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Father Tobias

Tobias Brandner studierte in den Achtzigerjahren Theologie an der UZH. Heute beobachtet er als Theologieprofessor die Entwicklung des Christentums in Asien und kümmert sich als Gefängnis-Seelsorger um Inhaftierte in Hongkong.
Adrian Ritter
Seelsorger und Theologe Tobias Brandner: «Ich versuche Vergebung für die Straftäter zu leben, indem ich ihnen Wertschätzung und Vertrauen entgegenbringe und auch ihre guten Seiten sehe.»

 

Es war das perfekte Fach für Tobias Brandner: In der Theologie konnte er die grundlegenden Fragen des Lebens diskutieren und hatte gleichzeitig eine Studienrichtung, die auch praktisch orientiert ist. Die Zeit als Student an der Universität Zürich ab 1984 ist ihm in bester Erinnerung geblieben. «Die Freiheit war gross, die Diskussionen waren lang», blickt er schmunzelnd zurück. Ein Professor lud regelmässig zu Wein und Käse in eine Gruft unterhalb des Grossmünsters. Die Themen: Freudsche Psychoanalyse und Existenzialismus.

Nach dem Studium liess sich Tobias Brandner zum Pfarrer ordinieren und begann gleichzeitig als Seelsorger im Gefängnis Pöschwies zu arbeiten. Für seine Dissertation kehrte er nochmals ans Theologische Seminar zurück, widmete sich dann aber ganz der praktischen Arbeit. Dazu zog er 1996 mit seiner Frau nach Hongkong und wurde für die Basler Mission in mehreren Gefängnissen Hongkongs als christlicher Seelsorger tätig.

Seelsorge im Gefängnisalltag

Tobias Brandner ist der Arbeit im Gefängnis bis heute treu geblieben. Das Strafregime in Hongkong ist ungleich härter als in der Schweiz: deutlich längere Strafen, ein militärisch organisierter Vollzug. Trotzdem sei die Stimmung friedlicher: «Asiaten zeigen ihre negativen Gefühle viel seltener, da sie nicht das Gesicht verlieren wollen.» Besser geht es ihnen psychisch deswegen allerdings nicht.

Das Gesprächsangebot von «Father Tobias» stösst deshalb auf Anklang – zumal die anderen Religionen keine Seelsorge anbieten. «Nur schon die Tatsache, dass sich jemand für sie interessiert, ist eine willkommene Abwechslung im langweiligen Gefängnisalltag. Oft ist die Zeit im Gefängnis auch eine Gelegenheit, vertieft über das eigene Leben nachzudenken», erzählt Brandner. «Ich versuche Vergebung für die Straftäter zu leben, indem ich ihnen Wertschätzung und Vertrauen entgegenbringe und auch ihre guten Seiten sehe.»

Asiaten auf christlicher Mission

Inzwischen ist Brandner nur noch einen Tag pro Woche im Gefängnis präsent. Gleichzeitig hat es ihn zurück in die Akademie gezogen. Seit 2009 ist er Professor für christliche Theologie an der Chinese University of Hong Kong. In seiner Forschung reflektiert er die seelsorgerische Gefängnisarbeit und untersucht die aktuelle Entwicklung des Christentums in Asien. Sein Befund in einem Wort: Boom. Das Christentum und insbesondere der Protestantismus stossen in Asien auf zunehmendes Interesse – vor allem in wirtschaftlich aufstrebenden Ländern wie China und Südkorea. Die eigenen religiösen Traditionen wie Taoismus und Ahnenverehrung haben laut Brandner an Bedeutung eingebüsst. 

Der Anteil Christen in der Bevölkerung liegt in China heute bei rund fünf Prozent, in Hongkong gar bei 10 bis 15 Prozent. Tobias Brandner sieht mehrere Gründe für den Boom: Das Christentum wird einerseits mit dem wirtschaftlich erfolgreichen Westen assoziiert. Andererseits bietet gerade der Protestantismus mit seinem aktiven Gemeinschaftsleben in der Kirche eine attraktive Alternative zum rohen Egoismus in der Wirtschaft. Dass sich das Christentum einseitig von Westen nach Osten ausdehne, sei allerdings falsch, stellt Tobias Brandner klar. Ihn interessiert in seiner Forschung vor allem der umgekehrte Weg – asiatische christliche Missionsbewegungen, die in aller Welt tätig sind. 

Effiziente Grossstadt

Aufgrund seiner akademischen Tätigkeit ist Tobias Brandner heute wieder eng mit der UZH verbunden. Er war schon mehrmals Gastdozent in Zürich und ist heute Präsident des UZH-Alumni-Chapters in Hongkong. Die asiatische Metropole fasziniert ihn immer noch: «Die Bevölkerung der Schweiz auf der Fläche des halben Kantons Zürich: Ich habe noch nie eine so effizient organisierte Grossstadt wie Hongkong erlebt.» Gleichzeitig schätzt er vor allem die nahe Natur, die schon eine halbe Stunde vom Stadtzentrum zu schönsten Wanderungen einlade. 

Hongkong habe aber auch seine Kehrseiten: Die Mieten sind teuer, die soziale Kluft ist gross. Zudem nehme der politische Einfluss der Zentralregierung zu und bedrohe die Eigenständigkeit Hongkongs. Tobias Brandner ist trotzdem zuversichtlich: «Die Menschen in Hongkong haben es im letzten Jahrhundert immer wieder verstanden, auf Krisen flexibel zu reagieren und neue Wege zum Erfolg zu finden. Und vielleicht kann ja das Christentum etwas zu einer gerechteren sozialen Ordnung in Hongkong beitragen.»

Die UZH beteiligt sich am Festival «Zürich meets Hong Kong», das vom 21.-29.10.2017 in Hongkong stattfindet. UZH News wird darüber berichten.