zur Eingrenzung einer Fragestellung nötig sind. Der Probeflug mit einer Drohne auf dem Campus Irchel kurz danach ist für die Klasse der Kantonalen Maturitätsschule für Erwachsene eine willkommene Abwechslung zur Gruppendiskussion. Trotzdem: «Gemäss den Rückmeldungen der Schüler sind Denkaufgaben viel wichtiger für den Erkenntnisgewinn als etwa ein Drohnenflug», sagt Kursleiter Reik Leiterer.
Dass die intellektuelle Auseinandersetzung wichtiger ist als Action, passt zum neuen Konzept, mit dem das Science Lab seit August 2016 arbeitet. In den ersten Jahren des 2011 eröffneten Labors standen naturwissenschaftliche Experimente im Vordergrund. Mit der neuen Ausrichtung rücken andere Fragen ins Zentrum: Wie entsteht neues Wissen? Wie funktioniert Forschung? Deshalb sind neue Kurse geschaffen und die bestehenden überarbeitet worden. Das Ziel bleibt dasselbe: Schülerinnen und Schüler für ein Studium im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich zu begeistern.
Praktisch alle Lehrangebote am Science Lab sind ins übergeordnete Thema «Nachhaltigkeit » eingebettet. Dabei geht es etwa um die Energieversorgung von morgen oder um die Frage, was die Naturwissenschaften zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft beitragen können. Die interdisziplinären Kurse haben jeweils einen fachlichen Schwerpunkt in Physik, Chemie, Mathematik oder Geografie. Dabei widerspiegeln sie auch die aktuelle Forschung – die Kursleitenden forschen selber an der UZH. «Wir wollen aktuelle und gesellschaftlich relevante Inhalte behandeln», sagt Désirée Jäger, Leiterin des Science Lab.
Die Erziehungswissenschaftlerin hat sich intensiv mit der Frage beschäftigt, warum die zahlreichen Ansätze zur Förderung der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) nur bedingt funktionieren. Ihr Fazit: Spektakuläre Experimente, bei denen es knalle und zische, genügen nicht. Jugendliche studierten deswegen nicht Chemie oder Physik. Und falls doch, sei die Gefahr gross, dass sie aufgrund falscher Erwartungen wieder aufhörten – die Abbruchrate in den MINT-Fächern sei überdurchschnittlich hoch. «Studien zeigen, dass Jugendliche mit ihrer Ausbildung eine Wirkung in der Gesellschaft erzielen, etwas Nützliches tun wollen. Mit dem Fokus Nachhaltigkeit wollen wir die Jugendlichen dort abholen», so Jäger.
Auch Überlegungen zur Genderthematik fliessen ins aktualisierte Konzept ein: Spezifische Angebote für Mädchen, die sie für naturwissenschaftliche Fächer begeistern sollen, seien der falsche Weg. «Eine solche Separierung zementiert bestehende Geschlechterstereotypen eher noch», sagt Jäger. Erfolgreiche MINT-Förderung gehe auf Zukunftsvorstellungen der Jugendlichen ein – und die seien bei Mädchen und Jungen sehr ähnlich. Am Science Lab gibt es deshalb keine geschlechtergetrennten Kursangebote. Ein Konzept, das auch das Eidgenössische Büro für Gleichstellung überzeugt hat. Es unterstützt das Science Lab für drei Jahre mit 180 000 Franken. Denn auf Fördermittel Dritter ist das Science Lab trotz grosszügiger Unterstützung durch die UZH auch in Zukunft angewiesen. Die Akquisition der zusätzlichen Mittel erfolgt durch die UZH Foundation. 20 Kurse hat das Science Lab in seiner neuen Ausrichtung seit vergangenem Sommer bereits durchgeführt. Aktives Mitdenken statt knallender Experimente: Das Konzept scheint aufzugehen.