Navigation auf uzh.ch
Als Universalgelehrter das Wissen verschiedener Fachgebiete zu überblicken, ist heutzutage unmöglich geworden. Ganz anders zu Conrad Gessners Zeit: Der vielseitig interessierte Zürcher Naturforscher und Arzt leistete Erstaunliches sowohl in den Naturwissenschaften als auch in den Buchwissenschaften. Aus Anlass seines 500. Geburtstages findet nächste Woche ein internationaler Kongress an der Universität Zürich statt.
Conrad Gessner gilt als Begründer der modernen Zoologie. Mit seiner «Historia animalium» schuf er die erste Tierenzyklopädie und trug das rasch wachsende Wissen seiner Zeit systematisch zusammen. Seine detailreichen Beschreibungen, ergänzt durch eigene Beobachtungen und zahlreiche Bilder, gingen um die Welt und galten bis ins 18. Jahrhundert als Standardwerk. «Sein Bestreben, ein Inventar des Lebens zu erstellen, war eine erstaunliche Leistung im Zürich der damaligen Zeit», sagt Urs Leu, Historiker an der Zentralbibliothek Zürich und Mitorganisator des Kongresses.
Doch fast noch mehr faszinierte den «Leonardo da Vinci der Schweiz» die Botanik. Er führte als Erster Detailzeichnungen von Pflanzen und ihren Teilen ein und machte sich Gedanken über die Verwandtschaften im Pflanzenreich. Sein Tod mit 49 Jahren an der Pest verhinderte, dass er womöglich die erste botanische Systematik publiziert hätte.
Den Grundstein für die heutige Form des Bibliographierens legte Gessner mit seiner «Bibliotheca universalis». Darin verzeichnete er tausende Werke, die seit Erfindung des Buchdrucks erschienen waren. Später erstellte er noch einen Schlagwortkatalog, aufgeschlüsselt nach 21 Fachgebieten. «Dieses fast grössenwahnsinnige Unterfangen hat ihn über die Grenzen hinaus bekannt gemacht», sagt Leu. Denn schon damals rissen sich die Gelehrten um solche Informationen und wollten selbst mit ihren Werken darin verzeichnet sein. Der Anfang der bis heute gültigen Kultur des «publish or perish» war gemacht.
Mit dem Kongress möchten die Organisatoren das Werk dieses Schweizer Universalgenies in Erinnerung rufen. Über 40 teilweise parallel stattfindende Vorträge von Expertinnen und Experten aus aller Welt geben Einblick in die vielseitigen Interessen und Werke von Conrad Gessner. Die Beiträge reichen von Botanik und Buchwissenschaft über Linguistik und Medizin bis hin zum wissenschaftlichen Zeichnen.
Erstmals werden auch neu entdeckte Dokumente und Zeichnungen einem breiteren Publikum vorgestellt. So werden beispielsweise bisher unbekannte Tierzeichnungen Gessners am Mittwochmorgen in einem der Hauptvorträge präsentiert. Die Eröffnungsvorlesung am Montagabend gibt Einblick in Gessners Briefwechsel mit einem englischen Hofarzt. Beiträge aus dem Blickwinkel von Ethnologen und Sinologen ergänzen das vielfältige Programm.
«Wenn wir mit diesem Kongress Conrad Gessner wieder mehr ins Bewusstsein der Leute bringen können, haben wir unser Ziel erreicht», sagt Urs Leu. Es herrsche die paradoxe Situation, dass er in Deutschland oder im angelsächsischen Raum bekannter sei als in der Schweiz. Bis ins Jahr 2000 hat er noch die 50-Franken-Banknote geziert. Doch Leu freut sich, dass gerade in den letzten Jahren neue Dokumente aufgetaucht sind – beispielsweise auch im Staatsarchiv in Chur, wo man in einem Familiennachlass bisher unbekannte Briefe an Gessner fand. Die Aufarbeitung dieser Dokumente in interdisziplinären Expertenteams werde der Gessner-Forschung neue Impulse geben, ist sich der Historiker sicher.