Navigation auf uzh.ch
Mit einer Veranstaltung zum Thema «Flucht und Vertreibung» vermochte das Institut für Politikwissenschaft am Dienstag den grössten Hörsaal im UZH-Zentrum leicht zu füllen. Vor allem Studierende strömten in Scharen zum Referat von Bundesrat Didier Burkhalter, der sich über das Interesse der «Studis» sehr freute.
65 Millionen Menschen befinden sich derzeit weltweit auf der Flucht – so viele wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Eine enorme Zahl, die man sich kaum vorstellen kann. Bundesrat Burkhalter veranschaulichte sie am Beispiel von Syrien: Man stelle sich vor, man hätte vor Kriegsbeginn an einer Universität in Syrien ein Seminar mit 23 Studierenden besucht. Wie sähe dieser Gruppe heute aus? Die Hälfte von ihnen wäre von humanitärer Hilfe abhängig. Sechs Personen wären von ihrem Wohnort vertrieben und lebten an einem anderen Ort in Syrien. Fünf weitere Studierende wären ins Ausland geflohen – mit grosser Wahrscheinlichkeit in ein Nachbarland, einige vielleicht auch nach Europa.
Die Bemühungen um Frieden in Syrien seien ernüchternd, sagte Burkhalter: «Es ist das grosse moralische Versagen der Weltpolitik unserer Zeit.» Einfache Lösungen für die Flüchtlingskrise gebe es nicht: «Klar ist, dass neue Mauern und die Schliessung von Grenzen keine nachhaltige Lösung sind.» Es sei zu begrüssen, dass auf internationaler Ebene im vergangenen September erstmals ein UNO-Gipfel zum Thema Flüchtlinge und Migranten stattgefunden hatte. Bis 2018 sollen nun zwei globale Rahmenwerke (Global Compacts) zu Migration und Flucht erarbeitet werden.
Didier Burkhalter zeigte auf, wie die Schweiz mithilft, in Syrien die Not zu lindern – «das grösste humanitäre Engagement der Schweiz aller Zeiten». Es reiche von der Nothilfe über das Entsenden von Experten für das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) bis zur Unterstützung von lokalen Organisationen in Syrien, die Verletzungen des Völkerrechts dokumentieren. Derzeit prüfe das Department für auswärtige Angelegenheiten die Möglichkeit, in Damaskus ein humanitäres Büro zu eröffnen.
Auch in der Schweiz könnte gemäss Burkhalter noch mehr getan werden für die aus Syrien Vertriebenen. Unser Land habe im Rahmen des UNO-Umsiedlungsprogramms bisher ein Kontingent von 3000 Flüchtlingen aufgenommen. Eine Möglichkeit wäre, zusätzlich einer Anzahl besonders verletzlicher Menschen Zuflucht zu gewähren. Ihm sei bewusst, dass es dabei innenpolitische Grenzen der Aufnahmebereitschaft gebe, so Didier Burkhalter.
Umso wichtiger sei ein umfassendes Engagement in den Konfliktländern, nicht nur in Syrien. Die Aussenpolitik der Schweiz im Bereich Flucht und Vertreibung habe dabei drei Schwerpunkte: Schutz und Unterstützung für die Vertriebenen, die Förderung ihrer wirtschaftlichen Eigenständigkeit und die Bekämpfung von Fluchtursachen. So sei die Schweiz derzeit in über 20 Friedens- und Mediationsprozesse weltweit involviert. Und sie setze sich mit Projekten dafür ein, dass Flüchtlinge Zugang zu Bildung und bessere Arbeitsmöglichkeiten erhalten, beispielsweise in Kenia, im Libanon und in Jordanien.
Um die Perspektiven von Flüchtlingen in den Ursprungsregionen zu verbessern, wolle das EDA die Bemühungen in den Konfliktländern noch verstärken. In welchem Ausmass dies möglich sei, hänge auch von den Sparaufträgen im Parlament ab. Nötig sei es auf jeden Fall: «Die humanitäre Not ist riesig und wird immer mehr zu einem Dauerzustand.»