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Sie kommen aus vier Disziplinen und haben sich mit dem Thema Schizophrenie befasst. Wie ist es zum Projekt gekommen? Warum verfolgen Sie einen interdisziplinären Ansatz?
Veronika Rall: Angestossen wurde das Projekt durch den Psychiater und Philosophen Paul Hoff, den stellvertretenden Klinikdirektor der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Mitgetragen wird es von drei weiteren Professorinnen und Professoren aus anderen Disziplinen (siehe Box am Ende des Artikels). Allen gemeinsam war ein Interesse an der Psychiatriegeschichte.
Yvonne Ilg: Schizophrenie ist ein sehr komplexes Phänomen und ein vielschichtiger Begriff, der in vielen verschiedenen Kontexten auftaucht. Es ist gar nicht möglich, diese Bedeutungen aus Sicht einer einzigen Disziplin adäquat zu erfassen und zu erforschen.
Anke Maatz: Der Begriff ist auch im Bereich der Psychiatrie unscharf und facettenreich, sodass er unterschiedlich interpretiert werden kann. Diese Unschärfe ist nicht spezifisch für die Schizophrenie, aber vielleicht stärker ausgeprägt als bei anderen Krankheitskonzepten. Paul Hoff nennt es die «Brennglasfunktion» der Schizophrenie; darin bündeln sich viele Grundsatzfragen der Psychiatrie.
Marina Lienhard: Eine interdisziplinäre Arbeit ist auch deshalb naheliegend, weil das Konzept Schizophrenie über die Klinik hinaus in anderen gesellschaftlichen Bereichen mit Bedeutung gefüllt wurde und wird. Die meisten Menschen haben dazu sofort eine Vorstellung im Kopf.
Was zeichnet die interdisziplinären Arbeitsprozesse aus?
Lienhard: Es bedeutet viele, viele Diskussionen ... (alle lachen), um zum Beispiel die gemeinsam verwendeten Begriffe zu klären. Ein Begriff, der in der eigenen Disziplin als selbstverständlich gilt, wird durch die anderen plötzlich in Frage gestellt. Diese Auseinandersetzung ist zeitaufwendig, aber auch fruchtbar.
Maatz: Wichtig ist die Bereitschaft, sich selbst und seine Grundannahmen zu hinterfragen und das Eigene nicht für das Mass aller Dinge zu halten.
Lienhard: Jede von uns hat ihre eigenen Themen und Fragen entwickelt und im Verlaufe der Diskussionen angepasst. Unsere ersten Projektskizzen sahen anders aus als die Projekte, die wir später realisiert haben.
Konnten Sie sich immer einigen oder gab es Momente, in denen sie sagen mussten: Da gibt es unauflösbare Differenzen?
Maatz: Es geht ja nicht darum, immer alles auf die gleiche Weise zu sehen. Wichtiger ist es, sich verschiedener möglicher Sichtweisen bewusst zu sein und sich selber in der Debatte verorten zu können.
Rall: Die Annahme, wir müssten zu 100 Prozent in dieser oder jener Frage einer Meinung sein, hiesse, das Projekt nicht zu verstehen. Wir sollten uns nur im Wunsch nach Austausch einig sein. Dann schaut man, wo Schnittmengen bestehen, und gelegentlich entwickelt man auch eine gemeinsame Methodik. Es ging dabei eher um ein Interesse an Differenz und an den unterschiedlichen Zugängen.
War es schwierig, den Nationalfonds von ihrem Projekt zu überzeugen?
Rall: Den ersten Antrag hat der SNF zwar abgelehnt, aber nach einer Überarbeitung der Schwachstellen war der zweite Antrag erfolgreich. Die Probleme des ersten Antrags hingen auch mit den Gutachten zusammen. Das CoRe-Projekt wurde in einer Hauptdisziplin beantragt, in unserem Fall in der Psychiatrie. In der zweiten Runde konnten andere Disziplinen und Perspektiven stärker berücksichtigt werden.
Es gibt beim SNF grundsätzlich ein grosses Interesse an interdisziplinärer Forschung. Als das Projekt eingereicht wurde, gab es dafür die beiden Gefässe CoRe und Sinergia.
Die Antragsteller- und -stellerinnen haben sich für das CoRe-Gefäss entschieden, weil das Projekt nicht interuniversitär organisiert war, sondern weil alle an der UZH arbeiteten. Für CoRe aber war das Projekt vom finanziellen Umfang her eigentlich zu gross. Inzwischen ist die Zweiteilung abgeschafft worden, seit 2016 deckt das Instrument Sinergia die interdisziplinäre Forschung zwischen mehreren Gruppen. Möglicherweise hat unser Projekt hier Reflexionen angestossen.
Interdisziplinarität ist das Gebot der Stunde, denn viele grosse Herausforderungen wie Migration, Klimawandel oder neue Krankheiten lassen sich nur interdisziplinär bewältigen. Würden Sie das unterschreiben?
Maatz: Sicher, die Welt ist nicht disziplinär organisiert.
Trotzdem fristet die interdisziplinäre Forschung ein Mauerblümchendasein. Besteht da nicht ein Widerspruch?
Lienhard: Ich finde es schwierig, ein Urteil abzugeben. Man stösst bei dieser Forschung sowohl auf offene Ohren als auch auf verschlossene Türen. Weil Universitäten disziplinär organisiert sind, gibt es viele Hürden zu überwinden, um interdisziplinäre Synergien generieren zu können. Das macht diese Forschung nicht sehr attraktiv. Wir waren zum Beispiel an vier verschiedenen Orten tätig; gemeinsame Räume fehlen. Ich wünschte, die Universität würde mehr für solche Begegnungsorte tun, wo man gemeinsam arbeiten kann.
