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Das Gefühl, ständig unter Strom zu stehen, sich immer um alles kümmern zu müssen, nicht alles unter einen Hut zu bringen: Fühlt sich eine werdende Mutter über längere Zeit stark gestresst, kann sich dadurch das Risiko für das ungeborene Kind erhöhen, später eine psychische oder körperliche Erkrankung zu entwickeln – etwa eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder auch eine Herz-Kreislauf-Erkrankung. Wie genau Stress das Baby im Mutterleib erreicht, ist nicht vollends geklärt. Forschende der Universität Zürich haben in Zusammenarbeit mit dem Universitätsspital Zürich und dem Max Planck Institut München herausgefunden, dass psychischer Stress der Mutter den Stoffwechsel in der Plazenta verändern und auch das Wachstum des Ungeborenen beeinflussen kann.
Bei Stress schüttet der menschliche Körper Hormone aus, um mit der höheren Belastung umzugehen: so etwa das sogenannte Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH), das in der Folge das Stresshormon Cortisol ansteigen lässt. Dieser Mechanismus bleibt auch in der Schwangerschaft bestehen, und die Plazenta, die den Fetus mit Nährstoffen versorgt, kann das Stresshormon CRH ebenfalls freisetzen. Dadurch gelangt es in kleiner Menge in den fetalen Kreislauf und ins Fruchtwasser. Aus Tierstudien ist bekannt, dass dieses Hormon die Entwicklung der Ungeborenen ankurbeln kann: Es wird verstärkt ausgeschüttet, wenn die Wachstumsbedingungen im Mutterleib ungünstig sind. Dadurch sollen die Überlebenschancen angesichts einer zu frühen Geburt erhöht werden. Unter Umständen kann dies auch negative Folgen haben: «Wird das Wachstum zu sehr beschleunigt, kann dies auf Kosten einer ausdifferenzierten Reifung der Organe geschehen», so Studienleiterin und Psychologin Ulrike Ehlert.
Wie beeinflusst nun psychischer Stress der Mutter die Ausschüttung von Stresshormonen in der Plazenta? Das Forschungsteam untersuchte 34 gesunde Schwangere, die sich im Rahmen der Pränataldiagnostik einer Fruchtwasserpunktion unterzogen. Eine solche Untersuchung stellt eine Belastungssituation für die werdenden Mütter dar, ihr Körper schüttet kurzfristig Cortisol aus. Um festzustellen, ob auch die Plazenta Stresshormone freisetzt, haben die Forschenden den Cortisol-Spiegel im mütterlichen Speichel mit dem CRH-Spiegel im Fruchtwasser verglichen – und keinen Zusammenhang festgestellt: «Offenbar bleibt das Baby bei akuter, kurzanhaltender Belastung der Mutter vor den negativen Effekten von Stress geschützt», folgert Psychologin Ulrike Ehlert.
Ganz anders die Resultate bei anhaltendem Stress, der mittels Fragebogen zur Diagnostik von chronischem Stress eruiert wurde: «Dauert die mütterliche Belastung länger an, ist der CRH-Spiegel im Fruchtwasser erhöht», so Studienmitarbeiterin und Psychologin Pearl La Marca-Ghaemmaghami. Und diese höhere Konzentration des Stresshormons wiederum beschleunigte das Wachstum des Fetus. Damit wird der Effekt des Hormons auf das Wachstum bestätigt, wie er von Tieren bekannt ist, etwa von Kaulquappen: Droht ihr Teich auszutrocknen, so wird in Kaulquappen CRH freigesetzt, wodurch die Metamorphose vorangetrieben wird. «Das Corticotropin-Releasing-Hormon CRH spielt offenbar auch bei der Entwicklung des menschlichen Fetus eine komplexe und dynamische Rolle, die noch besser verstanden werden muss», fasst La Marca-Ghaemmaghami zusammen.
Schwangeren Frauen, die sich längeren Stresssituationen ausgesetzt sehen, raten die Psychologinnen, «sich von einer psychologischen Fachperson unterstützen zu lassen, um die Belastungen besser zu bewältigen». Nicht immer lässt sich aber Stress in der Schwangerschaft vermeiden. «Eine sichere Bindung zwischen Mutter und Kind nach der Geburt kann negative Effekte von Stress in der Schwangerschaft wieder aufheben», so La Marca-Ghaemmaghami.
P. La Marca-Ghaemmaghami, S.M. Dainese, G. Stalla, M. Haller, R. Zimmermann, U. Ehlert: Second-trimester amniotic fluid corticotropin-releasing hormone and urocortin in relation to maternal stress and fetal growth in human pregnancy. Stress. 21 April, 2017. DOI: 10.1080/10253890.2017.1312336