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In den 1990er-Jahren erfuhr die Tertiärstufe des Schweizer Bildungswesens eine tiefgreifende Umgestaltung. Nicht zuletzt wegen der bevorstehenden Einführung der Personenfreizügigkeit drängte die Bildungspolitik darauf, die höhere Berufsbildung aufzuwerten und die Durchlässigkeit zwischen Berufspraxis und Akademie zu erhöhen. Innert kurzer Zeit wurden höhere Fachschulen zu Fachhochschulen umgeformt, Pädagogische Hochschulen wurden eingeführt, und die unter erheblichem Reformdruck stehenden Universitäten erhielten mehr Autonomie.
Die vor zwanzig Jahren angestossenen Neuerungen brachten vieles in Bewegung, und ein Ende der Entwicklungsdynamik ist bis heute nicht absehbar. Allerdings bewegten und bewegen sich die Hochschultypen in ihrem Verhältnis zueinander nicht in die von der Politik beabsichtigte Richtung. Das Gesetz fordert klar unterscheidbare Ausbildungs- und Forschungsprofile von Universitäten und Fachhochschulen. «Gleichwertig, aber andersartig» sollen sie sein, so steht es im 1995 verabschiedeten Fachhochschulgesetz und im Hochschulförderungs- und Koordinationsgesetz von 2011. Diese politische Programmatik wird von der realen Entwicklung, die offensichtlich ihrer eigenen Logik folgt, durchkreuzt.
Ein öffentliches Forschungskolloquium am Kompetenzzentrum für Hochschulforschung CHESS, das kürzlich an der UZH stattgefunden hat, stellte sich der Aufgabe, diese Eigendynamik auf ihre treibenden Faktoren hin zu durchleuchten und zu bewerten. «Die Frage ist, ob die Empirie bald so weit von der Norm entfernt ist, dass diese keinen Sinn mehr macht», sagte Sebastian Brändli, Chef des Zürcher Hochschulamtes.
Lucien Criblez, Professor für Historische Bildungsforschung und Steuerung des Bildungssystems an der UZH, zeichnete in seinem Referat die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre detailliert nach.
Als einen der wesentlichen Faktoren, die zur Angleichung von universitären Hochschulen, der Fachhochschulen und der Pädagogischen Hochschulen führten, nannte er die Bologna-Reform. Die Fachhochschulen, die gemäss hochschulpolitischen Vorgaben in der Regel nur Bachelor-Studierende ausbilden sollten, bieten heute auch Masterstudiengänge an, und gegenwärtig steht die Frage zur Debatte, ob die Fachhochschulen auch Doktorierende ausbilden dürfen.
Als weiteren «Konvergenztreiber» nannte Criblez die Verlagerung von Steuerungskompetenzen von der Kantons- auf die Bundesebene, namentlich das mit dem Hochschulförderungs- und Koordinationsgesetz des Bundes eingeführte System der Institutionellen Akkreditierung werde zu einer weiteren Annäherung der Fachhochschulen an die Universitäten führen, prophezeite er.
Hauptverantwortlich für die Aufweichung der Profile ist laut Criblez aber die Forschung. Forschungserfolge seien für alle drei Hochschultypen «die harte Währung» im Streben nach Anerkennung. Universitäten wie Fachhochschulen und Pädagogische Hochschulen hätten demnach starke Anreize, durch Forschungsleistungen zu glänzen. Zu einer klaren Aufgabenteilung sei es dabei nicht gekommen. Die Unterscheidung von Grundlagenforschung und angewandter Forschung habe sich für die Abgrenzung von universitären Hochschulen und Fachhochschulen als ungeeignet erwiesen.
Während die prinzipiellen Unterschiede zwischen den drei Hochschultypen immer schwieriger zu erkennen sind, nimmt – getrieben durch den Wettbewerb um Studierende – die Zahl und die Diversität der an den einzelnen Hochschulen angebotenen Studienprogramme zu. So wird das Studienangebot insgesamt immer komplexer und immer schwieriger zu überblicken, stellte Criblez fest.
Die Zukunftsfrage sei, ob man die Aufrechterhaltung der drei Hochschultypen fördern, oder ob man die weitere Verflachung der Profile zulassen solle. Criblez und Brändli waren sich einig: Wenn die Politik angesichts der starken eigendynamischen Entwicklungen die Steuerungshoheit wieder zurückgewinnen wolle, müsse sie mit gesetzlichen Mitteln auf eine klarere Aufgabenteilung zwischen den Hochschultypen hinarbeiten.
Praxistaugliche Kriterien für eine klare Profilierung der Hochschultypen zu finden sei allerdings schwierig, gab Criblez zu bedenken. Würde man sich beispielsweise bei der Profilbildung auf die Unterscheidung zwischen berufsbezogenen und rein wissenschaftlich orientierten Studiengängen stützen, müssten konsequenterweise Fächer wie Jus oder Medizin aus den universitären Hochschulen ausgegliedert werden – was nie geschehen werde. Ebenso wenig erfolgsversprechend sei es, die «unheilsame Differenz» von Grundlagenforschung und angewandter Forschung als Unterscheidungskriterium für Hochschultypen zu bemühen.
Brändli kam gegen Ende der Veranstaltung auf die umstrittene Promotionsfrage zu sprechen. Er mass dem Entscheid, ob man den Pädagogischen Hochschulen und den Fachhochschulen das Promotionsrecht zuerkennt oder nicht, grosse Bedeutung für die zukünftige Entwicklung der Hochschulen bei, und er empfahl, in dieser Sache «hart zu bleiben», sofern man gewillt sei, an den vom Gesetzgeber gewollten Prinzip der «Andersartigkeit» der drei Hochschultypen festzuhalten.