Ilg: Es gibt auch ganz banale Hürden. Es war zum Beispiel schwierig, in der Forschungsdatenbank der UZH ein Projekt einzugeben, an dem mehrere Personen gleichberechtigt arbeiten; es musste eine Hauptperson respektive eine Hauptdisziplin definiert werden. Meines Wissens ist das unterdessen geändert worden. Eine Schwierigkeit betrifft die Zuständigkeiten bei gemeinsamen Lehrveranstaltungen oder die Berechtigung, die Arbeiten von Studierenden anderer Disziplinen zu beurteilen.
Rall: Ich denke auch, dass die Universitäten mehr zur Förderung interdisziplinärer Forschung tun könnten. Uns hat zum Beispiel ein institutioneller Ansprechpartner gefehlt, der beim Antrag, bei der Organisation und bei der Umsetzung des Projekts helfen konnte. Im Fall der universitären Forschungsschwerpunkte, der Nationalen Forschungsschwerpunkte des SNF oder auch der European Research Council Grants ist diese Betreuung besser gelöst. Aber kleinere Projekte wie das unsere erhalten diese Hilfestellung nicht.
Welchen Einfluss hat die zunehmende Spezialisierung und Auffächerung der Disziplinen: Behindert diese Entwicklung interdisziplinäre Arbeiten?
Maatz: In der Psychiatrie gibt es, wie mir scheint, vermehrt ein Bedürfnis nach übergreifenden und integrierenden Sichtweisen. Gleichzeitig denke ich, dass eine interdisziplinäre Ausrichtung die Karriereplanung erschwert. Hier besteht eine gewisse Diskrepanz.
Lienhard: Man gerät rasch in einen Konflikt und muss dann abwägen. Als Nachwuchswissenschaftlerin muss ich mich auf einem Gebiet bewähren und als Historikerin behaupten können. Entscheide ich mich für eine interdisziplinäre Arbeit, ist das zwar spannend für mich und relevant für die Forschung, es kann für die Karriere aber ein Hindernis sein.
Warum ein Hindernis?
Lienhard: Das Problem ist eigentlich banal: Es gibt keine Lehrstühle für Interdisziplinarität. Wer eine akademische Karriere anstrebt, muss früher oder später wieder disziplinär arbeiten.
Mangelt es auch an disziplinenübergreifenden Zeitschriften?
Maatz: Es gibt sie schon, zumindest in den medizinischen Wissenschaften, aber es sind nicht die mit dem höchsten Impaktfaktor.
Ilg: Die Publikationskultur in den Geisteswissenschaften ist anders als die in der Medizin oder den Naturwissenschaften. Es gibt durchaus Gefässe, um interdisziplinäre Projekte zu publizieren. Für mich stellt sich eher die Frage, wie disziplinär beziehungsweise interdisziplinär und für welches Publikum ich meine Dissertation schreiben soll.
Rall: Auch in meinem Bereich, in der Wissenschafts- oder Filmgeschichte, gibt es genug Zeitschriften, die sich für Interdisziplinäres starkmachen. Vielleicht aber wurzelt dieses Interesse auch in den Disziplinen selbst: Hochspezialisierte naturwissenschaftliche Fächer finden diese Form der Forschung möglicherweise nicht massgeblich, viele andere – wie die Psychiatrie oder die Umweltwissenschaften – zeigen eine grosse Offenheit gegenüber anderen Wissenschaften.
Sie wünschten sich eine Koordinationsstelle, damit interdisziplinäre Projekte an der Universität gefördert werden. Was könnte die Universität sonst noch tun?
Ilg: Es wäre schön, wenn man interdisziplinären Themen und Veranstaltungen in der Lehre mehr Raum geben würde. Ich denke, das Interesse der Studierenden wäre vorhanden.
Lienhard: Ich wünsche mir mehr Möglichkeiten, disziplinenübergreifend zu studieren. Der Trend geht leider eher in Richtung Monostudienprogramme. Besonders schwer ist es, Fächer unterschiedlicher Fakultäten zu kombinieren, zum Beispiel Biologie und Geschichte. Die Module sind unterschiedlich organisiert und überlappen sich zeitlich, sodass eine Kombination fast nicht möglich ist. So bleibt einem nichts anderes übrig, als das Studium zu verlängern. Es müssten mehr Möglichkeiten geschaffen werden, das Studium freier zusammenzustellen.
Rall: Für mich hängt die trans- und interdisziplinäre Forschung auch mit dem Selbstverständnis einer Universität zusammen, die mehr zur Lösung drängender Fragen der Gesellschaft beitragen will. Seit der Bologna-Reform stelle ich eine Tendenz zur Verschulung fest, die diesem Anspruch entgegensteht. Unser Forschungsprojekt war für mich im Kern getragen von der Freude an Erkenntnis und Auseinandersetzung. Ich wünschte, das könnte man jungen Studierenden vermehrt vermitteln.
Die Teilnehmerinnen:
Yvonne Ilg, Doktorandin linguistisches Teilprojekt
Marina Lienhard, Doktorandin historisches Teilprojekt
Anke Maatz, Postdoc psychiatrisches Teilprojekt
Veronika Rall, Projektkoordinatorin und Postdoc filmwissenschaftliches Teilprojekt