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Heute sind sie ein afrikanischer Exportschlager: die Miniaturen von Autos, Motor- und Fahrrädern aus Draht. Die massenproduzierten Souvenirs für Touristen haben aber wenig gemein mit den Drahtmodellen in der Ausstellung «Auto Didaktika – Drahtmodelle aus Burundi» des Völkerkundemuseums der Universität Zürich. Diese sind Unikate – von burundischen Kindern und Jugendlichen in den 1970-er Jahren erschaffen. Sie bestechen durch ihre ungewöhnliche Ästhetik und gestalterische Leistung. Der Schweizer Architekt Edmond Remondino hat mit seinem künstlerisch geschulten Blick die Drahtmodelle der jungen autodidaktischen Konstrukteure in Burundi entdeckt. Die 80 ausgestellten Drahtmodelle stammen aus seiner über 240 Objekte umfassenden Sammlung, die er vor mehr als 40 Jahren angelegt hat.
Die Sammlung Remondino besteht grösstenteils aus Motorädern, Fährrädern, Autos, Helikoptern und Flugzeugen. Besucherinnen und Besucher entdecken in der Ausstellung auch einige ungewöhnliche Objekte wie Baumaschinen und Traktoren oder eine Lokomotive. Alle bestehen sie hauptsächlich aus Draht und Blech; Räder, Lichter, Stossstange, Sattel oder Fahrer sind häufig aus Gummisandalen gemacht. Weshalb bauten die Kinder in Burundi überhaupt Autos nach? Eine wichtige Inspirationsquelle offenbart sich gleich zu Beginn der Ausstellung: die «Rally du Burundi». Das von 1965 bis 1992 jährlich durchgeführte Motorsportrennen war für die Bewohner der Hauptstadt Bujumbura ein besonderes Erlebnis. Die Rallye hat die Vorstellungswelt der Kinder und Jugendlichen stark beeinflusst. Dies bezeugen die grossen Scheinwerfer, Funkantennen, verstärkten Federungen und Startnummern – Merkmale, die viele ausgestellte Drahtmodelle prägen.
Einen von der Rallye faszinierten Jugendlichen aus Bujumbura lernen die Ausstellungsbesucher kennen: Gustave Poko Mulunga hat in den 70-er Jahren die Rennwagen der «Rally du Burundi» inspiziert, als Modell nachgebaut, und sie verkauft – etwa dem Schweizer Architekten Edmond Remondino. 139 Objekte aus seiner Sammlung stammen von Gustave Poko Mulunga. Der Modellbau und Handel mit Souvenirs wurde für den Autodidakten schliesslich zum Beruf und zu einer wichtigen Einkommensquelle. Ausstellungskurator Alexis Malefakis hat ihn im Jahre 2016 in Bujumbura getroffen, wo er bis heute Drahtmodelle verkauft. «Der Modellbau war für Mulunga letztlich weit mehr als kindliches Basteln im Schatten einer Grossveranstaltung. Er wurde zu einem professionellen Geschäft, das, wie jeder andere Beruf, spezialisierte Kenntnisse und Könnerschaft erforderte», erklärt Alexis Malefakis.
Viele der Drahtmodelle bestehen aus weit über 100 Einzelteilen. Die burundischen Kinder und Jugendlichen analysierten die originalen Objekte genau und zerlegten sie vor ihrem geistigen Auge. Im Laufe der Jahre kreiierten die Modellbauer so viele Objekte, dass sie standardisierte Lösungen für einzelne Bauelemente entwickelt hatten: Drehbare Radlager wurden beispielsweise konstruiert, indem die Drahtachse durch ein Lager aus einem Stück Kugelschreiberhülse geführt wurde. Trotz wiederkehrender Bauprinzipien ist jedes Modell ein Unikat. «Gerade diese Mischung aus standardisierten Elementen und eigenständiger Ausführung macht den besonderen ästhetischen Reiz der Drahtmodelle aus», sagt Alexis Malefakis.
Die Lösung mit der Kugelschreiberhülse findet sich noch bei Drahtmodellen, die Kinder heute in Burundi fabrizieren. Wie die jungen Modellbauer den Draht zum Auto modellieren, zeigt ein Film in der Ausstellung. Der Bauprozess ist nach dem Alter der Kinder organisiert: Jüngere Kinder sehen den älteren zu. Sie übernehmen kleine Aufgaben und lernen so, wie man Modelle konstruiert. Der Modellbau erfordert nicht nur handwerkliches Geschick und räumliches Vorstellungsvermögen, sondern auch soziale Kompetenzen. «Denn die Heranwachsenden erleben durch den Modellbau auch wie Teamarbeit funktioniert», schliesst Alexis Malefakis.