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Otfried Jarren, 2019 soll in Zürich das 200-Jahr-Jubiläum von Gottfried Keller und Alfred Escher gefeiert werden, Sie vertreten die UZH in der Programmkommission. Was verbindet Keller und Escher abgesehen davon, dass sie im selben Jahr geboren wurden?
Otfried Jarren: Sie waren beide politisch aktiv. Escher war Nationalrat, aber auch Erster Staatschreiber des Kantons Zürich, wie nach ihm auch Gottfried Keller. Escher hat ihn für dieses Amt portiert. Die beiden Männer verbindet freisinniges Gedankengut, wobei sie zu zwei unterschiedlichen politischen Lagern gehörten. Keller stammte aus armen Verhältnissen. In der Schule konnte er nicht reüssieren; er verlor sogar seinen Schulplatz, weil er in Raufhändel verstrickt war. Er wollte Künstler werden, Maler. Das gelang ihm nicht richtig. Keller wurde dafür ein gefeierter Schriftsteller.
Escher kam dagegen aus guten Verhältnissen und ist bürgerlich aufgewachsen. Er war politisch und wirtschaftlich erfolgreich. Beide Persönlichkeiten haben die Schweiz geprägt und besitzen internationale Strahlkraft. So gesehen gibt es Gemeinsamkeiten, aber auch grosse Unterschiede punkto Herkunft, Karriere und eben Erfolg. Verbindendes und Trennendes soll an den geplanten Jubiläumsveranstaltungen 2019 herausgearbeitet werden.
Escher war ein einflussreicher Politiker und Unternehmer. Heute würde man wohl sagen ein Neoliberaler, sehen Sie das auch so?
Ja, ein Wirtschaftsliberaler, ein Entrepreneur, der unglaublich viel bewegen wollte und konnte. Er hatte ein grosses Gespür für Möglichkeiten, kumulierte Macht, wo er konnte und verfolgte seine wirtschaftlichen und politischen Ziele hartnäckig. Alfred Escher war ein Multitalent: Er gründete die Schweizerische Kreditanstalt, das Polytechnikum, aber auch die Schweizerische Nordostbahn und die Gotthard-Gesellschaft, um seine Visionen einer modernen Schweiz umzusetzen. Als sozialer Mensch war er sicher nicht der einfachste, sondern kompliziert und machtbewusst. Sein Ende war dann auch eher tragisch: Escher hat sich durch Machtintrigen wohl selbst um seinen Kredit gebracht.
Was sind aus Ihrer Sicht die herausragenden Leistungen von Escher und Keller?
Escher bringt die Idee der Mobilität als gewagtes Investment in die Schweiz. Im anbrechenden Industriezeitalter wurden Verkehrssysteme benötigt, um Güter, die man für Massenmärkte produzierte, zu bewegen. Er hat in seinen Projekten über die Grenzen des Nationalstaats hinaus gedacht und neben den Gütern die Mobilität von Menschen wohl gleich mitgedacht. Keiner wusste damals aber, ob sich seine gigantischen Pläne je finanzieren lassen würden. Escher war davon überzeugt. Dafür Geld zu besorgen, war schon ein äusserst gewagtes Unterfangen.
Und Keller?
Keller hatte eine schwierige Kindheit. Auf den Schulausschluss reagierte er, indem er eine Art Aussteiger, Künstler, wurde. Seine Talente entdeckte er aber erst mit der Zeit. Seine Leistung besteht einerseits in seiner eigenen Bildungsbiografie, die er literarisch reflektierte und aufarbeitete. Damit reflektierte er auch eine Zeit, in der es viel Ungleichheit gab. Keller zeigt, dass man auch mit informeller Bildung Karriere machen kann. Er ist ein Bespiel für soziale, aber auch kulturelle Mobilität, denn er pflegte viele Beziehungen nach Deutschland. So gesehen sind Keller und Escher je auf ihre eigene Art Mobilitätstreiber zu Beginn der modernen Gesellschaft.
Was ist nun im Jubiläumsjahr 2019 geplant?
Die Absicht ist, beide Persönlichkeiten wieder sichtbar zu machen. Keller ist im deutschsprachigen Bildungsbürgertum auch heute noch relativ gut verankert. Escher ist dagegen nicht mehr so präsent. Ziel ist es auch, die beiden grossen Themen, die Keller und Escher verbinden – Bildung und Verkehr – zusammenzubringen. Verkehr ermöglicht den Austausch von Waren und Menschen, schafft Reichtum, bringt aber auch Folgeprobleme mit sich.
Bildung ist eine Konstante für die Schweiz, sie ist eine zentrale Ressource für das ansonsten rohstoffarme Land. Wir sollten aber auch nach vorne blicken und das Thema Kommunikation mit einbeziehen – sie ist heute neben Verkehr und Bildung einer der grössten Mobilitätsträger. Das Programm für die Jubiläumsveranstaltungen ist nicht vorgegeben, es soll bottom-up entstehen. Bis zum 1. Oktober können deshalb Projektideen eingereicht werden. (siehe Kasten)
Was verbindet Alfred Escher und Gottfried Keller mit der UZH?
Keller hat von der UZH den Ehrendoktortitel erhalten. Seine literarischen Werke werden bis heute intensiv erforscht. Alfred Eschers Karriere wiederum begann an der UZH. Er hat Rechtswissenschaft studiert und promovierte 1842 mit einer Arbeit über das römische Recht.
Was können wir heute von Escher und Keller lernen?
Die beiden Männer lebten in einer Zeit des politischen und gesellschaftlichen Umbruchs. Niemand wusste damals, wo die Reise hinführen wird. Von Escher und Keller können wir lernen, dass man mit Offenheit und durch intensiven Austausch mit anderen auch in ungewissen Zeiten erfolgreich sein kann.