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Der Wahrheitsanspruch, den Religionen wie das Judentum, das Christentum oder den Islam kennen, steht in einem Spannungsverhältnis zur Überzeugung, dass Andersdenkende als Gleichberechtigte anerkannt werden sollen. Ob Religion letztlich im Widerspruch zu einem modernen Verständnis von Toleranz steht oder sich dieses im Gegenteil auch theologisch begründen lässt, darüber diskutierten am Dienstagabend Vertreter der beiden Schweizer Landeskirchen, des Judentums und des Islams.
Initiiert wurde das Podium von Abbas Poya, der im Herbstsemester die Gastprofessur für islamische Theologie und Bildung an der UZH innehatte. In seiner Begrüssung sagte Poya, dass die Gastprofessur auch eine politische und gesellschaftliche Dimension habe. Die Frage, was die islamische Theologie zu einem friedlichen Zusammenleben beitragen könne, sei für ihn zentral. Zum Abschluss seines Aufenthaltes in Zürich habe er deshalb Theologinnen und Theologen anderer Religionen eingeladen, den Toleranzbegriff gemeinsam in einer öffentlichen Gesprächsrunde zu diskutieren. Amira Hafner-Al Jabaji, bekannt als Moderatorin der Sendung «Sternstunde Religion» des Schweizer Fernsehens, leitete das Gespräch.
Das moderne Verständnis von Toleranz geht über die blosse Duldung Andersdenkender hinaus. Alfred Bodenheimer, Leiter des Zentrums für Jüdische Studien an der Universität Basel, sagte auf dem Podium, das Judentum dränge Andersgläubige nicht missionarisch dazu, seinen Wahrheitsbegriff zu übernehmen. Dies allerdings reiche nicht aus, um per se schon als tolerante Religion gelten zu können. «Toleranz ist der Religion nicht eingeschrieben», hielt Bodenheimer fest.
Thomas Schlag, Dekan der Theologischen Fakultät der UZH, bekräftigte diese Aussage. Er verwies auf das Johannes-Evangelium, in dem Jesus sagt: «Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.» – «Toleranz gibt’s da nicht» stellte Schlag trocken fest. Trotzdem gebe es gute theologische Gründe dafür, andere Wahrheitsansprüche anzuerkennen. Der Mensch dürfe seinen Glauben nicht verabsolutieren. Sich auf die Position des göttlichen Wahrheitsanspruchs zu stellen, komme dem Menschen nicht zu.
Auch im Koran ist religiöse Toleranz nicht direkt ein Thema, sagte Abbas Poya. Die Schrift lasse sich aber durchaus heranziehen, um eine tolerante Haltung zu bestärken. Im Koran stehe beispielsweise, es sei Gottes Wille, dass es Menschen unterschiedlicher Völker und unterschiedlichen Glaubens gebe.
Auch für Poya steht Religion nicht per se für oder gegen Toleranz, denn: «Religiöse Texte sprechen nicht. Wir bringen sie zum Sprechen.» Dass die Theologie die Auslegung religiöser Texte in den Dienst eines friedlichen Miteinanders stellen müsse, das bezweifelte an dem Abend niemand.
Daniel Kosch, Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz, wies darauf hin, dass historisch gesehen dem Staat eine wesentliche Rolle bei der Durchsetzung des modernen Toleranzbegriffes zukomme. «Das Bekenntnis zur Glaubensfreiheit wurde uns Katholiken vom Staat abgetrotzt», sagte er. Entscheidend für eine tolerante Haltung der Menschen sei die ihr verpflichtete staatliche Bildung. Doch seit dem Minarettverbot bewege man sich in der Schweiz rückwärts. Gerade religiöse Menschen müssten sich entschieden dagegen wehren.
Eine pluralistische Gesellschaft erfordert, dass Andersdenkende akzeptiert werden und man ihnen auf Augenhöhe begegnet. Die Theologinnen und Theologen der verschiedenen Religionen könnten und sollten dazu einen Beitrag liefern – so der Tenor des Abends. Doch läuft, wer tolerant denkt, nicht Gefahr, intoleranten Positionen zu wenig entgegenzusetzen? Thomas Schlag antwortete, es sei die Verfassung, welche die Grenzen des Tolerierbaren definiere. Diese Grenze verlaufe dort, wo die Würde des Menschen verletzt werde.
Abbas Poya entgegnete, dass man sich nicht einfach auf den Staat verlassen dürfe. Das Individuum müsse selbst aktiv und kritisch auch gegenüber dem Staat sein, wo dieser intolerant auftrete.
Alfred Bodenheimer rief Theologinnen und Theologen dazu auf, fundamentalistischen Tendenzen gegenüber kämpferischer aufzutreten. Thomas Schlag gab demgegenüber zu bedenken, dass diesen nicht dadurch beizukommen sei, dass man sie von der Diskussion ausschliesse. Aufklärung hält er für die erfolgversprechendere Strategie.